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Kultur

Park Ju-yeong: Die Geburt eines Spions

2020-09-15

ⓒ Getty Images Bank

„Welcher Tag ist heute?“, fragte ich. 

Der letzte Tag, an den ich mich erinnern konnte, war ein Oktobertag 15 Jahre vor dem Datum, das man mir nun genannt hatte. Damals war ich 19 Jahre und im letzten Jahr der Oberstufe gewesen und hatte darüber gegrübelt, ob ich Philosophie, Literaturwissenschaft oder Jura studieren sollte.

Wenn das Datum, dass mir der Arzt genannt hatte, stimmte, war ich nun 36 Jahre alt. Er hatte mir gesagt, ich sei 6 Monate bewusstlos gewesen, aber ich hatte offenbar einen Bewusstseinsverlust vin 15 Jahren erlitten. 

„Haben Sie meinen Eltern Bescheid gesagt?“, fragte ich.

„Es tut mir leid, Ihnen dies sagen zu müssen, aber Ihre Eltern leben nicht mehr“, antwortete er. 

Da ich mich nicht an den Tod meiner Eltern erinnern konnte, mussten sie irgendwann innerhalb der vergangenen 15 Jahre gestorben sein. Aufgrund meiner fehlenden Erinnerung spürte ich auch nichts Besonderes beim Gedanken an ihren Tod. Vielleicht war ich als Mensch ohne Wunden der Trauer oder des Schmerzes wiedergeboren worden. 

„Und wer hat sich in der Zwischenzeit um mich gekümmert?“

Meine Eltern waren tot und Geschwister hatte ich auch keine. Ob ich wohl verheiratet war? Aber dann müssten doch meine Frau oder meine Kinder jetzt bei mir sein. Dann war es wohl doch so, dass ich keine Familie hatte.

Ich war plötzlich jemand geworden, der Vermutungen über sein Leben anstellte ...




Park Ju-yeong, Jahrgang 1971, debütierte 2005 und wurde seitdem mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihre Erzählung „Die Geburt eines Spions“ erschien 2009.

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