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Lifestyle

Die Ratte in Realität und Volksglaube

#Sie fragen, wir antworten l 2008-01-29

Hörerecke

Die Ratte in Realität und Volksglaube
FRAGE: Siegbert Gerhard aus Frankfurt schreibt: Die Ratte ist ein in der westlichen Welt ungeliebtes Tier, steht für Untergrundaufenthalt in der Kanalisation, gilt als Aasfresser und Überträger von Krankheiten auf andere Tiere und den Menschen. In den Slums der Millionenstädte ist die Ratte auf dem Vormarsch, in Unrat und Müllbergen findet sie jede Menge an Nahrung, daher ist die Bekämpfung sehr schwierig. Wie sieht das in Korea aus?

ANTWORT: Tatsächlich ist die Ratte das einzige Tier des östlichen Zodiak, das auch stärker negativ behaftet ist, weil sie Krankheiten verbreitet und Getreide stiehlt. So ist in Korea der 15. Tag des ersten Mondmonats der Jue-bul-nori-nal, der Tag des Ratten-Feuer-Spiels. Die Bauern glaubten, dass die Ratten für das Jahr verschwinden würden, wenn man an diesem Tag Getreide mahlen würde oder so tun als ob. Gleichzeitig sammelten die Dorfjungen am Abend des Ratten-Feuer-Spiel-Tags Stroh und trockenes Unkraut, mit dem sie die schmalen, grasbewachsenen Pfade zwischen den Reisfeldern in Brand setzten, um Ratten, Mäuse und anderes Ungeziefer auszuräuchern und zu vertreiben. Dabei schwenkten sie durchlöcherte Dosen mit glühender Kohle umher. Unter den Dorfjungen entstand dabei ein regelrechter Konkurrenzkampf um das größte und schönste Feuer, denn nach altem Volksglauben war die Ernte umso reichhaltiger, je prächtiger das Rattenfeuer. Normalerweise blieben die Erwachsenen und die Dorfjungen bis Mitternacht bei den Feuern, die dann ausbrannten, unbewacht manchmal aber auch Schäden verursachten. Die Frauen sangen beim Feuerspektakel “Brennt die Rattenmäuler aus!”, während sie Bohnen rösteten. All das sollte die Ratten beseitigen helfen.

Die alten koreanischen Hanok-Häuser, besonders die Dächer, waren voller Ratten und Mäuse. Sie übertrugen nicht nur Krankheiten, sondern waren oft für Feuer verantwortlich, da sie ihre Nester zu nahe an den heißen Kaminen bauten. Katzen und Schlangen wurden eingesetzt, um die Nager unter Kontrolle zu halten, aber im Gegensatz zu den Schlangen ging es den Katzen im alten Korea nicht besonders gut. Eine der häufigsten Seuchen im alten Korea war die Cholera, für die man auch die Ratten durch die Verunreinigung von Trinkwasser und Nahrung verantwortlich machte. Im Jahre 1886 z.B. starben alleine in Seoul 6.000 bis 12.000 Menschen an der Cholera. Man glaubte, dass die Krämpfe in den Beinen, mit denen die Cholera begleitet wird, von den Ratten stammten. 1901 heißt es in einem Artikel in The Korea Review, einem englischsprachigen Blatt in Seoul:

Jeder weiß, dass die Krämpfe in den Beinen, mit denen sich die Cholera im Anfangsstadium bemerkbar macht, auf die Cholera-Ratten zurückzuführen sind, die in die Füße hineinkriechen und sich durch das Gewebe der Beine hocharbeiten. Woher sonst sollten diese fürchterlichen Schmerzen herrühren?

Auch die koreanischen Mudang, die Schamaninnen, glaubten, dass sich die Ratten im Körper eines Cholera-Kranken hochfressen, um sich schließlich über das Herz herzumachen. Deshalb verwendete man Katzenhaut, um die Extremitäten des Kranken zu massieren, und Papierkatzen wurden auf die Türschwellen gestellt, um den Ratten den Zutritt zu verwehren. Um die Cholera-Ratten weiter abzuschrecken, imitierten die Schamaninnen das Kratzgeräusch von Katzenkrallen, indem sie zwei Körbe aneinander rieben.

Dass die Ratten nicht nur auf dem Land ein Problem darstellten, wird auch noch durch Plakate aus den 1960er Jahren belegt, in denen die koreanische Regierung zur landesweiten Rattenbekämpfung aufruft. Damals gab es auf den Hügeln Seouls viele so genannte Shanty-Towns, also Hüttenviertel, in denen die hygienischen Bedingungen nicht gerade optimal waren. Sie wurden im Laufe der Stadtentwicklung dem Erdboden gleichgemacht und durch mehrstöckige Wohnhausviertel ersetzt, was den Ratten eine wichtige Lebensgrundlage entzog. Den Ratten wurde hauptsächlich mit Gift der Garaus gemacht, wobei auch einige Hunde dran glauben mussten.
Mein Mann erzählte mir, dass die Schüler in seiner Schulzeit sich an der Rattenbekämpfungskampagne beteiligen mussten und als Beweis dafür Rattenschwänze vorzulegen hatten. Dass die Rattenkampagne erfolgreich war, ist auch daran zu sehen, dass in den 1970er Jahren die Zahl der Füchse und Wölfe merklich zurückging, weil plötzlich die Nahrungskette dünner wurde.
Übrigens kann ich mich noch daran erinnern, dass die koreanischen Apartmentwohnungen in den 1980er Jahren noch Abfallschächte hatten, in die der ganze Hausabfall von Lebensmitteln bis Zeitungen und Glühbirnen ungetrennt geworfen und anschließend von Müllmännern in Abfallkarren geschippt wurde. Die Ratten hatten in diesen Schächten wahrscheinlich ein königliches Leben, auch wenn sie normalerweise nicht in die Wohnungen kamen.

Mittlerweile sind Ratten und Mäuse in Korea längst unter Kontrolle. Dafür sorgen neben dem üblichen Rattengift Rattenfallen. Das sind in Korea normalerweise breite Klebstreifen, auf denen die Nager hängenbleiben. Der Streifen ist auf einem Stück Plastik befestigt, das man in respektvollem Abstand über der festgeklebten Ratte zwecks Entsorgung zu einer Art kleinem Koffer zusammenklappen kann.

Die Ratte, die vor etwa 3.600 Jahren auf der Erde aufgetaucht sein soll, gehörte und gehört also irgendwie zum Leben der Menschen, ja, die völlige Abwesenheit von Ratten kann eher Grund zur Besorgnis als zur Beruhigung sein, ein Zeichen, dass irgend etwas nicht stimmt. In der Joseon-Dynastie wird die Ratte deshalb auch auf nicht wenigen Bildern dargestellt. Auf einem Bild der Malerin Shin Saimdang, die von 1504 bis 1551 lebte, und die als erste Frau auf den 2009 erscheinenden 50.000-Won-Geldscheinen zu sehen sein wird, ist zum Beispiel eine Ratte zu sehen, die im Feld an einer Wassermelone knabbert.

Auch wenn sie in Korea durchaus mit Krankheitsübertragung verbunden wird, wie wir eben gehört haben, überwiegen im Volksglauben die positiven Aspekte. So gelten Ratten auf Grund ihrer hohen Fruchtbarkeit als äußerst produktiv. Das wurde schon im Samguk-yusa, dem Buch der Denkwürdigkeiten aus den Drei Königreichen, das aus dem 13. Jh. stammt, festgestellt. Dort wird darauf verwiesen, dass Ratten 30 bis 60 Junge pro Jahr werfen können. Und auch, wenn sie einerseits eine Bedrohung für das Menschenleben darstellen können, gelten sie andererseits als göttlich-inspirierte Tiere, da sie Gefahr und Naturkatastrophen wie Erdbeben und Vulkanausbrüche wittern können. In einigen Küstengebieten der südlichen Jeolla-Provinz wurden Ratten sogar als Schutzgottheiten der Region verehrt, da die Seeleute der Gegend glaubten, dass ein Schiff untergehen wird, wenn die Ratten es verlassen.

Wie sehr die Ratte mit dem Leben des Menschen verbunden ist, zeigen auch einige koreanische Sprichwörter. 독을 보아 쥐를 못친다 (dokeul boa juereul motchinda). Wenn man den Vorratskrug sieht, kann man nicht auf die Ratte schlagen. Wenn man versucht, eine Ratte, die sich neben oder auf einem Vorratskrug befindet, zu erwischen, besteht die Gefahr, dass man den Krug zerschlägt und die Ratte entkommt. Dahinter verbirgt sich die Warnung, seinem Ärger wegen einer Kleinigkeit nicht Luft zu verschaffen, weil man dadurch die größere und wichtigere Sache aufs Spiel setzen kann. Es ist also ein Aufruf, überlegt zu handeln und sich im Namen des eigentlichen Ziels zurückzuhalten.

궁한 쥐는 고양이를 문다 (gunghan jueneun goyangireul munda). Eine Ratte, die in die Ecke getrieben wird, wird selbst die Katze beißen. Gemeint ist, dass ein Verzweifelter zu verzweifelten Maßnahmen greifen wird, weil er nichts mehr zu verlieren hat.

쥐죽은 듯 하다 (jueneun deut hada). Stumm wie eine tote Ratte. Normalerweise machen Ratten beim Nagen ziemlich viele Geräusche. Nicht aber eine tote ratte, die kann keinen Piepser mehr von sich geben. Und auch die Ratten, die den Tod eines Kollegen erleben, bleiben stumm vor Schreck. Diesen Ausdruck kann man verwenden, wenn es jemand vor Schreck oder Überraschung sprichwörtlich die Sprache verschlägt und man keinen Ton mehr herausbekommt.

Die Ratte, ein Geschöpf, dem in dem Disney-Film Ratatouille zur etwas Gesellschaftsfähigkeit verholfen wird. Im Jahr der Ratten Geborene sind schon längst gesellschaftsfähig. Wir hatten bereits in unserem ersten Beitrag zum Jahr der Ratte gesagt, dass in der chinesischen Philosophie die Ratte mit Wohlstand und Luxus verbunden wird. Ratten-Geborene gelten als geborene Führer, als charmant, leidenschaftlich, charismatisch, praktisch, anpassungsfähig, leistungsstark, intelligent, durchsetzungsfähig bis dickköpfig und verfügen über starke Selbstkontrolle. Im Gegensatz zu anderen Tieren des Zodiak unterhalten sie exklusive Beziehungen zu einer Handvoll von Personen, mit denen sie eine besondere Beziehung verbindet.

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