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Lifestyle

Wahrsagerei in Korea

#Sie fragen, wir antworten l 2008-02-12

Hörerecke

Wahrsagerei in Korea
FRAGE: Lutz Winkler aus Schmitten schreibt: Zum Jahreswechsel überschlagen sich nicht nur in deutschen Zeitungen die Horoskope mit gut gemeinten und doch recht allgemein gültigen Ratschlägen. Zusätzlich senden auch einige Spartenkanäle den ganzen Tag über Ratgebersendungen. Gibt es eine solche Flut mehr oder weniger professioneller Astrologen auch in Korea?

ANTWORT: Im Westen wird das Voraussagen der Zukunft in Form z.B. von Horoskopen, Tarotkarten, Lesen der Handlinien oder ähnlicher Methoden größtenteils als Pseudowissenschaft abgetan. Zum Jahreswechsel boomt dann aber auch dort das Geschäft und die Nachfrage steigt, auch wenn die meisten das eher als Spaß und Zeitvertreib anlässlich des Jahresbeginns sehen mögen. In Asien, und gerade auch in Korea, haben Wahrsager das ganze Jahr über Hochkonjunktur und es ist nicht ungewöhnlich, einen Wahrsager in Fragen der Finanzen, des Wohnungskaufs, der Heiratspläne, der Karriere oder der Studienaussichten der Kinder zu befragen. Auch wenn es ums Umziehen, Heirat, ja sogar um Geburt und Tod geht, gibt es Tage, die sich dafür besonders eignen und glücksverheißend sind oder nicht, weshalb sich durchaus schon mal werdende Eltern für einen Kaiserschnitt entscheiden, um dem Glück ihres Kindes etwas nachzuhelfen. Welches Datum glücksverheißend ist, möchte man natürlich wissen, - warum bei wichtigen Entscheidungen ein Risiko eingehen, das man auch, und zwar ganz einfach, vermeiden kann? Schließlich: Man kann nie wissen und sicher ist sicher. In Korea ̀s Business and Culturel Code Words von Boye Lafayette De Mente, der sich anhand von koreatypischen Stichworten mit Leben und Denken der Koreaner befasst, heißt es unter Jeomjaengi, dem koreanischen Wort für Wahrsager, erklärend dazu, Zitat:

Historisch gesehen glaubten die Koreaner, dass ihr Leben in den Händen von Geistern liege und dass nur der direkte Eingriff eines Geistes ihr Leben zum bessern wenden könne. Das galt besonders fürs einfache Volk, dessen Leben von Geburt an vorbestimmt war durch Vorfahren und Herkunft, Schichtzugehörigkeit und Geschlecht. Sie konnten ihren Beruf oder Wohnsitz nicht ohne weiteres ändern, oder die Art, wie Dinge erledigt werden mussten. Wegen solch politischer Restriktionen und gesellschaftlichen Konventionen war es dem Normalkoreaner nicht möglich, durch eigene Anstrengungen seine Situation zu verbessern. Auch die Angehörigen der Oberschicht, besonders die Frauen, waren eingeschränkt in ihren diesbezüglichen Möglichkeiten. Deshalb wandten sich Menschen aus allen Schichten für Trost, Rat und Segen an das Übernatürliche. Da Kommunikation mit übernatürlichen Kräften spezielles Wissen und besondere Kräfte erfordert, wurde des Beruf des Jeomjaengi, des Wahrsagers, schon in alter Zeit zu einem wichtigen Bestandteil der koreanischen Gesellschaft. So gut wie jeder, angefangen beim König, konsultierte einen Wahrsager bei wichtigen Entscheidungen und Aktionen.

Die Wahrsagerei ist auch heute noch ein lukratives Geschäft in Korea mit Preisen, die von umgerechnet 2 Euro bis 100 Euro und mehr reichen, je nachdem, was man will und wen man aufsucht. Standardpreise für eine Saju-Wahrsage, also eine Wahrsage auf Basis der exakten Geburtsdaten bis hin zur Geburtsstunde, kostet im Schnitt 20.000 Won pro Person. Saju ist eine traditionelle, und wahrscheinlich die am weitesten verbreitete koreanische Wahrsageart mit Wurzeln in China. Das Lesen aus Tarot-Karten, das seit etwa zehn Jahren sehr populär ist, kostet 10.000 Won. Auch der Blick in die Kristallkugel, die Zukunftsbestimmung per Pendel, das Lesen aus den Gesichtszügen oder der Hand kosten im Schnitt soviel. Die Preise beziehen sich auf die Wahrsager, die überall an den Straßenrändern Seouls oder in den U-Bahn-Unterführungen ihre Zelte aufgeschlagen haben und auf Kunden warten.

Noch vor zehn, zwanzig Jahren war das Geschäft nicht ganz so öffentlich. Heute findet man Saju-Cafés mit Geburtsdaten-Wahrsageservice bei einer Tasse Kaffee in den Studentenvierteln um die Ehwa-Frauenuniversität und die Hongik-Universität hier in Seoul, dann natürlich auch entlang der Jongno-Straße im Stadtzentrum oder im sich daran anschließenden Galerien- und Antiquitätenviertel Insadong. Ein weiterer Hotspot ist die Rodeostraße im Seouler Schickeria-Viertel Apgujeong-dong, wo es sogar ganze Gebäude nur mit Wahrsagern gibt.

Diese Viertel haben natürlich zum Jahreswechsel, vor allem zum Jahreswechsel nach Mondkalender, den wir gerade am 7. Februar hinter uns gebracht haben, und auch noch für die zwei Wochen danach Hochkonkunktur. Die Fragen, mit denen sich heutzutage die Wahrsager in Korea konfrontiert sehen, sind dabei sehr konkret wie z.B. Soll ich jetzt Aktien der und der Firma kaufen oder lieber noch etwas warten? Die Wahrsagerei hat in Korea im Zeitalter der Informations- und Wissensgesellschaft nicht nur überlebt, sondern sich sogar zu einer hochspezialisierten Industrie entwickelt. So gibt es Wahrsager mit den Spezialgebieten Finanzen und Immobilien, Uniaufnahmeprüfung, Heirat oder Karriere. Es scheint, dass die Wahrsager die Entwicklung ihres Geschäftsbereichs richtig vorausgesehen und entsprechend rechtzeitig Maßnahmen ergriffen haben, was ja durchaus für die Qualität ihrer Dienste spricht. Die Wahrsageseiten im Internet bringen nach den Spieleseiten die höchsten Gewinne. SK Telecoms online Wahrsageservice soll alleine zwischen 2005 und 2006 um 40% gewachsen sein.

Landesweit soll es in Korea an die 450.000 Wahrsager geben, viele davon Mudang, also Schamaninnen, die diesem Geschäft seit alters her nachgehen. Der Wert dieses Geschäftsbereich entspricht mit geschätzten zwei Milliarden US-Dollar fast dem der koreanischen Filmindustrie. Während ganz früher in Korea hauptsächlich Hausfrauen und Beamte Wahrsager aufsuchten - die Hausfrauen wollten mehr über die Geschicke ihrer Familie erfahren und die Beamten über mögliche politische Wechselfälle - kommen heute Studenten, Angestellte und Vertreter aller Berufssparten, um Hilfe zu suchen.

Unter den ca. 150 Wahrsageseiten in Korea gehört www.sazoo.com wohl zu den modernsten und erfolgreichsten. Aber nicht nur die Internetanbieter schwimmen auf der lukrativen Welle der Sehnsucht nach mehr Wissen über die Zukunft. Auch Kinoketten wie CGV oder Großmärkte wie der E-Mart bieten auf ihren Geschäftsflächen Wahrsagerdienste an, meist Tarotkartenleser. Die dahinter stehende Logik des Booms, der sich besonders zum Jahreswechsel bemerkbar macht, ist simpel und Jahrtausende alt: Die Menschen gehen zum Wahrsager, um ihre Zukunftsängste zu überwinden und sich an einen Hoffnungsschimmer klammern zu können. Die Wahrsager erfüllen in Korea einen Teil der Rolle, die in den USA den Psychiatern zukommt. Allerdings verlangen sie nicht so hohe Honorare.

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