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Wirtschaft

Koreastämmige in Russland

#Sie fragen, wir antworten l 2018-08-11

Hörerecke

ⓒ Getty Images Bank

Q: Lebt in Kasachstan auch eine koreanische Minderheit? Wenn ja, würde ich gerne mehr über Geschichte und Hintergründe erfahren.


A: In Kasachstan gibt es eine koreanische Minderheit, und nicht nur dort. Dahinter verbirgt sich ein interessantes, aber auch tragisches Stück Geschichte. Bereits 1926 plante die 1922 gegründete Sowjetunion die Umsiedlung der auf ihrem Staatsgebiet lebenden ethnischen Koreaner. Diese Umsiedlung wurde ab 1930 vorbereitet und dann 1937 durchgeführt. Es war übrigens der erste Massentransfer einer gesamten ethnischen Minderheit in der Sowjetunion. Fast alle der knapp 172.000 am östlichen Ende der Sowjetunion lebenden ethnischen Koreaner wurden im Oktober 1937 zwangsumgesiedelt in die unbevölkerten Gebiete der Kasachischen SSR   (SSR: Sozialistische Sowjetrepublik) und in die Usbekische SSR. 


Hintergrund der Umsiedlung war, dass die koreastämmige Bevölkerung von 1917 bis 1926 auf rund 170.000 angewachsen war und die „Goryeo-in“, wie die Koreastämmigen auf Koreanisch genannt werden, damit bereits ein Viertel der ländlichen Bevölkerung in der Region Wladiwostok stellten. Sie forderten nach dem Vorbild des Jüdischen Autonomen Distrikts in der Region die Einrichtung eines entsprechenden autonomen koreanischen Distrikts. Das lehnte die Sowjetunion 1929 endgültig ab, da sich die russischstämmige Landbevölkerung der Region dagegen wehrte. Die Russen erlaubten den Koreastämmigen ein gewisses Maß an Eigenständigkeit in Form von koreanischsprachigen Schulen, Zeitungen und kleineren nationalen territorialen Einheiten, wo sich die Russland-Koreaner dann zu einer vorbildhaften sowjetrussischen Minorität entwickelten. Das Leben der Russland-Koreaner soll übrigens weit besser gewesen sein als das der Koreaner auf der koreanischen Halbinsel, die unter dem japanischen Kolonialjoch unter Ausbeutung und Unterdrückung zu leiden hatten. 


Im Erlass vom 21. August 1937 heißt es offiziell: „Um das Eindringen von japanischen Spionen in den Förderationskreis Fernost zu verhindern, soll die ganze koreanischstämmige Bevölkerung aus den Grenzgebieten in die Region Süd-Kasachstan in das Gebiet um den Aralsee in die Usbekische SSSR umgesiedelt werden. Die Umsiedlung hat sofort zu beginnen und ist bis zum 1. Januar 1938 zu beenden. Die koreastämmigen Untertanen dürfen allen beweglichen Besitz sowie Nutztiere mitnehmen; für unbeweglichen Besitz und Erntegut sollen sie entschädigt werden; die Zahl der Grenzsoldaten im Zielgebiet der Umsiedlung ist um 3.000 zu erhöhen.“ 


Als offizieller Grund für die Zwangsumsiedlung wurde zwar die Verhinderung der Infiltration japanischer Spione genannt, der tatsächliche Grund dürfte allerdings gewesen sein, dass spätestens 1937 die koreanischstämmige Bevölkerung im Föderationskreis Fernost bereits besonders gut integriert war und man eine solch starke Bevölkerungsgruppe als zu einflussreich und damit als mögliche Bedrohung für die regionale Stabilität ansah. Gewissermaßen als politische Legitimation gingen der Deportation dann auch Schauprozesse und Artikel in der Prawda über japanische Spionageaktivitäten, in die Koreastämmige verwickelt sein sollten, voraus. Die Deportation fand per Zug in drei Schüben statt. Je nach Zielregion dauerte die Reise in den Zugwaggons 30 bis 40 Tage. Beendet war die Deportation am 25. Oktober 1937. 36.442 Familien wurden umgesiedelt, das machte 171.781 Personen. 


Ein Koreaner erinnert sich: Rund 100.000 Koreaner wurden nach Kasachstan umgesiedelt, an die 74.000 nach Usbekistan. Diejenigen, die bereitwillig gingen, bekamen 370 Rubel Startgeld und Geld für die Zugfahrt. Der Rest wurde einfach in die Waggons verfrachtet. 


Die Deportierten durften einiges an Vieh mitnehmen und erhielten pro Familie im Schnitt 6.000 Rubel Entschädigung für den Besitz, den sie zurücklassen mussten. In Kasachstan brachte man sie in abgelegene Gebiete, die von der Regierung versprochene Ansiedlungsunterstützung scheint es aber nicht gegeben zu haben. Schätzungen auf Basis von Bevölkerungsstatistiken zufolge sollen 1937 und 1938 40.000 der deportierten Koreaner gestorben sein. Ohne die Hilfe der ethnischen Kasachen, die ihnen Unterkunft und Nahrung gewährten, wären in den ersten Jahren wohl noch mehr Menschen gestorben. 


Kasachstan, wo nach der Ansiedlung ein koreanisches Theater, eine Zeitung, ein pädagogisches Institut und eine Hochschule entstanden, wurde zum intellektuellen Zentrum der Koreaner in der Sowjetunion. Die Koreaner leisteten eine großen Beitrag zur Entwicklung der Landwirtschaft sowohl in Kasachstan als auch in Usbekistan. Mehr als 100 Koreaner sollen als Helden der sozialistischen Arbeit ausgezeichnet worden sein, einer der höchsten Auszeichnungen der Sowjetunion. Als die Nazis in Russland einfielen, meldeten sich viele Koreastämmige freiwillig für den Dienst an der Front. Einer von ihnen, Aleksandr Pavlovich Min, wurde als „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet. Die Koreaner durften zwar für die Sowjetunion kämpfen und sterben, aber erst nach Stalins Tod im Jahr 1953 wurden ihnen größere Rechte als Bürger zugestanden. Dazu gehörte auch das Recht auf Freizügigkeit und die freie Wahl eines Berufes. Viele zogen daraufhin in die Städte und waren bald erfolgreich im Bildungsbereich, im medizinischen Sektor und in der Industrie. In den 1970er Jahren war die Zahl der Koreastämmigen, die einen Hochschulabschluss besaßen, zweimal höher als der allgemeine Durchschnitt. 


Nach einer Volkszählung von 1989 betrug die Zahl der in der Sowjetunion lebenden Koreastämmigen 439.000, 80% davon lebten in Kasachstan, die übrigen in Usbekistan und Russland. Im Laufe der Zeit haben die Koreastämmigen viel von ihrer ethnischen Identität eingebüßt, viele haben Russen oder Kasachen geheiratet. Die Älteren befürchten, dass die jüngeren ihre koreanischen Wurzeln immer mehr verlieren. Um das zu verhindern, wurde in den letzten Jahren der Kontakt zwischen Südkoreanern und den Koreanern in Kasachstan und Usbekistan intensiviert, es gibt eine Reihe von Austauschprogrammen und Aktivitäten zum Bewahren bzw. Beleben von Sprache und Kultur. Die wenigen Älteren, die heute noch leben, sind eine Fundgrube für Sprachforscher, denn sie sprechen zum Teil immer noch Dialektvarianten des Koreanischen, die auf der koreanischen Halbinsel längst als ausgestorben gelten. 


Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Republik Korea und Kasachstan sowie Usbekistan im Jahr 1992 haben südkoreanische Konglomerate wie LG, Samsung und Daewoo hohe Summen in beide ehemaligen Sowjetrepubliken investiert. Südkorea hat Bildungszentren in Almaty, Taschkent und Bishkek eingerichtet, wo auch Koreanischkurse angeboten werden. Der Handel mit Automobilen, Elektrogeräten und Maschinen floriert, daneben sind für Südkorea die Vorräte an Uran, Gold und Kupfer in Kasachstan und Usbekistan interessant.

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