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Kultur

Baik Sou-linne: „Brauner Kandis“

2021-02-09

ⓒ Getty Images Bank

An dem Tag, an dem meine ganze Familie zum vierten Jahrestag ihres Todes zu Großmutters Grab ging, erzählte mir mein Bruder Sang-woo eine überraschende Geschichte über Großmutter. 

„Sag mal, erinnerst du dich an den alten Mann? Weißt du, der Mann, der damals im ersten Stock wohnte, als wir in Frankreich gelebt haben.“

„Oh, Monsieur Brunier? So hieß er doch, oder? Was ist mit ihm?“

„Großmutter ging damals immer mit ihm aus, oder?“

„Wovon redest du?“

„Als wir damals in Frankreich wohnten, habe ich sie mal Händchen haltend auf einer Bank sitzen sehen, in einem Park in der Nähe unseres Hauses.“

...

Großmutter war es leid, den ganzen Tag zu Hause zu bleiben, und wollte gerade einen Spaziergang durch die Nachbarschaft machen, als sie im Vorgarten stehen blieb. Jemand spielte Klavier.

Die Musik kam aus der Wohnung von Monsieur Brunier. Hinter dem offenen Fenster saß ein silberhaariger Herr zusammengekauert am Klavier.

Es war der „Liebestraum“ Nummer 3 in As-Dur von Franz Liszt. Sobald sie sich an den Namen des Stücks erinnerte, fiel ihr auch der Tag ein, an dem sie es zum ersten Mal gespielt hatte, auf einem schwarzen Yamaha-Klavier im Musikzimmer der Schule. Gleichzeitig spürte sie, wie das Gefühl, die Finger auf die Tasten zu legen, in ihrem Körper wiederbelebt wurde. Sie stand wie angewurzelt vor Monsieur Bruniers Wohnzimmerfenster, das mit drei Geranientöpfen geschmückt war. Bis er mit dem Spielen fertig war, sie erblickte und „Bonjour“ sagte.




Baik Sou-linne, geboren 1982 gewann 2011 den Literaturpreis der Zeitung Gyeonhyang Sinmun und 2020 den Literaturpreis der Zeitung Hankook Ilbo. Ihre Erzählung „Brauner Kandis“ erschien 2020.

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