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Kultur

Kim Sum: „Die Mautstelle Eupsan“ (2015)

2022-12-20

ⓒ Getty Images Bank

Sie fragt sich plötzlich, wie es sich wohl anfühlt, die Mautstelle Eupsan zu passieren. Seit ihrer eigenen Einfahrt durch die geschlossene Mautstelle vor sechs Jahren hat sie sich nie mehr außerhalb der Stadt gewagt, aber dennoch findet sie, dass die wie Spielkarten in einer Plastikhülle aufgestapelten Autobahnmautkarten irgendwie unbezahlten Rechnungen ähneln. Als wären dort vor ihr Rechnungen mit fälligen Beträgen, die ihr in jedem Moment ihres Lebens zugeschickt wurden, vor ihr aufgehäuft.



Die Straße, die sich vor der Mautstelle Eupsan erstreckt, teilt sich nach etwa siebenhundert Metern nach Norden und nach Süden. Die Maut muss jedes Mal bezahlt werden, wenn ein Fahrzeug die Mautstelle passiert. Wenn man hundertmal durchfährt, muss man hundertmal Maut zahlen. Wie bei einem Möbiusband. Jedes Mal, wenn Fahrzeuge an ihrem Schalter anhalten und wie ein Bumerang zurückkehren, kommt ihr der Schalter, an dem sie sitzt, wie der Anfang und das Ende eines Möbiusbandes vor.



Sie holt einen silberfarbenen Beutel aus ihrer Handtasche. Sie öffnet den Beutel und nimmt einen Lippenstift heraus. Sobald sie den Lippenstift aufträgt, scheinen sich ihre roten Lippen von ihrem Gesicht zu lösen und hervorzustehen. Sie trägt noch etwas mehr Lippenstift auf. Sie hält den Blick auf die Straße gerichtet.

Ein Fahrzeug taucht auf der Straße auf, angeschwollen wie eine Luftblase unter der untergehenden Sonne.

Das Auto nähert sich der Mautstelle Eupsan mit mäßiger Geschwindigkeit, weder schnell noch langsam. Sie kann das Modell oder die Farbe des Autos nicht erkennen. Sie vergisst, dass sie ihren Lippenstift bereits aufgetragen hat, trägt noch mehr auf ihre Lippen auf und hofft inständig, dass es nicht die schwarze Limousine ist.




Kim Sum(*1974): „Die Mautstelle Eupsan“ (2015)

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