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Kultur

Yun Heung-gil: „Regenzeit“

2020-01-21

ⓒ Getty Images Bank

Die Geschichte beschreibt den ideologischen Konflikt in einer koreanischen Familie zur Zeit des Koreakrieges. Sie wird erzählt aus der Perspektive des Grundschülers Dong-man.  



Gleich nachdem die Ernte der grünen Bohnen beendet war, hatte der Regen eingesetzt und nun regnete es schon seit Tagen. 

Wir versammelten uns in Großmutters Zimmer. 

“Wartet es nur ab. Wir werden schon sehen, ob ich recht habe oder nicht. Hat sich das, was ich in der Nacht geträumt habe, jemals als falsch erwiesen?“, meinte die Großmutter. 

Seit dem frühen Morgen redete sie von nichts anderem als von ihrem Traum. Sie hatte geträumt, dass eine große Eisenzange in ihren Mund gekommen sei, in dem sich nur noch sieben Zähne befanden, und dann einen der kräftigsten von ihnen abgebrochen habe und wieder verschwunden sei. 

„Ich glaube nicht an Träume”, sagte die Mutter. „Ich habe erst vorgestern einen Brief von Gil-jun bekommen, in dem er schreibt, alles sei in Ordnung.” 

Aber mit der Zeit wurden Großmutters Worte immer rätselhafter, beinahe so, als sei sie von etwas besessen. Schließlich schien sie ihrer Sache sehr sicher zu sein. 

„Nun ist es soweit“, sagte sie. „Ich wusste, dass wir diese Nachricht heute oder morgen bekommen würden. Es ist schon in Ordnung.“  



Literaturkritikerin Jeon So-yeong:

Als die Großmutter mütterlicherseits erfährt, dass ihr Sohn tot ist, scheint sie es quasi als Schicksal anzunehmen. Sie sagt der Familie, dass sie alles schon in ihrem Traum gesehen habe, und versucht sich, während sie immer weiter Erbsen schält, unablässig einzureden, dass alles in Ordnung sei. Aber eigentlich kann sie nicht akzeptieren, dass ihr Sohn im Kampf gefallen ist. Wenn jemand im Krieg stirbt, verliert nicht nur er sein Leben, sondern in gewisser Weise verlieren auch seine Familienangehörigen ihr Leben. 



Die Dorfbewohner liefen am Haustor zusammen. Als ich hinausging, tauschten sie geheimnisvolle Blicke und flüsterten miteinander. Ein Mann, den ich nicht kannte, ging vorneweg, gefolgt von meinem Vater. Und ein Schritt dahinter war der Mann mit dem Strohhut. Er hielt das Ende des Seils, mit dem meinem Vater die Arme gefesselt waren. Als er mich entdeckte, zwinkerte mich an und grinste. 

Meine Mutter, meine Tante und meine Großmütter standen dicht beieinander vor dem Tor und weinten. Da begann auch ich, eine Art Schmerz zu fühlen. 

Der Mann im Strohhut hatte mir versprochen, nicht zu verraten, was ich ihm sagte. Das war meine erste Erfahrung eines tödlichen Verrats durch einen Erwachsenen.

Meine Großmutter väterlicherseits war mir fortan übel gesonnen. Wenn sie zufällig mein Gesicht sah, schrie sie, als hätte sie eine Schlange gesehen. Sie weigerte sich vehement, mit mir im selben Zimmer zu essen, geschweige denn mit mir zu sprechen. 

Mein Vater wurde nach einer Woche freigelassen. Als er mich verprügeln wollte, war ich entschlossen, nicht wegzulaufen, auch wenn er mich umbrächte. Aber er sagte nie etwas darüber, was damals geschehen war. 

 



Yun Heung-gil, geboren 1942, begann seine Laufbahn als Schriftsteller im Jahre 1968 und wurde unter anderem 2004 mit dem Daesan-Literaturpreis und 2010 mit dem buddhistischen Literaturpreis für moderne Literatur ausgezeichnet. Seine Erzählung „Regenzeit“ erschien 1973.

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