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Lifestyle

Über die Kommunikation

2018-10-13

Hörerecke

Soll ich jetzt wirklich ans Telefon gehen?


ⓒ KBS World Radio

Es war im Jahre 2000, als ich das allererste Mal nach Korea kam. Ich hatte ein halbes Jahr fleißig Koreanisch gelernt und freute mich gemeinsam mit den 20 anderen Studenten auf ein weiteres halbes Jahr Koreanischkurs in Seoul an der Hanguk University of Foreign Studies. Ein halbes Jahr lang 20 Stunden pro Woche Koreanischunterricht, damit sollte man doch eigentlich schon ganz gut gerüstet sein. Dachte ich, als ich aufbrach ... 

Tatsächlich sah die Sache dann so aus: Die Konversation mit den Einheimischen verlief anfangs unwahrscheinlich mühsam. Schuld waren natürlich – das stand für mich sofort fest – die Koreaner, die offenbar gar nicht daran dachten, sich an die von mir vorher eifrig einstudierten Dialoge aus dem Koreanischlehrbuch zu halten. Also ehrlich, da war ich natürlich schon ein wenig enttäuscht. Nein, im Ernst, in den allermeisten Fällen verstand ich am Anfang so gut wie kein Wort. Selbst das, was ich hätte verstehen müssen, weil ich es im Unterricht schon gelernt hatte, verstand ich oft nicht, vielleicht, weil es für mich irgendwie anders klang, vielleicht, weil ich in der realen Sprechsituation außerhalb des Klassenraums mit allerlei anderen Ablenkungen zu kämpfen hat, vielleicht auch weil ich so damit beschäftigt war, mir meine eigenen Sätze zurechtzulegen, dass ich gar nicht mehr den Nerv hatte, gleichzeitig auch noch genau hinzuhören, was die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner mir denn gerade mitteilte. Es war eine Qual, und vermutlich nicht nur für mich, sondern auch für meine jeweiligen Gesprächspartner, die jedoch trotz all meiner sprachlichen Unzulänglichkeiten meist gutgelaunt blieben und denen ich dafür zu tiefster Dankbarkeit verpflichtet bin. 


Aufs Englische auszuweichen, verbot mir mein intellektueller Stolz, ein bisschen albern vielleicht, aber ich sagte mir, komm Junge, du bist hier in Korea – und zwar freiwillig, die Leute sprechen hier alle Koreanisch, und du willst Koreanisch lernen. Was willst du da bitte schön mit Englisch? Also, die harte Tour. Um konversatorisch irgendwie über die die Runden zu kommen, folgte ich meist der einfachen Grundregel: Bei einem nichtverstandenen Satz darf ich zweimal nachfragen. Einmal nachfragen darf man ja sowieso, finde ich. Und zweimal geht auch noch, wenn es nötig ist. Aber nicht dreimal, das fängt an zu nerven, und außerdem gibt es im Gespräch schließlich oft wichtigere Dinge, als alles genau zu verstehen. Was wichtiger ist? Zum Beispiel das Gespräch selbst. Bevor man das Gespräch durch dauerndes Nachfragen vollkommen erstickt, ab und an lieber erstmal freundlich nicken und hören, was da sonst noch so kommt. 


Einfachste Dinge wurden anfangs zur Herausforderung. Dass ich jeden Tage Bekanntschaften machte, war schon schön, aber irgendwann bereute ich es ein wenig, jeden Tag ein gefühltes Dutzend neuer Nummern auf meinem Handy gespeichert zu haben. Denn vor einer Sache graute es mir ganz besonders fürchterlich. Nämlich davor, Telefonanrufe annehmen zu müssen. Da konnte man besonders viel falsch oder nicht verstehen, und dem Gesprächspartner nicht einfach nur freundlich zunicken. Da musste man hellwach und blitzschnell sein. Dass ich manchmal die Namen flüchtiger Bekannter durcheinanderbrachte, die sie aus heiterem Himmel um zwei Uhr morgens bei mir meldeten, habe ich mir inzwischen verziehen, aber einige Gespräche mit vollkommen unbekannten Personen sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Einmal musste ich beispielsweise für einen Freund einen Anruf des Paketdienstes annehmen. Der Lieferant konnte die Wohnung nicht finden. Und nun sollte ich ihm den Weg erklären. Das war natürlich Pech für uns beide. Aber ich gab mein Bestes, und wenn er etwas gesagt hatte, antwortete ich freundlich mit „Mhm, mhm“, um irgendwie zu signalisieren, das ich noch dran war. Ich hatte am Ende das Gefühl, mich im Rahmen meiner Möglichkeiten einigermaßen freundlich und korrekt verhalten zu haben, aber irgendwann kam vom anderen Ende der Leitung der Anschnauzer: Ich solle gefällst aufhören, ihn dauernd zu duzen. Mein „Mhm mhm“, klang für ihn nämlich wie „응 응“. Dieses Wort hat im Koreanischen die konkrete Bedeutung „ja“ und wird nur in der untersten Sprechstufe verwendet. Kein Wunder, dass er mich für extrem unhöflich hielt. Noch heute zucke ich manchmal zusammen, wenn das Telefon klingelt, und atme einmal tief durch, bevor ich abnehme. Telefonaten mit Ämtern und Behörden gehe ich tunlichst aus dem Weg oder bereite sie, wenn sie sich gar nicht vermeiden lassen, gründlich vor. 


김현식 - 아무 말도 하지 말아요


„아무 말도 하지 말아요 (Sag nichts)“ singt Kim Hyun-shik in seinem eben gehörten Lied, eine Aufforderung, der ich anfangs in Korea zwangsläufig öfter gefolgt bin, als mir lieb war, und dabei bisweilen auch den inneren Blues bekommen habe. 

Sprachliche Beschränktheit ist anstrengend, kann aber durchaus auch ihre Vorteile haben. Dadurch dass ich mich sehr einfach ausdrücken musste, sprach ich nur selten über vollkommen überflüssiges Zeug. Für oberflächliches Dauergequatsche oder schlaues Gelaber fehlte mir schlicht das Vokabular. Auch Streit kam nicht vor, denn schlagende Argumente hätte ich ohnehin kaum welche gehabt, von krachenden Schimpfwörtern oder subtilen verbalen Spitzen ganz zu schweigen. Dies mögen meine Gesprächspartner vielleicht als recht angenehm empfunden haben, und möglicherweise verdanke ich meinen Ruf als tendenziell höflicher, freundlicher Mensch einfach nur meiner mangelnden Ausdruckfähigkeit. Tendenzielle Schweigsamkeit in Verbindung mit einem freundlichen Lächeln wirkt auf viele Menschen offenbar außerdem auch irgendwie intelligent, zumindest eben nicht unbedingt unsympathisch. Mit selbstsicher dargebotener Wortkargheit kann man einen unheimlich starken Eindruck machen. Obwohl es sich dabei andererseits natürlich im Grunde auch um eine ziemlich miese Schummelei handelt.


Wenn man sprachlich so unbeholfen ist, wie ich es damals war, weicht man zwangsläufig auf andere Kommunikationsmittel aus: Auf Gestik und Mimik. In Korea habe ich mich wieder daran erinnert, dass mein Körper, mein Gesicht und meine Hände auch sprechen können. Je stärker das Wort in den Hintergrund tritt und der Gesichts- und Körperausdruck in den Vordergrund, desto eher gerät man auf eine unmittelbare, emotionale Ebene. Ein freundliches, offenes Lächeln sagt viel klarer und unmittelbarer, dass man einander versteht, als wenn man höflich klingende Sätze aufsagt. Manchmal denke ich, dass die menschen einander vielleicht näher kämen, wenn sie auf die Sprache verzichten, und nur mit dem Gesicht kommunizieren würden – aber vielleicht ist das auch Quatsch.  Und auch mit Händen und Füßen gestikuliere ich seitdem gerne, denn wenn mein Körper mich beim Sprechen unterstützt, gibt mir dies eine gewisse innere Sicherheit. (Die meisten Koreaner dagegen, ansonsten eigentlich recht temperamentvoll, gestikulieren übrigens, anders als man vielleicht annehmen könnte, im Gespräch eher selten.) 

Die Beschränkung auf das Wesentliche, auf das Einfache, zu der ich im Koreanischen gezwungen war und weitgehend immer noch bin, war für mich – das kann ich heute so sagen – ein Segen. Der Kopf wird frei, die Gedanken werden klar. „Möchtest Du Reis essen? Ja, gern. Der Reis schmeckt gut. Ja, er schmeckt gut.“ Reicht das denn nicht vollkommen aus? 


Dies soll allerdings kein Plädoyer dafür sein, andauernd die Klappe zu halten. Sprache ist schließlich beileibe kein schlechtes Mittel, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Und mit Sprache lassen sich nur nur Probleme schaffen, sondern auch welche lösen. Welche Menschen und Situationen mir einfallen, wenn ich an meinen ersten Koreabesuch denke, davon erzähle ich beim nächsten Mal. 

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