FRAGE: Paul Gager aus Deutschkreutz in Österreich schreibt: In der ARD war im Weltspiegel ein Bericht über Schönheitspraktiken in Korea zu sehen. Wachstumstrunk für kleine Kinder; Gesichts-OPs für den sozialen Aufstieg, für bessere Berufs- und Heiratschancen. Angeblich lagern in Korea die weltweit größten Botox-Vorräte. Können Sie das bestätigen oder ist das alles aus den Reporterfingern gesogen? Und auch Werner Schubert aus Grafing hatte den Bericht gesehen und sich über den Schönheitswahn der Koreaner gewundert, v.a. auch über die Streckmaschinen für Kinder.
ANTWORT: Ich habe mir den Bericht mal angeschaut und würde persönlich sagen, dass er nicht überzogen ist, besonders in Hinblick auf die Schönheits-OPs. Doch kommen wir vielleicht zuerst zu den Praktiken, die Größe von Kindern beeinflussen zu wollen. Die Körpergröße ist einerseits genetisch abhängig von der Größe der Eltern. Nicht von ungefähr ist daher unweigerlich eins der ersten Merkmale, die junge koreanische Frauen angeben, wenn sie nach ihrem Traummann gefragt werden, dass er groß sein soll. In Korea würde das mindestens 1,75m bedeuten. In Europa, v.a. Mittel- und Nordeuropa, wo die Männer sowieso im Durchschnitt größer sind, dürfte diese Antwort weniger zu hören sein. D.h. große Männer haben in Korea eindeutig bessere Chancen in Bezug auf die Partnerwahl. Hier spielen natürlich unbewusst auch evolutionstheoretische Aspekte hinein, denn ein großer Mann verspricht gesünderen Nachwuchs, auch wenn sich FRAU dessen nicht unbedingt bewusst ist. Andererseits besteht eine direkte Korrelation zwischen Größe und Lebensstandard. Wissenschaftlich ist längst nachgewiesen, dass Armut tatsächlich klein macht. Größe ist damit auch ein äußerliches Symbol eines „guten Lebens“, um es mal vereinfacht auszudrücken. Und wer wünscht sich das nicht? Wer mangelnde Körpergröße, besonders als Mann, nicht durch andere Talente wie z.B. Geistesgröße, Berühmtheit oder Wohlstand kompensieren kann, hat es einfach schwerer im Leben. Dessen sind sich die koreanischen Mütter durchaus bewusst. In diesem Falle mit einem Wachstumstrunk nachhelfen zu wollen, ist nicht weiter ungewöhnlich.
Bei dem in der Sendung vorgestellten Wachstumstrunk handelte es sich um einen Kräutertrunk aus der traditionellen koreanischen Medizin. Nach Aussage von Dr. Park Chan-Joo, einem Arzt der traditionellen koreanischen Medizin, kann man auf natürliche Weise etwas nachhelfen, wenn das Kind weniger als 4 cm pro Jahr wächst oder 10cm unter der Durchschnittsgröße für sein Alter liegt. Nach der traditionellen koreanischen Medizin spielen zwei Organe eine wesentliche Rolle beim Wachstum: Nieren und Milz. In der traditionellen Kräutermedizin versucht man daher, die Funktionen beider Organe zu regulieren und zu stärken. Dazu gibt es verschiedene Kräutertrunks, die u.a. auch frisch abgestoßenes Hirschgeweih, das in kleine Scheiben geschnitten wird, enthalten. Aber auch Bestandteile, die Blutmenge, Energiefluss und Muskelbildung fördern. Da sind natürlich nebenher auch eine ausgewogene Ernährung und Sport gefragt.
Die Behandlung mit solchen Wachstumstrunks ist in Korea wie gesagt nicht besonders ungewöhnlich, wohl aber die Streckmaschinen, die in dem Film gezeigt wurden. Der Prozentsatz der Eltern, hier v.a. der Mütter, die zu solchen Methoden greifen, dürfte relativ gering sein, auch wenn die Körpergröße in Korea tatsächlich wichtiger für den Erfolg im Leben gehalten wird, - ich sage nicht, ist, - als etwa im Westen.
Ausschlaggebender als die Körpergröße ist, v.a. bei Frauen, das Aussehen. Es bestehen nicht unrealistische Schätzungen, dass an die 50% aller Koreanerinnen zwischen 20 und 30 irgendeine Art der kosmetischen Operation hinter sich haben. Und dass, obwohl noch vor 20 Jahren das Postulat galt, den Körper im Sinne des Konfuzianismus in seiner von den Eltern gegebenen Form zu erhalten. Sich Ohrlöcher stechen zu lassen, konnte zu der Zeit zu erheblichem Familienkrach und Ehestreit führen. Ein befreundeter Arzt, der plastischer Chirurg ist, würde hingegen heutzutage z.B. nie in Urlaub gehen, wenn in Korea die Semesterferien beginnen. Das ist nämlich die Zeit, wenn in seiner Praxis Hochbetrieb herrscht. Dann stehen als tägliche Standardoperationen Augen- und Nasenkorrekturen an. Augen- und Nasenkorrekturen als Geschenke für den erfolgreichen Abschluss der Oberschule und das Bestehen der Universitätsaufnahmeprüfung sind nicht mehr ungewöhnlich. Die Oberlidkorrektur zur Vergrößerung der Augen kostet etwa 700 Euro. Was sind die Gründe für diesen Drang nach Verschönerung?
Zum einen spielt sicherlich der Einfluss der Medien eine große Rolle. Die koreanischen Stars und Sternchen bekennen sich heutzutage öffentlich zu Schönheits-OPs. Es gibt z.B. Webseiten mit Starfotos „davor“ und „danach“. Damit wird Eitelkeit quasi öffentlich als akzeptabel anerkannt und jungen, beeinflussbaren Menschen der Eindruck vermittelt, dass gutes Aussehen, auch wenn dem künstlich nachgeholfen wurde, der Schlüssel zu Erfolg und Bewunderung ist. Im Internet gibt es denn auch Webseiten, wo man sein Foto hochladen kann und die Nutzer dann über das Aussehen abstimmen. D.h. Stars und Medien betonen die Wichtigkeit von Aussehen und vermitteln gleichzeitig ein Gefühl der allgemeinen Akzeptanz in Bezug auf Schönheits-OPs.
Ein weiterer Grund ist die Überzeugung, dass gutes Aussehen der beruflichen Karriere förderlich ist. In Korea witzelt man, dass man Dummheit entschuldigen kann, aber heutzutage nicht mehr Hässlichkeit. Ein Großteil der Kunden bei kosmetischen Dermatologen sind denn auch Angestellte, die kommen, um volleres Kopfhaar zu bekommen, sich Leberflecken oder Aknenarben weglasern zu lassen, oder eben Botox spritzen zu lassen. Das gilt mittlerweile auch für Männer, denen jüngeres, besseres, männlicheres Aussehen zu einem Wettbewerbsvorsprung mit der Konkurrenz verhelfen soll.
Ein dritter Grund ist der Versuch, durch besseres Aussehen bessere Chancen für die Partnerwahl zu bekommen. Evolutionstechnisch gesehen haben tatsächlich gut aussehende Menschen es einfacher, einen Partner zu finden, und zwar einen mit entsprechend vielversprechendem sozialem Hintergrund, sprich: aus gutem Hause und mit guten Karrierechancen. Im Unterbewusstsein möchte man lieber Kinder mit einem gut aussehenden Partner zeugen, weil das den Gen-Pool verbessert. Da kann man mittlerweile reinfallen. Eine koreanische Zeitung berichtete von einem Koreaner, der nach der Geburt des ersten Kindes die Scheidung einreichte mit der Begründung, er sei durch die zahlreichen Schönheitseingriffe seiner Frau in Bezug auf deren Genqualität hinters Licht geführt worden. Heiratswillige koreanische Männer sollen denn auch mittlerweile ein Foto aus den Kindertagen der möglichen Heiratskandidatin erbitten, um auf Nummer sicher zu gehen.
Neben all diesen äußeren Gründen spielt natürlich auch noch eine Rolle, dass Schönheits-OPs in Korea vergleichsweise preiswert sind, während gleichzeitig das Niveau der Ärzte internationalen Standards entspricht. In Korea gibt es viele plastische Chirurgen und auf kosmetische Korrekturen spezialisierte Dermatologen, so dass die Konkurrenz groß ist: gut für den Kunden, denn diese Art von Konkurrenz drückt die Preise, ohne unbedingt die Qualität der Dienstleistung zu verschlechtern.
Die in Korea am häufigsten durchgeführte Schönheits-OP ist die Lidkorrektur zur Vergrößerung der Augen. An zweiter Stelle stehen Nasenkorrekturen, bei denen der Nasenrücken durch ein Implantat erhöht wird. Doppelte Lidfalten, die die Augen verkleinern und oft für die bei Westlern beliebten Mandelaugen sorgen, und flache Nasenhöcker sind beides typische Gesichtsmerkmale von Asiaten, die man mit diesen OPs relativieren will. D.h. hier orientiert man sich am westlichen Aussehen. Kinn- und Kieferkorrekturen, durch die man die dem koreanischen Schönheitsideal entsprechende ovale Gesichtsform und ein „kleines“ Gesicht erreichen will, sind ebenfalls beliebt. Großflächige, quadratisch geschnittene Gesichter gelten bei Frauen als hässlich.
An Beliebtheit gewinnen auch Pokorrekturen in Richtung mehr Volumen und Kurven. Jugendliche Haut ist ebenfalls wichtig. Hierfür gibt es Peelings, Laserbehandlungen, Faltenunterspritzungen, liftende Aufhängungen hängender Faltenpartien mit im Gewebe angebrachten superfeinen Fäden und natürlich Botox. Der Botox-Tourismus aus Japan und China blüht übrigens in Korea. Mit Botox behandelt man aber nicht nur Stirn-, Augen- und Lippenpartie gegen Falten, und die Kieferpartie, um ein kleines Gesicht zu erzeugen, sondern auch dicke Waden. Die Injektionen führen zur Zurückbildung der Wadenmuskulatur und entsprechend schlankeren Beinen. Botox-Injektionen sind denn auch nicht nur beim plastischen Chirurgen und beim Dermatologen zu haben, sondern oft auch beim Frauenarzt. Auch Fettabsaugungen sind Standardoperationen, ebenso wie Busenvergrößerungen und Schamhaarimplantationen.
Das Geschäft mit der Schönheit blüht also, sicherlich nicht nur in Korea, aber besonders in Korea, da die Akzeptanz hoch und das Bewusstsein, dass schöne Menschen es einfacher im Leben haben, weit verbreitet ist. Sicher weiß jeder, dass innere Werte entscheidend sein sollten, das sind sie sicherlich auch langfristig, kurzfristig und zuallererst reagiert der Mensch jedoch auf das Äußere, auch wenn das nur schöner Schein sein mag.