Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Kultur

Choe Il-nam: „Zwei Maultiere“

2020-07-07

ⓒ Getty Images Bank

Die Geschichte spielt in einem Winter in den 1970er Jahren und handelt von der Modernisierung der Stadt, von Ausgrenzung und gegenseitiger Fremdheit. Hauptfiguren sind ein Junge im Grundschulalter und dessen Vater, der als Kohlenhändler arbeitet. 



Als wir den Eingang der steilen Gasse erreichten, ergriff Vater die Zügel, um das Maultier den Hügel hinaufzutreiben. Doch anders als gewöhnlich, wo das Tier einen solchen Hügel trotz der schweren Ladung problemlos hinaufgehen konnte, machten es diesmal schon auf halber Strecke schlapp und ließ den Kopf hängen. Mein Vater stutzte und zog fest an den Zügeln. Ich schob mit aller Kraft von hinten. Das Maultier stemmte sich kräftig gegen den Boden, doch mit seinen Hufen kratzte es nur über das dünne Eis und der Wagen kam kein Stück voran.

Es gingen Leute an uns vorbei, die uns Blicke zuwarfen. Doch keiner blieb stehen und fasste mit an. Das war schon früher so gewesen. Einen kurzen Augenblick mochte ihnen vielleicht der Gedanke gekommen sein, ob sie nicht vielleicht helfen sollten, aber sobald sie sich bewusst machten, dass dies ja nur der Karren des Kohlenhändlers war, gingen sie schnell weiter. 

Ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit griff mein Vater nun zur Peitsche, um das Tier anzutreiben.

Da geschah es. Das Maultier hatte wohl die Kraft verlassen. Der Wagen gab nach und rutschte auf dem Eis nach unten. Das Maultier ging zu Boden und der Stapel der Kohlebriketts stürzte mit lautem Krachen um. Mein Vater stemmte sich mit aller Kraft nach hinten, um den Wagen zu halten, und fiel kopfüber auf 

Doch das wirklich Entscheidende kam danach. Das Maultier, das heftig strampelnd vom Wagen mitgerissen worden war, stand nun plätzlich auf und rannte, ohne sich noch einmal umzuschauen, davon. Vater und ich rannten ihm hinterher. Kinder sprangen erschrocken zur Seite. Eine Schülerin, die uns gefolgt war, rannte voller Entsetzen wieder zurück. Eine alte Frau, die ein Kind auf den Rücken trug, setzte sich erschrocken auf den Boden und ein Taxi, das aus eine Seitengasse kam, machte eine Vollbremsung. Leute riefen durcheinander. Das Maultier war in Richtung der Hauptstraße verschwunden. Vater und ich irrten umher, um es zu finden.

Es begann bereits dunkel zu werden. Einige Autos hatten schon ihre Scheinwerfer angeschaltet. Im Scheinweferlicht sah ich ein Maultier umherlaufen. Aber es war ein anderes Maultier, nicht unsers. 

Mir taten die Beine weh, und ich hatte Hunger. Ich ging nach Hause zurück. Der Vater kam erst kurz vor Beginn der Sperrstunde. Auch er hatte das Maultier nicht gefunden. In dieser Nacht fiel ich in einen tiefen Schlaf ... 

ellen. 




Choe Il-nam, geboren 1932, wurde unter anderem mit dem Yi-Sang-Literaturpreis und mit dem Kulturpreis der Stadt Seoul ausgezeichnet. Seine Erzählung „Zwei Maultiere“ erschien 1974.

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >