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Kultur

Bak Wan-seo: „Vertrocknete Blumen“ (1995) – Teil 1

2023-05-02

ⓒ Getty Images Bank

Ich war noch viel jünger, als ich das Juweliergeschäft einer Freundin in der Hotelpassage besuchte. Damals fühlte ich mich ein wenig stolz, aber gleichzeitig auch ein wenig leer, das heißt, ich musste also weit über vierzig Jahre alt gewesen sein. Alles begann sich bedeutungslos anzufühlen, meine wohlerzogenen Kinder, mein tüchtiger Ehemann, alles schien langweilig zu sein. Als ich anfing, mich so zu fühlen, wurde ich so lethargisch, dass meine Fingerspitzen und Zehen gelähmt schienen. 

Damals eröffnete eine reiche Freundin von mir ein Juweliergeschäft, und ich besuchte den Laden gewöhnlich, ohne etwas zu kaufen. Das hatte sicher etwas mit der Leere zu tun, die ich in mir spürte. 

Was meine Freundin und ich mehr fürchteten als den Tod, war, dass wir an einem Punkt in unserem Leben angelangt waren, an dem wir uns auf nichts anderes mehr freuen konnten als auf das Altwerden.



Ich stieg fünf Minuten vor der Abfahrtszeit in den Bus ein und setzte mich auf einen Fensterplatz. Der Mann stieg ein, kurz bevor der Bus abfuhr. 

Ich sah ihn nicht einmal an. Als er seinen khakifarbenen Trenchcoat auf die Ablage legen wollte, sah ich das nach außen gedrehte London Fog-Etikett am Saum des Mantels. Sein kultivierter Geschmack gefiel mir. 

Der Mann, der eine der Fahrkarten des alten Mannes gekauft hatte, saß nun neben mir. Er sah nicht nur elegant aus, sondern schien auch gut auf auf sein Körpergewicht zu achten. Irgendwie beschäftigte es mich, dass er neben mir saß.

Unbewusst träumte ich davon, mit ihm in einer schicken Bar einen Drink zu nehmen. Der Grund, warum ich mich so seltsam verhielt, hatte vielleicht etwas mit dem Aquamarinring zu tun, den er trug. Vielleicht aber wusste ich im Grunde ganz genau, warum ich mich so seltsam verhielt. 



Die Nachtluft war kühl. Er zog seinen Mantel aus und legte ihn mir über die Schultern. Ich lehnte nicht ab. Stattdessen rundete ich bereitwillig meine Schultern, so dass ich in den Mantel hineinpasste. Ich hatte mein Alter längst vergessen.

Wie es der Zufall wollte, wohnten wir beide im selben Viertel und stiegen in dasselbe Taxi. Der Mann stieg zuerst aus, aber erst, nachdem er mir seine Visitenkarte gegeben hatte.

Meine Wohnung befand sich in einem dreistöckigen Gebäude. Ich vermietete die ersten beiden Stockwerke und bewohnte den dritten Stock allein.

Während ich die vertraute, feuchte Luft in meinem Haus einatmete, sah ich mir seine Visitenkarte an, Es war eine einfache Visitenkarte, auf der nur sein Name, seine private und seine Bürotelefonnummern standen. Ich mochte ihn noch mehr, weil ich dachte, dass es zu ihm passte, als ob ich viel über ihn wüsste.




Bak Wan-seo (1931-2011): „Vertrocknete Blumen“ (1995) – Teil 1

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