FRAGE: Paul Gager aus Deutschkreutz in Ö, der zuletzt auf eine TV-Kunstdoku zu den asiatischen Comics aufmerksam machte, schreibt: Erzählen Sie doch etwas mehr zu den koreanischen Manhwa.
ANTWORT: Die koreanischen „Manhwa“ sind quasi das Gegenstück zu den japanischen „Manga“. Manhwa, was soviel wie „erzählendes Bild“ bedeutet, ist der koreanische Comic. Unter dieser Bezeichnung ist er mittlerweile auch im Westen bekannt. Der Manhwa hat seine Wurzeln in der klassischen chinesischen Kunst. Buddhistische Mönche fertigten Holzschnitte, mit denen der des Lesens unkundigen Bevölkerung die religiösen Richtlinien nahe gebracht werden sollten. Als Urvater des modernen koreanischen Manhwa wird aber die Zeichnung genannt, die am 2. Juni 1909 auf der Titelseite der Erstausgabe der koreanischen Tageszeitung Daehan Minbo veröffentlicht wurde. Eigentlich handelt es sich hier eher um eine politische Karikatur.
In den 1920-er Jahren erschienen dann auch in anderen koreanischen Zeitungen satirisch-humoristische Comicstrips. Da sie meist politischer Natur waren, wurde diese Kunstform von den japanischen Besatzern natürlich nicht gerne gesehen und gegen Ende der 1920er Jahre verboten.
Im Zuge der Teilung Koreas nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Koreakrieg (1950-1953) erschienen Anfang der 1950er-Jahre neben Manhwa für Kinder zunächst vor allem Propaganda-Manhwa. Es kam dann zwar zu einem gewissen Manhwa-Boom, der wurde aber bereits Mitte der 1960er-Jahre durch den harten Kurs der Militärregierung unter Park Cheong-hee wieder stark durch Zensur eingeschränkt. Bis Ende der 1970er-Jahre waren die meisten Manhwa kindgerechte und lustige Geschichten oder Geschichtsdramen für Erwachsene, sprich, politisch unbedenklich.
In Bezug auf die Zeichentechnik ließen dich die koreanischen Manhwa-Zeichner durchaus von ihren japanischen Manga-Kollegen inspirieren. Offiziell war der Import der japanischen Populärkultur wie Popmusik und eben auch Comics zwar bis 1998 verboten, bevor er schrittweise dereguliert wurde. Aber es bestand natürlich immer ein Schwarzmarkt für diese Produkte. Für die Militärregierungen der Zeit gehörten die Comics zu den Übeln der koreanischen Gesellschaft, weshalb es wiederholt zu Beschlagnahmungen kam. Gründe waren das Potential der Comics zur politischen Satire und zur Beförderung der moralischen Freizügigkeit. Das änderte sich erst mit der Demokratisierung des Landes, für die als markantes Jahr 1988 genannt werden kann, als in Seoul die Olympischen Sommerspiele stattfanden.
In den 1990er-Jahren wurden die Manhwa dann im Zuge der Korea-Welle Hallyu zusammen mit Zeichentrickfilmen auch in anderen ostasiatischen Ländern populär. Um die Jahrtausendwende gelang im Kontext des internationalen Manga-Booms auch der Sprung auf den europäischen und amerikanischen Markt. Mittlerweile hat man von Regierungsseite auch längst das Potential von Manhwa und Zeichentrickfilmen entdeckt: So gibt es im koreanischen Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus eine eigene Abteilung für Kultur und Content, die Entwicklung und Export südkoreanischer Manhwa unterstützt.
Es haben sich auch je nach Zielgruppe verschiedene Manhwa-Richtungen entwickelt. So gibt es Manhwa für Mädchen, für Jungen und für Erwachsene. Fragt man nach typischen Merkmalen koreanischer Manhwa, dann kann man z.B. nennen: Ausgeprägte, leicht überproportionale Darstellung des Gesichts, v.a. der Augen, während der Rest der Figur realistischer gehalten ist. Vergleichsweise häufiger Einsatz von Schattierungen und Farbgraduierungen. Gelesen wird wie im Deutschen von links nach rechts und waagrecht, während bei den japanischen Mangas gewöhnlich von rechts nach links und senkrecht zu lesen ist. Das ist bei der koreanischen Schrift zwar auch möglich, wird aber bei den Manhwa gwöhnlich nicht angewendet. Allgemein lässt sich auch sagen, dass in bezug auf die Illustrationen die japanischen Comics eher schwarz-weiß, nachdenklich und introvertiert sind, während die koreanischen eher farbenfroh, ausdrucksstark und extrovertiert sind.
Ein interessantes Merkmal der südkoreanischen Comicindustrie ist, dass sie kaum den normalen Buchhandel als Vertriebsweg nutzt. Etwa drei Viertel aller in Südkorea gedruckten Comics werden z.B. auch nicht verkauft, sondern können in sog. „Manhwa-bang“ ausgeliehen und auch vor Ort gelesen werden. Diese Manhwa-bang, also Manhwa-Leihbüchereien, entstanden in den 1950er-Jahren und haben sich bis heute gehalten.
Der erste Manhwa im deutschsprachigen Raum war übrigens die Serie Zombie Hunter, die ab September 2002 von Planet Manga veröffentlicht wurde, allerdings noch aus dem Japanischen übersetzt und über einen japanischen Verlag lizenziert. Daraufhin folgte bei Planet Manhwa die Reihe Islan. 2003 erschien bei Egmont Manga & Anime die Serie Under the Glassmoon von Ko Ya-seong. Seither sind im deutschsprachigen Raum etwa 30 Manhwa-Serien erschienen. Besonders erfolgreich sind Manhwa für Mädchen wie Demon Diary.
Man sollte auch noch erwähnen, dass man in Korea in den letzten 25 Jahren auch das Potential der Manhwa als Lerncomic entdeckt hat und dieser Markt gerade zu boomt. Als Vater des koreanischen Lerncomic, der übrigens von Asterix und Obelix inspiriert wurde, gilt Rhie Won-bok, der in Deutschland studierte und 1981 mit Ferne Länder, Nachbarländer den ersten koreanischen Lerncomic herausbrachte. Mittlerweile gibt es auch Einführungen in Kapitalismus und Sozialismus in Comicform, von Geschichtsbüchern, religiösen Büchern oder Streifzügen durch die Welt des Weins in Comicform mal ganz zu schweigen.