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Kultur

Joo Yo-seop: „Die Madame aus der Teestube“

2019-08-27

ⓒ Getty Images Bank

An dem Tag, an dem Yeong-sook, die Madame der Teestube „Anemone“, mit ihren Ohrringen hinter der Theke auftauchte, bewunderten die Stammgäste des Anemone die Schönheit der violetten Ohrringe, die hin und her tanzten, wann immer sie ihren Kopf bewegte. Beziehungsweise, sie bewunderten Yeong-sooks Schönheit, die durch die Ohrringe noch verstärkt wurde.

Ein Kunde in der Ecke stellte die Teetasse ab und flüsterte: „Sie macht uns noch ganz verrückt mit diesen Ohrringen."

Einige lachten laut und sagten: „Diese Ohrringe haben sie zu einer Dame gemacht.“ Ein Herr, der nach ein paar Gläsern Schnaps im Gesicht gerötet war, strich ihr beiläufig über seidige Wange, während er vorgab, ihre schönen Ohrringe zu bewundern.



Professor Bang Min-ho:

Die Ohrringe sind der Ausdruck für ihre Liebe zu dem jungen Studenten, der die Teestube besucht. Die Ohrringe baumeln an ihren Ohren und symbolisieren so eine vergebliche, riskante Liebe. Sie hat Gefühle für den jungen Mann, aber diese Gefühle sind zart und unsicher. Sie möchte hübsch aussehen, hat aber auch Angst, dass sie dadurch aufreizend wirkt. Die Ohrringe sind ein Medium, das ihre Ängste und ihre widersprüchlichen Gefühle vermittelt.



Yeong-sook hielt die Schubert-Platte in ihren Händen und wartete darauf, dass das Jazzstück zuende ging. Als die Jazz-Platte endlich aufhörte, sich zu drehen, legte Yeong-sook die Schubert-Schallplatte auf.

Yeong-sook drehte sich zu dem jungen Mann um. Die Ohrringe schlugen gegen ihre Wangen. Sie erwartete, dass er ihrem Blick begegnen und ihr ein kleines Lächeln schenken würde, aber er sah nicht einmal auf. So vergingen ein paar Augenblicke.

Sie konnte sich später nur noch daran erinnern, dass es sich wie ein Blitz anfühlte.

Yeong-sook konnte sich nicht in der richtigen Reihenfolge an den bizarren Vorfall erinnern, der sich in diesem Moment ereignete. Was sie zuerst sah, war ein blasses Gesicht, ein weißliches Gesicht, das sich wie ein Blitz vom Tisch erhob.

Sie erinnerte sich, dass er etwas geschrien hatte. Es war ein ohrenbetäubender Schrei gewesen. Sie wusste nicht mehr, was er geschrien hatte. Sie wusste nur noch, dass das Geräusch aus seinem Mund gekommen waren.




Joo Yo-seop (1902-1972) ist vor allem für seine humanistischen und gesellschaftskritischen Werke bekannt. Seine Erzählung „Die Madame aus der Teestube“ erschien 1936.

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