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Kultur

Lim Ok-in: „Geschichte einer dritten Frau“ (1940)

2022-12-27

ⓒ Getty Images Bank

Sehr viele Bekannte erwarteten mich nicht, dort im Dorf S. Da wären meine Schwiegereltern, die nicht zu unserer Hochzeit gekommen waren, und meine Schwäger. Und da wären die Kinder. Ich hatte gehört, dass Yeong-su neun Jahre alt war und Bok-hee sieben. Wie waren Sie? Ein wenig düster wie ihr Vater? Oder so nett wie ihre Mutter, von der ich nur gehört hatte? Würden sie mich Mama nennen? Was würde ich fühlen, wenn ich sie sah?



Nachdem wir geheiratet hatten, schlief er manchmal in einem kleinen Zimmer neben seinem Büro. Nach dem zu urteilen, was meine Freundin Deok-sun mir erzählt hatte, muss es diesen Nächten gewesen, dass er Bok-hees Mutter sehr vermisste.

Diese Frau hatte alles, was mein Mann wollte. Sie eroberte das aufrichtige Herz meines schroffen Mannes und blieb noch lange nach ihrem Tod tief in seinem Herzen. Ihr Gespenst muss in Bok-hee sein. Mein Mann wird ihre Mutter in dem Mädchen spüren und dieses Gefühl sein ganzes Leben lang genießen.

Deok-sun sah sehr betrübt aus. Sie schien es zu bereuen, mir das alles erzählt zu haben. Ich saß nur ausdruckslos und mürrisch da.

Bok-hees Mutter, die nur wusste, wie man Leute herumkommandiert, und die nie einen Finger gerührt hatte, um irgendwelche Hausarbeiten zu erledigen, beanspruchte die Liebe meines Mannes ganz für sich allein. Ich war nichts als das Dienstmädchen dieser Familie. Hatte ich jemals seinen sanften Blick oder seine wahre Zuneigung gespürt?

Nein, niemals. Nicht ein einziges Mal.



Nachdem ich die Verbindung zu Deok-sun abgebrochen hatte, hatte ich außer meiner unmittelbaren Familie niemanden um mich. Aber auch nachdem ich mich so von anderen Menschen distanziert hatte, fühlte ich mich nie einsam oder leer. Das Leben, das in mir wuchs, war mein einziger Freund und das wichtigste Wesen für mich. Es gehörte mir und wenn ich nur daran dachte, ging mir das Herz auf.

Mein sozialer Kreis wurde immer kleiner, aber mein Herz schien immer größer zu werden. Ich lächelte, als ich die Bewegung des Kindes spürte, das in meinem Bauch heranwuchs.




Lim Ok-in (1915-1995): „Geschichte einer dritten Frau“ (1940)

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