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Mutter war seit 20 Jahren als Kundenvertreterin in einer Kommunikationsfirma tätig gewesen. Wenn sie bei uns zu Hause ans Telefon ging, begrüßte sie den Anrufer manchmal wie einen Kunden. Oft erschrak sie über diesen Fehler und kicherte dann über sich.

Sie erhielt zwischen 90 und 150 Anrufe pro Tag. Bei den meisten Anrufen ging es um die Registrierung neuer Telefone, Berichte über Telefonausfälle und die die Erläuterung verschiedener Tarife und zusätzlicher Dienste. Aber manchmal musste sie auch dumme Anfragen beantworten, zum Beispiel eine Telefonnummer finden, die der Anrufer vor 10 Jahren verwendet hatte, oder seine Ex-Frau in seinem Namen anrufen.

Es war nun noch nicht lange her, dass Mutter ihre Kündigung bekommen hatte.

„Ich werde weiter arbeiten“, schwor sie. Getreu ihren Worten ging sie wirklich weiter zur Arbeit. Genau wie in den letzten 20 Jahren, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu verspäten oder zu fehlen.

Sie ging um acht Uhr morgens zur Arbeit und kam abends um sechs Uhr nach Hause. Wenn sie ging, sagte sie „Bis später“, und wenn sie kam „Ich bin wieder da“. Das einzige, was sich geändert hatte, war ihr Platz. Sie arbeitete nun nicht mehr innerhalb, sondern außerhalb des Gebäudes.

Mutter stand den ganzen Tag am Haupteingang des Gebäudes. Sie trainierte sich, um den neuen Job zu bewältigen.

Ihre neue Aufgabe war es, die Stockwerke und dann die Fenster zu zählen, um ihr ehemaliges Büro zu finden und dann den ganzen Tag hinauf zu starren. Die eng beieinander liegenden Fenster hatten alle die gleiche Größe und Form. Oftmals wenn sie glaubte, das richtige Fenster entdeckt zu haben, versteckte sich ihr ehemaliges Büro und verschwand zwischen den gleich aussehenden Fenstern. 

Sie rief manchmal auch im Büro an, weil sie sich an einige Dinge erinnerte, die sie ihren Mitarbeitern nicht erzählt hatte.

„Und die Kundenbeschwerdepapiere vor dem Jahr 2000 befinden sich unter dem Besprechungstisch.“

Sie schüttete ihre Anweisungen aus, noch bevor die Person auf der anderen Seite überhaupt Hallo gesagt hatte. Zuerst war der Gesprächspartner verwirrt, aber bald hörte er ihr zu. Und am Ende des Anrufs bedankte die Person am Telefon sogar höflich bei ihr.

Aber niemand holte sie wieder herein. Ihre Mitarbeiter schauten von ihr weg, wenn sie das Gebäude betraten oder starrten auf ihre Telefone. Einige Mitarbeiter gingen zur Arbeit, bevor Mutter kam, und gingen nach Hause, nachdem Mutter gegangen war. Trotzdem blieb sie unerschütterlich. Sie war jeden Tag dort.

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Kim Hye-jin, Jahrgang 1983, begann ihre literarische Laufbahn 2012 mit der Erzählung „Chicken Run“. Im Jahre 2013 gewann sie den Joongang-Roman-Literaturpreis. Ihre Erzählung „Out of Focus“ entstand 2012.