Nachrichten

Koreanische Halbinsel von A bis Z

Blick auf Nordkorea

Die Geschichte von “Shim Cheong” in Nordkorea

2021-07-15

ⓒ Getty Images Bank

Eine der repräsentativsten klassischen koreanischen Sagen ist “Die Geschichte von Shim Cheong”, die das Thema der Kindespflicht aufnimmt. Sie spielt vor dem Hintergrund der Joseon-Ära, als die Kindespflicht als sehr wichtig angesehen wurde. Die Geschichte war zunächst als das traditionelle Genre der musikalischen Erzähung des Pansori bekannt, und später wurde daraus eine Sage. Die Sage erschien später in Holzschnittausgaben. Während der letzten Jahre von Joseon waren gedruckte Sagen sehr günstig zu haben. Sagen in jener Zeit waren sehr beliebt und “Die Geschichte von Shim Cheong” war eine von ihnen. 


In Südkorea gibt es kaum jemand, der diese Volksgeschichte nicht kennt. Deren Handlung: Ein gefallener Adliger namens Shim Hak-gyu kümmert sich allein um seine Tochter Shim Cheong, nachdem seine Frau nach der Geburt des Kindes gestorben war. Cheong wächst als pflichtbewusste Tochter auf, die sich um den blinden Vater sorgt. Sie beschließt, sich zu opfern und ins Wasser zu steigen, damit ihr Vater seine Sehkraft wiedererlangt. Vom Sinn für ihre Kindespflicht beeindruckt, gibt der Königsdrache im Meer das Mädchen der Menschenwelt wieder zurück, und sie wird zu einer Königin. Sie hält ein Fest für alle blinden Menschen im Königreich ab und wird mit ihrem Vater wiedervereinigt. Überrascht und erfreut, die Stimme seiner Tochter zu hören, erlangt Herr Shim seine Sehkraft zurück. Seit der Teilung der koreanischen Halbinsel wurde diese Volkgeschichte in Süd- und Nordkorea unterschiedlich interpretiert. Dazu sagt Yee Jisun vom Korea-Institut für Nationale Vereinigung:  


Direkt nach der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft gründete Nordkorea eine Reihe von Künstlertruppen mit dem Zweck, eine neue nationale Kultur zu etablieren. Damals führte die nationale Theatertruppe verschiedene Stücke auf, darunter “Die Geschichte von Shim Cheong”. Nach dem Korea-Krieg interpretierte Nrodkorea Traditionen und die klassische Literatur um, damit sie zum sozialistischen Regime passten. Viele klassische Novellen einschließlich der “Geschichte von Shim Cheong” wurden zum Changgeuk, eine traditionelle Oper, umgeschrieben. In der Ausgabe von 1988 wurde “Die Geschichte von Shim Cheong” komplett als theatralische Vorführung im Pibada-Stil neu geschaffen. Pibada ist der Titel einer nordkoreanischen Oper. Sie kombiniert traditionelle Elemente mit Sozialismus und ändert das Verhalten und die Gedanken der Figuren auf eine Weise, die dem Geist des Sozialismus entspricht. 


In der nordkoreanischen Lesart wird der traurige Teil, in dem der blinde Vater allein seine Tochter großzieht, verändert:


Nach dem Tod seiner Frau bittet der blinde Mann in der Nachbarschaft um Muttermilch, um sein Baby zu füttern. Das ist in der usprünglichen Pansori-Aufführung eine sehr traurige Szene. Doch in der nordkoreanischen Version fühlen die Dorfbewohner Mitleid mit dem armen Mann und seiner Tochter und tun sich zusammen, um ihnen zu helfen. Die gemeinsame Kinderfürsorge zeigt einen Weg aus der Krise durch kollektive Kraftanstrengung. Die Nöte der Figuren werden also nicht als tragisch gesehen, sondern als Mittel, um den Kollektivismus zu betonen. 


In der ursprünglichen Erzählung fällt der blinde Vater in einen Graben, als er eine Brücke überquert. Ein buddhistischer Mönch rettet ihn und sagt ihm, dass er seine Sehkraft wiedererlangt, falls er Buddha 300 Reisbeutel anbietet und ernsthaft betet. Shim Cheong erfährt davon und beschließt, statt der Gabe von Reisbeuteln sich Seeleuten zu opfern. Eine adlige Frau namens Jang in der Nachbarschaft, die Shim Cheong wie ihre eigene Tochter liebt, schlägt vor, ihrerseits die 300 Reisbeutel herzugeben, und überzeugt das Mädchen davon, den Vertrag mit den Seeleuten zurückzunehmen. Die Version dieses Teils wird in Nordkorea im Licht der Klassenunterschiede erzählt:

 

Die nodkoreanische Version kritisiert Frau Jang, die der Oberschicht angehört, wegen ihres Mitgefühls für Shim Cheong, die das Volk repräsentiert. Nordkorea sagt, dass dieser Teil übertrieben dargestellt ist. Shim Cheongs Ablehnung des Vorschlags von Jang wird als ihre Entschlossenheit gesehen, sich an die Seeleute zu halten. Dieser Teil unterstreicht das Gewissen und den Glauben des Volks. In Südkorea dreht sich die “Die Geschichte von Shim Cheong” um die Pflicht gegenüber den Eltern. Die nordkoreanische Ausgabe geht darauf aus der Perspektive der Moral ein. 


Auch wird Herr Shim nicht als Adliger, sondern als gewöhnlicher Bürger beschrieben: 


In Nordkorea ist der Konflikt zwischen der herrschenden Klasse und der unterdrückten Klasse sehr wichtig. Die Erfolgsstory eines guten Adligen macht in Nordkorea keinen Sinn. Daher wird Shim und seiner Tochter der Adligen-Status abgesagt. In der nordkoreanischen Interpretation stammt die Misere von Beschränkungen der feudalen Zeit. 


Das glückliche Ende der Geschichte betont den Sieg der guten Menschen: 


In Süd- und in Nordkorea werden klassische Sagen so verändert, dass sie von Kindern einfach gelesen werden können. Doch in Nordkorea sind darin auch sozialistische Elemente enthalten. In der nordkoreanischen Version ist Shim Cheong eine gutherzige und fleißige Arbeiterin. Sie wird auch als moralische Person beschrieben, um ein Modell zu sein, dem die Menschen folgen.

Aktuelle Nachrichten