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Nordkorea

Veränderungen durch die Märkte in Nordkorea

2019-02-28

Schritte zur Wiedervereinigung

© KBS

Heute beleuchten wir noch einmal die Märkte in Nordkorea, die auf Koreanisch Jangmadang heißen. Es gibt mittlerweile mehr als 400 offiziell genehmigte Märkte in Nordkorea. Welche Veränderungen haben die Märkte bewirkt? Der Flüchtling Chung Si-woo, der bis 2017 selbst das Markttreiben in Nordkorea erlebte, sagt dazu:


Wegen des kräftigen Wachstums der Jangmadang sind Warenhandel und Vertrieb mittlerweile recht geläufig. Das Bewusstsein der Nordkoreaner für die Marktwirtschaft und den Kapitalismus wächst. Die Märkte haben die Wirtschaft völlig verändert. Selbst ein Heimlieferservice für schwere Markteinkäufe ist möglich. Die für die Auslieferung zuständigen Arbeiter tragen die Waren auf dem Rücken oder bringen sie mit Fahrrädern oder Handkarren zum Haus der Kunden.


Etwa 80 bis 90 Prozent der Nordkoreaner besorgen sich ihre Dinge des täglichen Bedarfs auf den offiziellen und inoffiziellen Märkten des Landes. Dies rief auch private Investoren auf den Plan, die Donju genannt werden. Cho Bong-hyun, Vize-Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts der Industriebank Koreas, weiß mehr über diese kapitalistische Gruppe:


Donju sind die neue Klasse der Wohlhabenden und treibende Kraft hinter den Jangmadang. Zur Zeit der Planwirtschaft wurde alles streng kontrolliert, nur Beamte von Partei und Regierung konnten heimlich Reichtümer anhäufen. Mit dem Aufstieg der Märkte begannen Privatpersonen, enge Beziehungen mit den Mächtigen einzugehen und machten ein Vermögen im Handel oder Immobiliengeschäft. Es soll Hunderttausende dieser neureichen Händler und Geschäftsleute geben. Wer mehr als 100.000 Dollar Vermögen besitzt, gilt als Donju. Angesichts eines Pro-Kopf-Einkommens in Nordkorea von 1.200 bis 1.300 Dollar ist die Kaufkraft dieses Geldes etwa zehnfach höher als in Südkorea. Nur, wer eine so hohe Summe besitzt, kann sich als Donju bezeichnen.


Donju heißt so viel wie „Meister des Geldes“ oder „Besitzer des Geldes“. Sie kamen zur Zeit der in Nordkorea „Eiserner Marsch“ genannten Hungersnot in den späten 1990er Jahren auf. Damals war das seit Jahrzehnten bestehende System der Nahrungsmittelrationierung kollabiert. Die Menschen mussten sich selbst helfen und wer geschickt mit Geld umgehen konnte, gelangte zu Reichtum. Einst starteten die Donju als Markthändler und weiteten ihre Aktivitäten immer weiter aus. 


Die reichen Händler investieren heute nicht nur in die Jangmadang, sondern auch in den Vertrieb und sogar in das Baugeschäft. Weil die Behörden nicht genug Geld haben, erlauben sie den Donju Investitionen in Immobilien. Die Donju sind als Geldverleiher auch im Finanzgeschäft aktiv. Wer Geld verdienen will, braucht Verbindungen zu den Mächtigen. Es ist eine symbiotische Beziehung. Die aufsteigende Klasse der Donju ist heute mächtig genug, um Einfluss auf die Behörden auszuüben.


Seit der Machtübernahme durch Kim Jong-un gelten die Donju als hauptsächliche Kraft hinter der Zuwendung zur Marktwirtschaft. Die tiefgreifenden Veränderungen haben eine sogenannte Jangmadang-Generation hevorgebracht. Gemeint sind die nach 1990 geborenen Nordkoreaner. Noch einmal Herr Chung, der Jahrgang 1991 ist.


Als Mitglied der Jangmadang-Generation kann ich sagen, dass Geld Leute macht und nicht umgekehrt. Dabei ist es gleich, ob es sich um eine kapitalistische oder sozialistische Gesellschaft handelt. Auch in einem sozialistischen Staat können nur die Reichen gut behandelt werden. Selbst die Kinder von hohen Parteikadern können machtlos sein, wenn sie kein Geld haben. Die meisten von ihnen zögern damit, Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie entscheiden sich für eine gute Bildung, damit sie die Berufe der Eltern ergreifen können. Kinder der Mittelschicht hingegen haben großes Interesse am Geldverdienen, da sie den unbedingten Wunsch nach einem besseren Leben haben. Viele junge Menschen in ihren Zwanzigern betreiben ein Restaurant oder arbeiten im Kohlegeschäft und besitzen mehrere Autos.


Die Angehörigen der Jangmadang-Generation wuchsen in schwierigen Zeiten auf, die von Hunger und Not geprägt waren. Staatliche Hilfe konnten sie in dieser Zeit nicht erwarten. Ihre Loyalität zum Regime ist daher eher schwach ausgeprägt. Als Kinder gingen sie lieber auf Märkte statt in die Schule, um mit dem Verkauf von Waren ihr Überleben zu sichern. So kamen sie auf natürliche Weise mit der Marktwirtschaft in Berührung. Chung hatte in Nordkorea eine Tischtennishalle betrieben und in einen Brothersteller investiert. Viele aus der Jangmadang-Generation nehmen Teilzeitjobs an, um die Ersparnisse in ein eigenes Geschäft zu investieren. 


Junge Menschen können leicht ein eigenes Geschäft starten, wenn sie finanzielle Unterstützung von den Eltern bekommen. Wer aus einer armen Familie kommt, muss hingegen Autos waschen, als Be- und Entlader arbeiten oder Waren ausliefern. Autowäscher ist ein sehr harter Job, die Teilzeitkräfte waschen von 7 bis 21 Uhr. Sie können nicht einmal fünf Minuten Pause machen und müssen ihr Essen in einer Ecke hinunterschlingen. Doch verdienen sie 50.000 nordkoreanische Won oder fünf US-Dollar am Tag. Bedenkt man, dass der monatliche Durchschnittslohn weniger als einen Dollar beträgt, sind fünf Dollar eine große Menge Geld.


Das auf diese Weise verdiente Geld investieren sie in ein eigenes Geschäft für Großhandel, Einzelandel oder Dienstleistungen. Andere machen technologiebezogene Geschäfte unter Nutzung des nationalen Intranets. Einige junge Geschäftsleute handeln auf der Online-Plattform Manmulsang des Intranets. Der Name bedeutet Warenhaus und dort werden etwa 4.000 Produkte angeboten, darunter Schuhe und elektronische Geräte. Diese Aktivitäten würden Nordkorea laut Cho in eine Marktwirtschaft verwandeln.


Früher hatte die Partei alles entschieden und die Menschen gezwungen, ihren Anordnungen Folge zu leisten. Die Menschen lebten in einer streng kontrollierten Gesellschaft, die von der Juche- oder Eigenständigkeitsideologie beherrscht war. Heute können sie freier entscheiden und sich an wirtschaftlichen Aktivitäten auf den Märkten beteiligen. Sie können anders als in der Vergangenheit ihre wirtschaftlichen Geschicke selbst bestimmen und die Regierung kann sie bei Bedarf unterstützen. Wirtschaftsaktivitäten in Nordkorea sind anders als der herkömmliche Top-Down-Ansatz ein Mechanismus, der von unten nach oben wirkt. Wenn der Trend anhält, könnte sich Nordkoreas Wirtschaftslage verbessern und das Land kann sich auf natürlichere Weise in Richtung Reformen und Öffnung bewegen. Aus meiner Sicht sind die Märkte Jangmadang ein wichtiges Werkzeug, um den grundlegenden Rahmen des nordkoreanischen Wirtschaftssystems zu ändern.


Experten sind für die Zeit nach einem Abbau der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel optimistisch. Denn mit den Märkten Jangmadang im Zentrum des sich schnell entwickelnden Nordkorea, ließe sich der Prozess der Reform und Öffnung dann noch schneller vorantreiben.

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