Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Kultur

Kim Young-ha: „Was wohl mit dem eingeklemmten Mann im Fahrstuhl passiert ist?“

2019-02-26


Aus dem Sendeinhalt


Die Geschicht e„Was wohl mit dem eingeklemmten Mann im Fahrstuhl passiert ist“ wird erzählt aus der Sicht von Jeong Soo-gwan, Ressourcenmanager bei einer im Zentrum von Seoul ansässigen Firma. An diesem Tag geht einfach alles schief. Schon beim morgendlichen Rasieren bricht ihm die Rasierklinge ab, und er kann sich nur zur Hälfte rasieren. Er muss zur Arbeit und ist spät dran, aber der Fahrstuhl kommt einfach nicht. Es ist schon fünf Minuten vor acht. 



Ich raste vom 15.Stock hinunter ins Erdgeschoss, so flink wie der Lieferservice vom Chinarestaurant. Als ich den 5. Stock durchquerte, bemerkte ich, dass der Fahrstuhl zwischen dem 5. und 6. dem Stock mit offener Tür hängengeblieben war. Aus der Fahrstuhltür heraus hingen zwei Füße, die offenbar einem Mann gehörten. An einem Fuß fehlte der Schuh. Da wurde ich von anderen Hausbewohnern beiseitegeschubst, die von oben herunterkamen und an mir vorbei die Treppe hinunterrannten. Sie trugen Anzüge und waren offenbar auf dem Weg zur Arbeit. Es war nicht zu erkennen, ob der Mann tot war oder noch lebte, aber wie konnten sie bloß jemanden ignorieren, der so im Fahrstuhl eingeklemmt war? Andererseits gab es auch nichts, das ich hätte tun können. Es war genau acht Uhr. 

Oh, nein ... Ich blickte vorsichtig hinab in die unteren Stockwerke und zögerte. Dann stieß ich an den schuhlosen Fuß. 

„Ähm, hallo?”

Der Zeh wackelte. Man hörte auch ein unverständliches Stöhnen. Aber ich hatte weder die Energie, noch die Zeit, ihm zu helfen. 

„Hören Sie, ich weiß nicht, wie Sie sich da im Fahrstuhl eingeklemmt haben, aber ich rufe auf dem Weg zur Arbeit den Notruf an, okay? Oder ich sag dem Pförtner Bescheid. Halten Sie noch einen Moment lang durch!”



Literaturkritikerin Jeon So-yeong

Diese Situation ist hochinteressant. Ein Mann hängt im Aufzug fest, aber der Protagonist sieht nicht sein Gesicht, sondern nur seinen Fuß. Während das Gesicht eines Menschen seine Identität darstellt, ist der Fuß genau das Gegenteil. Wenn wir nur den Fuß einer Person sehen, können nicht sagen, wer das ist. Der Mann, der im Aufzug steckt, symbolisiert die anonymen Massen, die in den 1990er Jahren in der Stadt leben. Der Ort, an dem er feststeckt, ist der Aufzug eines Appartmentwohnblocks, der als das ultimative Symbol des Kapitalismus gilt, und niemand kommt diesem namenlosen Mann zu Hilfe. Die Szene stellt Menschen dar, die in den 1990er Jahren vom großen urbanen System ausgeschlossen wurden.

 



Kim Young-ha, beboren 1966, debütierte als Schriftsteller 1996 mit dem Roman „Ich habe das Recht, micht selbst zu zerstören“, der aus Deutsch unter dem Titel „Der Sterbehelfer“ erschienen ist. Weitere auf Deutsch verlegte Werke sind der Roman „Schwarze Blume“ und der Erzählband „Ein seltsamer Verein“. Die Erzählung „Was wohl mit dem eingeklemmten Mann im Fahrstuhl passiert ist“ stammt aus dem Jahr 1999. 2013 erhielt der Autor den Kim Yujeong-Literaturpreis.

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >