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Kultur

Kang Gyeong-ae: „Dunkelheit“ (1937)

2023-07-11

ⓒ Getty Images Bank
Schwarze, eingefallene Augen über hohen Wangenknochen warfen einen verstohlenen Blick in den Operationssaal. Als er sah, dass kein Patient da war, senkte er sein Gesicht und trat, auf seinen Stock gestützt und sein bandagiertes Bein hinter sich herziehend, durch die Tür.
Der Arzt blickte von seinem Drehstuhl auf, aber als sähe er etwas, was er nicht sehen sollte, wandte er schnell den Kopf ab, die langen, schwarzen Augenbrauen unwirsch runzelnd, und blieb in sein Buch vertieft.
Als Young-sil den Patienten ansah, verzog sie das Gesicht. „Bruder“, wollte sie sagen, aber als sie wieder hinschaute, war es gar nicht ihr Bruder.
„Bin ich verrückt?“, dachte sie. „Was wäre, wenn ich das wirklich gesagt hätte?“ Wieder blickte sie den Patienten an. Dann nahm sie schnell ein heißes Handtuch und ging zu ihm, um den Verband zu lösen.
War ihr Bruder wirklich hingerichtet worden? 
Ihre Hände drückten fest auf die Wunde und entfernten den Eiter. Ihre Gedanken rasten.


Sie sprang auf und wirbelte herum. Wenn Mutter nicht wäre, würde sie einfach eine Pille nehmen und die Sache vergessen. Aber sie hatte eine Mutter, die fast siebzig Jahre alt war.
„Young-sil, du musst in den Zeitungen gelesen haben, dass wir zum Tode verurteilt wordern sind, aber sieh, wir werden nie sterben. Der Tag wird kommen, an dem wir freikommen und Mutter und dich treffen werden, also warte darauf.
Schwester, bitte halte es vor deiner Mutter erst einmal geheim.“


Das mit Pomade bedeckte Haar des Arztes flatterte unansehnlich, und Arroganz glitzerte in seinen hageren Augen.
Von seiner früheren edlen Persönlichkeit war keine Spur mehr zu sehen, und die Wildheit tropft von Kopf bis Fuß.
Er ist entsetzt über seine eigene Dummheit, ihre Keuschheit an einen solchen Mann verloren zu haben. Der Mann, dem sie vertraut hatte, hatte sich verändert, und ihr Bruder, auf den sie Tag und Nacht gewartet hat, war für immer fort.
Vor allem machte sie sich Sorgen, dass ihre Mutter die Nachricht irgendwo gehört haben und auf dem Weg zu ihr auf der Straße in Ohnmacht gefallen sein könnte.
Sie glaubte, die Stimme ihrer Mutter zu hören, die nach dem Bruder rief.



Kang Gyeong-ae (1906-1943): „Dunkelheit“ (1937)

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