Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Nordkorea

Die Massengymnastik-Shows in Nordkorea

#Schritte zur Wiedervereinigung l 2022-05-25

Schritte zur Wiedervereinigung

ⓒ KBS

Das innerkoreanische Gipfeltreffen zwischen dem ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in und dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un im September 2018 in Pjöngjang lenkte weltweit große Aufmerksamkeit auf sich. Für die Koreaner wird vor allem eine öffentliche Rede Moons in Erinnerung bleiben. Es war das erste Mal, dass ein südkoreanischer Präsident eine Rede in der nordkoreanischen Öffentlichkeit vortrug. Vor 150.000 Menschen im Rungrado-Stadion des Ersten Mai sagte Moon, die Koreaner hätten 5000 Jahre lang zusammengelebt, doch seit 70 Jahren lebten sie getrennt. Er rief dazu auf, die Ära der Feindseligkeiten zu beenden. Damals veranstaltete Nordkorea auch eine seiner Massengymnastik- und Akrobatik-Aufführungen. Die Show mit dem Titel “Glorreiches Land” fand zu Ehren des Besuchs von Moon statt. Sie wurde im Prinzip als Propaganda-Spektakel produziert, doch wich sie von früheren ähnlichen Darbietungen ab, um eine Botschaft des Friedens und der Widervereinigung zu verkünden. Eine große Flagge der koreanischen Halbinsel wurde zum Volksmusikstück Arirang gezeigt, um die Show zu beginnen. Tausende von Menschen hatten große Karten oder Plakate, die sie bei Bedarf hochhielten, in der Hand, um damit ein Mosaikbild zu schaffen, auf dem geschrieben stand: “Wir begrüßen Präsident Moon in Pjöngjang”. Es gab traditionelle Musik, Darbietungen der koreanischen Kampfkunst Taekwondo, sowie Massengymnastik, Tänze und eine Drohnenshow waren zu sehen. In Nordkorea sind diese Massenspiele mehr als nur eine Show. Darüber sagt Kim Chae-won, die in Südkorea ein Forschungsinstitut leitet, das Tanzkulturen miteinander vergleicht: 


Bei den nordkoreanischen Massenspielen treten mehr als 100.000 Personen auf. Ich glaube, nur sehr wenige Länder in der Welt können eine solche Menschenmenge für eine derartige Massenaufführung mobilisieren. Nordkorea ist stolz darauf, die Massengymnastik-Show zu besonderen Gelegenheiten oder für ausländische Besucher präsentieren zu können. Die Show ist Teil eines Reisepakets für Ausländer, und Nordkorea nimmt damit Devisen ein. Im Inland spielt die Show eine große Rolle, um die ideologische Erziehung der Öffentlichkeit und die innere Einheit zu stärken. 


Im nordkoreanischen “Großen Wörterbuch für die koreanische Sprache” wird ein Massenspiel als neue Form einer umfassenden Sportart beschrieben, die athletisches Können mit ideologischen und künstlerischen Inhalten miteinander verbindet. Nordkorea definiert Künstler als Kämpfer an der kulturellen Front. Laut der offiziellen Zeitung Rodong Sinmun hat die Show ihren Ursprung in der sogenannten “Blumengymnastik”, die 1930 durch den Republikgründer Kim Il-sung geschaffen und an der Jinmyong-Schule in Changchun in der chinesischen Provinz Jilin eingeführt worden sei: 


Über Nordkoreas Gymnastikaufführung ist bekannt, dass sie von der “Blumengymnastik” stammt, die von Kim Il-sung als Teil seiner Aktvitäten für die Landwirtschaftsrevolution in den 1930er Jahren kreiert wurde. Es wird angenommen, dass die Leute damals zusammenkamen, um Buchstabenbilder zu zeigen. Gymnastik-Shows begannen 1947 damit, Dehnübungen und anderes vorzuführen, als das Land eine Aufführung mit dem Titel “Hurra, General Kim Il-sung” abhielt. Die Karten wurden erst später eingeführt. 


Die bunten Karten oder Plakate wurden 1955 bei einer Show namens “Lied der Befreiung” eingeführt, um den zehnten Jahrestag der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft zu feiern. Der Umfang der Veranstaltung wurde 1958 erweitert, und mehr als 10.000 Menschen nahmen an der Show “Glorreiches Land” teil. Die Aufführung “Die Ära der Arbeiterpartei” von 1961 gilt als Originalversion der heutigen Massengymnastik-Show: 


Die Gymnastik-Einheit präsentiert Akrobatik, Tanz und Gymnastikeinlagen auf dem Boden. Jede Bwegung hat eine symbolische Bedeutung. Die Arme schräg in die Höhe zu nehmen, ist zum Beispiel ein Zeichen des Respekts, während Bewegungen, die dem Schaufeln oder einem Hammerschwung ähneln, für die Arbeit stehen. In der “Sammelbewegung” bilden zwei oder mehr Menschenn einen menschlichen Turm. Die Aufführenden benutzen verschiedene Dinge, wie etwa Keulen, Bälle, Sprungseile, Reckstangen und Leitern.  


Die Musik soll die Teilnehmer dazu bringen, sich in perfekter Überinstimmung zu bewegen. Der Gebrauch der Drehkarten wird als eine Art des Bildermalens gesehen:


Wie aus einem Bühnenhintergrund erläutert und ergänzt die  Kartenpräsentation von den Rängen die vorgestellten Themen der Gymastikeinheiten. Die Gruppe im Hintergrund besteht aus Schülern im Alter zwischen 13 und 15 Jahren. Sie erhalten nach der Schule ein Training. Sie müssen sich auf perfekte Weise synchron bewegen, was eine hohe Konzentration erfordert. 


Im vergangenen November berichtete die Rodong Sinmun über eine Informationsveranstaltung, die zum 50. Jahrestag der Gründung einer Organisation, die ausschließlich für die Massenspiele verantwortlich ist, stattffand. Nordkorea hält diese Massenspiele in der Hauptstadt und in den anderen Provinzen an wichtigen Jahrestagen ab. Doch gibt es kein permanentes System für die Show. Wann immer Bedarf ist, stellen Turn-, Musik- und Kunstlehrer der lokalen Schulen vorübergehend ein Team zusammen, das für eine Show zusammenarbeitet. Um die Vorbereitungen effizienter zu gestalten, wurde im November 1971 eine Organisation für die Massenspiele gegründet:


Die Organisation wurde mit dem Zweck gegründet, die Massenspiele zu entwickeln. Sie besteht aus verschiedenen Abteilungen für die Leitung, die Gymnastikeinlagen, die Kartenpräsentation und die Musik. Experten für die Gymnastik, den Tanz, Musik und Bühnenkostüme arbeiten in der Organisation. Für die Aufführung wird eine dreistufige Prozedur durchlaufen. Auf der ersten Stufe entsteht das Drehbuch, auf der zweiten lernen die Schüler die Grundbewegungen, während die Kostüme, Requisiten und die Bühne vorbereitet werden. In der dritten Phase werden ein umfassendes Training und eine Probe abgehalten. Schüler, die ihr Training an den Schulen durchlaufen haben, kommen zur Probe auf dem Kim-Il-sung-Platz, vor dem Kulturhaus des 25. April oder dem Pjöngjang-Gymnasium zusammen. 


Während die Massenspiele von Schülern und Arbeitern aufgeführt wurden, wurden für die schwierigen und wichtigen Abschnitte Personen ausgewählt, die Sport oder Tanz studiert haben. Die “Schule der physischen Erziehung für Jugendliche” wurde 1983 unter der zuständigen Organisation gegründet. In den 2000er Jahren wurden die Massenspiele größer und komplexer. Eine Massenaufführung mit dem Titel “Die ewig siegreiche Arbeiterpartei” wurde 2000 gezeigt, um den 55. Gründungstag der Partei zu begehen. Sie umfasste mehr als 100.000 Menschen und wurde in “Massengymnastik- und Akrobatik-Aufführung” umbenannt: 


“Die ewig siegreiche Arbeiterpartei” hatte am 12. Oktober 2000 im Stadion des Ersten Mai Premiere. Die gewaltige Show illustrierte durch Musik, Tanz, Zirkus– und Kartenpräsentationen den Hintergrund der Parteigründung und ihre Geschichte. Sie wurde außerhalb des Landes bekannt, als sich die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright, die damals Nordkorea besuchte, die Aufführung ansah. Kernmitglieder der besten nordkoreanischen Kulturgruppen, wie etwa die Pibada-Theatertruppe, die Mansudae-Kunsttruppe und der Pjöngjanger Zirkus, leisteten ihren Beitrag dazu. 


Zwei Jahre später feierte Nordkorea den 90. Geburtstag von Kim Il-sung, den 60. Geburtstag seines Sohnes und Machtnachfolgers Kim Jong-il, sowie den 70. Gründungstag der Volksarmee. Nordkorea nahm dies zum Anlass, um eine monumentale Massengymnastik- und Akrobatik-Aufführung mit dem Titel “Arirang” zu zeigen. Auch an Arirang nahmen etwa 100.000 Menschen teil. Im Zentrum stand das Thema eines Volks, das das Volkslied Arirang sang, nachdem es ihr Land an eine Kolonialmacht verloren hatte, sich jetzt aber zusammenschloss und in eine neue Ära der “Militär-Zuerst”-Revolution marschiert. Die Arirang-Massenspiele wurden 2005 der Außenwelt bekannt gemacht und erhielten 2007 einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als die größten Massengymnastikspiele: 


Mit dem koreanischen Volkslied als Titel war Arirang eine große Aufführung, die eine Stunde und 20 Minuten dauerte. Sie präsentierte verschiedene koreanische Volkstänze einschießlich des Trommeltanzes und des Fächertanzes, des Sangmo und des Schwerttanzes. Die riesigen Mosaikbilder, die von Zehntausenden Schülern gebildet wurden, sahen wie eine Computergrafik aus. Schüler bauten menschliche Türme, übten Seilspringen in Dreier- oder Vierergruppen und Trommelbewegungen aus. Akrobatische Nummern wurden ohne Sicherheitsnetz ausgeführt. Als eine komplette Sammlung der nordkoreanischen Massenspiele, von Musik über Tanz bis hin zu epischen Gedichten, repräsentierten die Arirang-Spiele einen wichtigen Moment in der darstellenden Kunst des Landes, wie etwa die Revolutionsoper Pibada in den 1970er Jahren. 


Laut dem britischen Ethnomusikwissenschaftler Keith Howard folgt die Choreographie der nordkoreanischen Massenspiele einem komplexen Aufbau. Ein einziger Ausrutscher könne die gesamte Choreographie zerstören. Die Show propagiere den Kollektivismus auf bisher nicht gekannte Weise, sagt Howard: 


In Nordkorea wird das Propagandamaterial von Experten geschaffen, die von der Regierung ausgewählt werden, bevor es an die Bürger verteilt wird. An den Massenspielen dagegen nehmen die Bürger direkt teil. Wenn sie ihre Freunde und Nachbarn sehen, die daran teilnehmen, sind sie einer Propaganda auf einer neuen Ebene ausgesetzt. Die Teilnehmer selbst lernen, dass sie einen wichtigen Teil einer massiven Show einnehmen und entwickeln ein Gefühl der Zugehörigkeit. So spüren die Teilnehmenden und Zuschauer, dass die Ideologie auf natürliche Weise verfeinert wurde. 


Im Amorepacific-Kunstmuseum im Seouler Stadtteil Yongsan findet derzeit eine Ausstellung des deutschen Photographen Andreas Gursky statt. Eines der ausgestellten Werke trägt den Titel “Pjöngjang VI”, das Teil seiner “Pjöngjang-Serie” ist, die er 2007 in Nordkorea aufgenommen hat, um das Arirang-Festival zu dokumentieren. Aus der Distanz sieht der Besucher eine aufgehende Sonne über einer großen Blume. Schaut man jedoch genauer hin, sieht man, dass Menschen ein riesiges Bild schaffen. Einzelpersonen werden von einer riesigen Gruppe überschattet. Das Bild wird dahingehend interpretiert, dass Einzelne in einem unterdrückerischen sozialistischen System in die Falle geraten sind. 

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >