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Kultur

Yeom Sang-seop: „Das Telefon“

2019-11-05

ⓒ Getty Images Bank

Seine Erzählung „Das Telefon“ stammt aus dem Jahr 1925, zu einer Zeit, als Telefone erstmals begannen, in koreanischen Haushalten Verbreitung zu finden. Die Geschichte zeigt die Konflikte eines bürgerlichen Paares, ausgelöst durch einen Telefonanruf.



„Liebling, du hast einen Anruf bekommen“, sagte Frau Lee knapp. Dabei bemühte sie sich, verschiedene Gesichtsausdrücke zu verbergen – Unbeholfenheit, ein spöttisches Lächeln und aufsteigenden Zorn. Damit ihr Mann die unterschiedlichen Gefühle nicht aus ihrem Gesicht herauslesen könne, wandte sie sich ab. Aber ihr Mann bemerkte das Zucken um ihre fest geschlossenen Lippen und die Belustigung in ihren Augen.

„Nun, freust du dich nicht über den Anruf? Das hast du dir doch immer gewünscht. Also, wer war es?”, fragte er.

„Jemand hat dich gerade angerufen!“

„Ja, aber wer denn? Was hat er gesagt?“

„Ich habe gesagt, du bist nicht da. Da haben wir den Apparat so mühevoll installiert und dann so ein Anruf!“

„Warum hast du gesagt, dass ich nicht da bin?”

„Hm, was weiß ich? Überleg doch mal!“

Da erst erinnerte sich ihr Ehemann, dass er zwei Abende zuvor an der Bar beim Trinken seiner Lieblings-Gisaeng, der Bardame Chae-hong, seine Telefonnummer gegeben hatte.

„Was für ein dummes Mädchen! Die hat wohl eine schlaflose Nacht gehabt. Ruft noch vor dem Frühstück hier an und bekommt einen Anfall, nur weil sie nicht mit dir reden kann. Geh schon und besuch sie doch, um zu sehen, wie es ihr geht! Dann kannst du ihr sagen, dass du fast gestorben wärst, weil deine schreckliche, nörgelnde Frau dir das Telefon nicht gegeben hat“

„Nun, wenn du darauf bestehst, könnte ich ja mal bei ihr vorbeischauen."

„Mach doch, was du willst!"



Professor Bang Min-ho von der Abteilung für koreanische Literatur an der Seoul National University: 

Diese Geschichte zeigt, in welcher Zeit die Hauptfiguren lebten. Ein verheirateter Mann besucht ungeniert eine Bar, flirtet mit einer Gisaeng und schämt sich nicht einmal, als seine Frau davon erfährt. Und die eifersüchtige Frau verspottet ihren Ehemann wegen des Mädchens, aber ihr Verhalten und ihre Mimik deuten darauf hin, dass sie eher genervt, als wirklich wütend ist. Das ist in heutigen ehelichen Beziehungen wohl undenkbar. Das Telefon ist ein Medium, um diese Sitten zu zeigen. Der erste Anruf, den sie erhalten, kommt von einem Mädchen, das den Ehemann anruft, aber die Frau prangert sein Verhalten nicht direkt an oder beschuldigt ihn des Ehebruchs. Diese sozialen Verhältnisse versucht Yeom Sang-seop in dieser Geschichte zu verspotten.




Yeom Sang-seop (1897-1963) gilt als einer der ersten naturalistischen und realistischen Autoren in der koreanischen Literatur und somit als Pionier der modernen Erzählung in Korea. Seine Texte setzen sich mit der koreanischen Gesellschaft zur Zeit des japanischen Kolonialismus auseinander.

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