Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Bak Gyeongni: „Zeit des Misstrauens“

2021-05-04

ⓒ Getty Images Bank

An einem Frühsommertag in dem Jahr, als Mun-su neun Jahre alt wurde, sah Jin-young im Traum den jungen Soldaten, dessen gebrochener Darm von Fliegen übersät war. Als wäre dieser Traum ein böses Omen, starb Mun-su am nächsten Tag. In dieser Nacht regnete es.Er wurde in ein Krankenhaus gebracht, nachdem er auf der Straße zusammengebrochen war. Der Arzt führte jedoch eine Gehirnoperation durch, ohne Röntgenaufnahme und ohne Narkose. Der Junge überlebte nicht. 

Jin-young, die bereits an Tuberkulose litt, hatte nach ihrem Mann nun auch ihren Sohn verloren. Immer wieder hatte sie Albträume.

Als fromme Katholikin ging sie mit einer Verwandten in die Kirche.

"Ich gehe nicht in die Kirche, um Erlösung zu bekommen. Ich möchte glauben, dass es den Himmel gibt und dass es Mun-su dort gut geht“, sagte sie und überzeugte sogar ihre buddhistische Mutter, sie in die Kirche zu begleiten.

Eine Gruppe von Kindern saß im Schatten unter einem Baum. Daneben ein Mann mittleren Alters, der Kreuze und Bibeln verkaufte. Jin-young beobachtete die Szene, als käme sie selbst aus einem fernen Land. Sie beobachtete die Gemeindemitglieder, die unbeholfen ihre eigenen Schuhe in der Hand trugen. Sie erinnerte sich plötzlich an ein Spottlied, in dem es hieß: "Ging in die Kirche, um Jesus zu preisen, doch als man mir sagte, ich solle meine Augen im Gebet schließen, stahl man mir die Schuhe.“ Da wurde sie von unbeschreiblicher Angst gepackt. Wie konnte sie es wagen, Gott in seinem eigenen Haus zu beleidigen? Jin-young fühlte sich schuldig.


„Ich bete für meinen armen Sohn Mun-su. Ich bete, dass seine unschuldige Seele vom Schmerz befreit wird und nur Frieden fühlt“, sagte sie.

Die Messe war fast vorbei, als Jin-young einen Sammelkorb an einer langen Stange auf sich zukommen sah. Langsam bewegte sich der Opferkorb in die hintere Reihe. Jin-young fühlte sich an den Hut eines zerlumpten Straßenmusikers erinnert, den man in der Menge herumgehen ließ. Sie verließ die Kirche ...




Bak Gyeongni (1926-2008) ging mit vor allem mit ihrem 16-bändigen Roman-Epos „Land“ in die koreanische Literaturgeschichte ein. Ihre Erzählung „Zeit des Misstrauens“ stammt aus dem Jahr 1957.

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >