Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Kultur

Yi Sunwon: „Auf der Suche nach einem Maultier“

2021-03-09

ⓒ Getty Images Bank

Als Suho in die vierte Grundschulklasse geht, erfährt seine Tante, dass sie keine Kinder bekommen könne. Die Erwachsenen beschließen, dass Suho von Tante und Onkel adoptiert werden soll, damit diese später jemanden haben, der die Ahnenriten durchführt. 



Als ich hörte, wie die Leute im Dorf mich den „Adoptivsohn der Maultierfamilie“ nannten, wurde mir klar, weshalb mich die Erwachsenen in letzter Zeit so liebevoll behandelten. Ich fragte meine Mutter, wieso ich, der dritte Sohn, zu Tante und Onkel gehen sollte und nicht mein älterer Bruder.

„Weil Onkel und Tante dich ausgewählt haben. Sie wollen dich aufnehmen. Wir schicken dich nicht dorthin, sondern sie wollen, dass du kommst.“

Meine Mutter sagte das nicht, um mich zu trösten, sondern es war wirklich so. Mein zweitältester Bruder wusste mit Sicherheit, was vor sich ging, und bestimmt hatte er sich kategorisch geweigert, zu Onkel und Tante zu ziehen. Und diese hatten mich sicherlich ausgewählt, weil sie dachten, ich wisse von nichts, und so sei alles einfacher.

„Ich lasse mich nicht adoptieren“, sagte ich.

„Niemand hat gesagt, dass du da wohnen musst. Du muss später nur die Ahnengedenkfeiern organisieren.“

„Trotzdem.“


Es war an einem Samstag, als ich aus der Schule kam. Mein Onkel, der am Namdaecheon-Fluss Sand ausgegraben und aufgeladen hatte, stand mit ein paar anderen Pferdehaltern da und rauchte eine Zigarette, als er mich mit meinen Schulkameraden den Deichweg entlangkommen sah. Ich wollte so tun, als hätte ich ihn nicht gesehen, aber er hielt mich an. 

„Na, Schule aus?“

Ich wäre am liebsten im Erdboden verschwunden.

„Mittag gegessen?“, fragte er.

„Heute ist doch Samstag“, sagte ich.

„Warte mal hier. Du musst trotzdem erstmal was essen.“

Dann zog er einen 100-Won-Schein hervor und gab ihn mir.

Ich nahm das Geld, aber mir war nicht danach, mich zu bedanken. Ich wollte einfach nur weg.

„He, wer ist das denn?“, fragte einer der Männer.

„Das ist unser Ältester. Der wird später die Ahnenzeremonie leiten, wenn ich nicht mehr bin“, sagte der Onkel und schob mir meine Mütze zurecht.

„Was denn, ich wusste ja gar nicht, dass du einen so großen Sohn hast“, sagte der andere.

Als ich das hörte, hielt ich dem Onkel das Geld hin.

„Ich will nicht. Ich lasse mich nicht adoptieren“, rief ich. Ich warf ihm das Geld vor die Füße, klemmte mir die Schultasche unter den Arm und lief weg.  




Yi Sunwon, Jahrgang 1958, begann seine literarische Karriere 1988 mit der Erzählung „Tagmond“. Im Jahr 2000 gewann er dern Lee-Hyoseok-Literaturpreis. Die Geschichte „Auf der Suche nach einem Maultier“ erschien 1996.

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >