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Lifestyle

Zur Geschichte des Akkordeons in Korea

#Sie fragen, wir antworten l 2017-03-18

Hörerecke

Q: In der Reihe Kulturmacher hat mich zuletzt die Folge "Der Akkordeonspieler Shim Sung-rak" sehr berührt. Einerseits die Geschichte von Shim Sung-rak, der eher zufällig das Instrument Akkordeon entdeckt hat, andererseits die wunderbare Musik, die in der Sendung eingeblendet wurde. Und dass es scheinbar keine Schüler gibt, die dieses Instrument spielen wollen. Bei der Sendung hatte ich aber auch meine Probleme, die Verbindung zwischen Korea und dem Instrument Akkordeon herzustellen. Es wurde ja am 6. 5. 1829 durch Cyrill Demian in Wien unter der Bezeichnung „Accordion“ patentiert. Die Entwicklung des Instrumentes zog sich dann durch Deutschland, Österreich, Italien bis hin in die USA. Haben Sie Informationen, wie das Instrument in den 1950er Jahren nach Korea gekommen ist?

A: Die Antwort darauf dürfte sein, dass wohl der Koreakrieg das Instrument auf die koreanische Halbinsel gebracht hat. Das Akkordeon war ja zu der Zeit - also in den 1940er, 1950er Jahren - in Europa und Nordamerika schon lange ein beliebtes Instrument auf Volksfesten, um zum Tanz aufzuspielen, und generell, zum gute Laune machen. Während des Koreakriegs schickten die verbündeten Staaten immer mal wieder Sänger und Showstars auf die koreanische Halbinsel, um die Moral der Truppe zu stärken. Marylin Monroe, die den in Korea stationierten US-Truppen 1954 einen Besuch abstattete, dürfte darunter wohl der berühmteste Star gewesen sein, wenn wohl auch ohne Akkordeon. Im Dezember 1952 hatte aber bereits Lorraine McAllister, eine Sängerin aus dem kanadischen Vancouver, zusammen mit ihrem Begleiter Karl Karleen, einem Akkordeonspieler, für zwei Wochen Korea besucht, um im Süden die Moral und den Kampfgeist der im Koreakrieg kämpfenden Kanadier zu stärken. Und der bekannte amerikanische Akkordeonspieler Carmelo Pino diente während des Koreakriegs in der Marine, wo er auch für Stimmung gesorgt haben dürfte. Überhaupt spielte das Akkordeon ja bereits im 2. Weltkrieg eine nicht zu unterschätzende Rolle als Stimmungsmacher und wurde von den Amerikanern gezielt zur Hebung der Truppenmoral eingesetzt.

Die Tatsache, dass das Akkordeon eher als volkstümliches Instrument angesehen wird, dürfte seiner Verbreitung in Südkorea dann etwas entgegengestanden haben. Auch die koreanische traditionelle Bauernmusik wurde im Gegensatz zur Hofmusik oder Ritualmusik in Korea lange Zeit eher gering geschätzt, bevor man sie vor so 10, 15 Jahren im Zuge der allgemeinen kulturellen Rückbesinnung neu entdeckte. Als edel und verfeinert galten bis dahin neben der koreanischen Hofmusik westliche klassische Musik und entsprechend westliche Instrumente wie Klavier, Geige, Cello, Klarinette usw. Sie zu erlernen und gar noch zu besitzen, bedeutete, dass man entsprechend gebildet war und sich die teuren Instrumente und den meist teuren Unterricht leisten konnte. Ähnlich war es lange Zeit mit dem Tragen westlicher Kleidung oder dem Wohnen in Häusern westlichen Stils. Die Wiederentdeckung und Rückbesinnung auf die Schönheit der Hanbok-Kleidung oder des Hanok-Hauses ist eine Erscheinung der letzten 10, 15 Jahre.

Das Akkordeon ist zwar ein westliches Instrument, aber eben im Gegensatz zum Klavier ein eher volkstümliches. Dass es im Süden der koreanischen Halbinsel nach dem Krieg dann erst einmal in Vergessenheit geriet, hat möglicherweise aber auch noch einen anderen, und zwar ideologischen Hintergrund. Vielen dürfte der Song Take On Me der norwegischen Pop-Rockband „a-ha“ aus ihrem ersten Album Hunting High and Low (1985) bekannt sein. Es war die Debütsingle der Band. Wenn Sie im Internet den Liedtitel eingeben und North Korean Style hinzufügen, kommen Sie auf ein Video mit einer sehr flotten Darbietung des Songs durch fünf junge nordkoreanische Musiker – und zwar auf dem Akkordeon (http://nowiknow.com/accordion-school). Das Akkordeon gilt in Nordkorea als Volksinstrument und spielt daher eine besondere Rolle. Das ist z.B. nachzulesen in dem 2009 erschienenen, und mit Preisen ausgezeichneten Buch Nothing to Envy: Ordinary Lives in North Korea. In diesem Buch hat die Autorin Barbara Demick, Journalistin für die Los Angeles Times in Peking und später Seoul, Interviews mit Flüchtlingen aus dem nordkoreanischen Chongjin aufgezeichnet. Eine davon ist eine junge Frau, die unter dem Pseudonym „Mi-ran“ erscheint. Als Tochter eines südkoreanischen Kriegsgefangenen galt sie in Nordkorea als Mensch zweiter Klasse, was ihr von vornherein viele Berufswege verschloss. Sie wurde schließlich Lehrerin in der Bergbaugemeinde, aus der sie stammte. Im Buch ist zu lesen:

„Der Unterricht begann um 8.00 Uhr. Mi-ran setzte ihr munterstes Lächeln auf, um die ins Klassenzimmer strömenden Kinder zu begrüßen. Sobald alle saßen, holte sie ihr Akkordeon hervor. Alle Lehrkräfte mussten Akkordeon spielen können. Es wurde oft als „Instrument des Volkes“ bezeichnet, da man es leicht zu einem Tag freiwilligen Arbeitseinsatzes mit aufs Feld nehmen konnte. Im Klassenzimmer sangen die Lehrer Es gibt nichts auf der Welt, das wir beneiden müssten.

Das Lied ist in Nordkorea gewissermaßen so bekannt wie Sah ein Knab ein Röslein stehn in Deutschland oder Am Brunnen vor dem Tore. Aber Akkordeon spielen können in Nordkorea nicht nur die Lehrer; es heißt übrigens sogar, dass alle nordkoreanischen Lehrer bei der Einstellung nachweisen müssen, dass sie Akkordeon spielen können. Das Akkordeon ist in Nordkorea quasi DAS Propagandainstrument, aber nicht nur das der Massen: Jang Song-thaek, der Schwager von Kim Jong-il, der nach dem Tod des nordkoreanischen Führers Kim Jong-il als offiziell zweiter Mann im Staate große Macht innehatte und deshalb vom jetzigen Machthaber Kim Jong-eun 2013 hingerichtet wurde, galt als hervorragender Akkordeonspieler. Als er im Hintergrund seine Machtposition ausbaute, war bei der Nachrichtenagentur Reuters ein Artikel mit folgender Überschrift zu lesen: Gut aussehender Akkordeonspieler ist Nordkoreas Königsmacher.

Auch Grundschullehrer in Südkorea müssen übrigens ein Instrument beherrschen. Das ist in Südkorea allerdings nicht das Akkordeon, sondern meist die Orgel bzw. Klavier. Die Orgel geht natürlich auf die Geschichte der Missionierung Koreas durch hauptsächlich amerikanische Missionare im 19. Jahrhundert zurück.

Der oben erwähnte Hintergrund des Akkordeons als billiges Massen- und Marktinstrument kann neben dem Status des Akkordeons als Volksinstrument in Nordkorea vielleicht erklären, warum es in Südkorea, einem Land, dass viele hochkarätige Spieler anderer Instrumente hervorgebracht hat, bislang weitgehend vernachlässigt wurde. Erst 2011 wurde im Kuie International College of Arts im Kangnam-Südviertel von Seoul der erste offizielle Akkordeon-Kurs eingerichtet. Die erste professionelle und qualifizierte Akkordion-Professorin dort war Lee Cheol-ok. Sie und ihr Mann, ein Professor für Ingenieurswesen, kamen im Dezember 2007 als Flüchtlinge nach Südkorea, nachdem sie im Norden beim Schauen von südkoreanischen TV-Serien erwischt worden waren. Mit Unterstützung der südkoreanischen Regierung konnte Lee sich ein Akkordeon anschaffen, das Instrument unterrichten und ab 2009 auch Konzerte geben.

Mittlerweile gibt es in Korea verschiedene On- und Offline-Akkordeonclubs. Auf den Webseiten werden meistens Trottmusik angeboten, Lieder mit Melodien, die von Heimat und Familie erzählen, von Freunden, von unerwiderter Liebe, von der schönen alten Zeit usw. Saxophon und Akkordeon sind in Korea inzwischen Instrumente geworden, die v.a. bei Senioren zwischen 65 und 75 beliebt sind und als Hobby gelernt werden.

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