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Kultur

Choi In-ho: „Der Trinker“ (1970)

2022-07-12

ⓒ Getty Images Bank

Ein kalter Winterwind fegte durch die Marktgasse und wehte hier und da Fetzen von Zeitungspapier umher. Der Junge hatte seit Einbruch der Dunkelheit fünf Kneipen besucht und mindestens sieben Glas getrunken, aber er wollte mehr, als wäre sein Magen noch vollkommen leer. Er kam in der Kneipe „Pjöngjang“ am Ende der Marktgasse an. Er spähte durch das Fenster, um nach einem bekannten Gesicht Ausschau zu halten.


Der Typ mit den langen Koteletten lachte laut auf. Er lachte, wenn er betrunken war. Er lachte, als er erzählte, wie seine Frau auf der Flucht vor dem Krieg von einer Kugel getötet wurde, die ihr ein großes Loch in den Bauch gerissen hatte, und er lachte auch, als er sagte, er würde sich umbringen, bevor er fünfzig werde.

Im Vergleich dazu war der andere Typ ganz anders. Er hatte dunkle Tätowierungen auf seinem Unterarm und warf mit dem Messer, während er völlig ruhig dasaß. Es war der Ersatz für seine im Krieg verlorene rechte Hand.

Der Junge rutschte zögernd zum Tisch hinüber. Auf dem Tisch stand eine Flasche klarer Soju. Er wusste, wie der schmeckte.


„Wo um alles in der Welt ist mein Vater in dieser dunklen Nacht?“, fragte er sich.

Er taumelte einen Moment lang. Aber obwohl er betrunken war, hatte er nicht vergessen, wo das Loch im Zaun war.

Einen Moment lang überlegte er, wie er in dieser samtig glänzenden Dunkelheit sicher in das noch warme Bett kriechen könnte, ohne vom Wärter erwischt zu werden. Doch schon bald ließ er sich von dem für Trinker typischen selbstgefälligen Optimismus überwältigen.

Ein kalter, staubiger Wind wehte von unten herauf. Er roch den Wind wie ein Jagdhund mit zusammengebissenen Zähnen und schwor sich, seinen Vater am nächsten Tag zu finden.




Choi In-ho (1945-2013): „Der Trinker“ (1970)

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