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Kultur

Kim Eun: „Der Nagel“ (2021)

2022-07-26

ⓒ Getty Images Bank

In der Notaufnahme war es hell wie tagsüber. Unter dem grellen Licht fiel mir als Erstes die Brust der Großmutter auf, die mit diversen Maschinen und Kabeln verbunden war. Während ihre Brust noch so entblößt dalag, verkündete der Arzt das Datum und die Uhrzeit ihres Todes.

Ich verspürte den Drang, den Mund des Arztes mit meiner Hand zu bedecken.

Es dauerte nur ein paar Minuten, die zerrissenen Kleider loszuwerden und die Laken zu ordnen.

Ich dachte, als Großmutter würde ich nicht so enden wollen.


Mein Onkel hörte der Polizistin nicht zu, als sie erklärte, dass eine Autopsie notwendig sei, um ein mögliches Verbrechen zu verhindern.

Stattdessen schlug er ihr auf die Schulter und verscheuchte sie aus dem Krankenhaus.

Ich wollte meinen Onkel irgendwie überzeugen. Es war für meine Großmutter, aber es war auch für mich. Als ich ihm sagen wollte, er solle sie nicht so begraben, griff meine Mutter nach meinem Arm. Das hieß, ich solle es bleiben lassen. Ich wusste, dass sie alle Realität leugnen wollten, indem sie sie nie zugaben. Dies schien die einzige Wahl zu sein, die sie sich leisten konnten.


Ich kam aus der Leichenhalle, wo noch keine Trauernden waren. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diese Nacht niemals enden würde, und ging zum Parkplatz.

Wenn ich durchfuhr, würde ich ankommen, wenn der Schulleiter anfing zu arbeiten. Welchen Gesichtsausdruck würde er wohl machen, wenn er mich sähe?

Und was sollte ich ihm sagen?

Aber eines war sicher. Ich wollte mir nichts mehr gefallen lassen.




Kim Eun (*1966): „Der Nagel“ (2021)

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