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Lifestyle

Der Gingkobaum

#Sie fragen, wir antworten l 2007-03-05

Hörerecke




FRAGE; Josef Rieger schreibt: In der Hörerecke am 16. 12. 2006 hatten Sie sich gewundert, dass behauptet wurde, der Gingkobaum gehöre zu den Nadelbäumen. Da ich selbst schon an dem erwähnten Baum im Schlosspark zu Weinheim gestanden habe, wollte ich es genau wissen. Auf den Fotos, die ich im Internet gefunden habe, sieht das aber schon mehr nach Blatt aus. Im Text wird zwar die Nadel gebraucht, aber mehr für den Baum selbst, "der wie eine Nadel zum Himmel wächst." Vielleicht kann man mal mehr über den Gingko berichten.

ANTWORT: Da der Gingko, auf Koreanisch Eunheung-namu, in Korea an jeder Straßenecke wächst und jeden Herbst Tonnen von herabgefallenen Blättern und nicht Nadeln beseitigt werden müssen, hat mir die Sache keine Ruhe gelassen. Und siehe da, wir haben alle Recht bzw. Unrecht! Die taxonomische Einordnung, so habe ich mich belehren lassen, war nämlich für die Botaniker eine Herausforderung. Denn der Gingko gehört weder zu den Nadel- noch zu den Laubbäumen. Er zählt aber wie die Nadelbäume zu den Nacktsamern, deren Samenanlagen nicht wie bei den Bedecktsamern in Fruchtknoten eingeschlossen sind. Für den Gingko musste man eine besondere Abteilung schaffen, nämlich die der Gingkopflanzen oder Gingkophyta. Dazu gehört heute nur noch eine einzige Art, nämlich Gingko Biloba. Die Gingopflanzen, die von der Jura bis zur Kreide weltweite Verbreitung hatten, sind heutzutage in Mitteleuropa nur noch als Fossilien zu finden. Und da heute alle anderen Gattungen ausgestorben sind, gilt der Gingko Biloba als ältestes lebendes Fossil der Pflanzenwelt.

Der Gingko Biloba ist ein sommergrüner Baum mit fächerförmigen, in der Mitte mehr oder weniger stark eingekerbten Blättern, die im Frühling hellgrün sind, über den Sommer nachdunkeln und im Herbst auffallend hellgelb werden. Die Samen des Gingkobaumes entwickeln bei der Reifung einen unangenehmen Geruch nach Buttersäure, weshalb in Europa männliche Gingkobäume aus Stecklingen angepflanzt werden. Hier in Asien hingegen werden männliche und weibliche Bäume als Straßenbäume nebeneinander gesetzt, damit eine Befruchtung stattfinden kann. Die Gingkonüsse kommen als Knabberei auf den Tisch und werden blanchiert oder eingelegt. Auch in der traditionellen Medizin finden sie als durchblutungsförderndes und antioxidatives Mittel Verwendung. Sie werden hier so geschätzt, dass der Kaiser von China im 11. Jahrhundert Ginkgosamen als Tributzahlung gefordert haben soll. Die heilkräftige Wirkung der Gingkoblätter und -nüsse wird übrigens bereits in chinesischen heilkundlichen Aufzeichnungen zwischen 300 und 200 vor Christus erwähnt. Heutzutage wird in wissenschaftlichen Studien die Wirkung von Gingkoextrakten bei Demenz untersucht.

Der Gingko, der etwa ab 1000 n. Chr. in ganz Ostasien als Tempelbaum Verbreitung fand, steht den Asiaten denn auch besonders nah. Denn das in der Pflanzenwelt einzigartige, zweigeteilte Blatt und die Zweihäusigkeit des Gingko wurde zum Symbol für Yin und Yang. Die aufstrebende Form des Gingko repräsentiert das männliche Yang und wird mit Aktivität und Lebenskraft gleichgesetzt. Das fächerartige Blatt steht für die Sanftheit des weiblichen Yin, was den gesamten Baum zum Symbol der Harmonie dieser beiden Grundelemente des Universums macht. Zudem ist der Gingko mit einer Lebenserwartung von 1000 Jahren und mehr äußerst langlebig. Er ist krankheits- und hitzeresistent, hat zudem so gut wie keine Schädlinge und gedeiht in jedem Boden. Dass ein Tempel-Gingko, der bei der Atombombenexplosion von Hiroshima 1945 in Flammen aufging, im Jahr darauf wieder ausgetrieben haben soll, trägt weiter zu seiner Verehrung bei.

Wann genau der Gingkobaum von China nach Korea gekommen ist, weiß man nicht. Der Gingkobaum im Yongmunsa Tempel in der Gyeonggido-Provinz wird aber auf über 1000 Jahre geschätzt. Mit über 60 Metern ist er der höchste und wahrscheinlich auch älteste Gingkobaum in Ostasien und wurde von der Regierung zum Naturdenkmal Nr. 30 bestimmt. Es gibt noch weitere 18 Gingkobäume in Korea, denen diese Ehre zuteil wurde, und insgesamt 813 stehen wegen ihres hohen Alters unter besonderem Schutz. Der Gingkobaum im Yongmunsa Tempel wird neben einigen anderen als heiliger Baum verehrt. Es heißt, dass der Baum Blut geweint haben soll, als ihn jemand vor vielen Jahren zu fällen versuchte. Der Himmel verdunkelte sich und es donnerte, was den Baumschänder schnell in die Flucht schlug. Der Tempel selbst wurde oft zerstört und von den Japanern 1907 als Ort der koreanischen Widerstandsbewegung niedergebrannt. Der Gingko blieb unbeschadet.

Der Baum soll im Vorfeld großer Veränderungen in Korea seltsame Warnzeichen wie Geräusche von sich geben. So etwa 50 Tage lang vor dem Ausbruch des Koreakrieges oder vor dem Militärputsch 1961. In anderen heiligen Gingkobäumen des Landes sollen heilige oder weiße Schlangen hausen, wobei die Schlange hier als eine Art Schutzgottheit zu verstehen ist. Interessant ist auch, dass alte Gingkobäume am Stamm wurzelartige Wucherungen bilden können, die an weibliche Brüste erinnern. Diese Auswüchse werden als Fruchtbarkeitssymbol verehrt. Kinderlose Frauen baten oder bitten hier um Fruchtbarkeit und Mütter von Säuglingen um reichen Milchfluss.

1730 soll der erste Gingko Europas im botanischen Garten der Universität Utrecht gepflanzt worden sein. Er gilt heute als der älteste seiner Art außerhalb Asiens. In Deutschland dürfte der erste Gingko um 1730 im Frankfurter Stadtteil Rödel gepflanzt worden sein und 1780 ein weiterer im Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel. Im ehemaligen Garten Goethes, dem heutigen Jenenser Botanischen Garten, ließ Goethe einen Gingko pflanzen. 1815 widmete der 66 Jahre alte Goethe Marianne von Willemer ein Gedicht, das den Gingko in der deutschen Literatur als Sinnbild der Freundschaft verewigte: Dieses Baums Blatt, der von Osten / meinem Garten anvertraut, / gibt geheimen Sinn zu kosten / wie ́s den Wissenden erbaut. // Ist es ein lebendig Wesen/ das sich in sich selbst getrennt?/ Sind es zwei, die sich erlesen,/ dass man sie als Eines kennt? // Solche Frage zu erwidern,/ fand ich wohl den rechten Sinn,/ fühlst du nicht an meinen Liedern,/ dass ich eins und doppelt bin?

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