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Lifestyle

Die SOS- Kinderdörfer in Korea

#Sie fragen, wir antworten l 2008-03-24

Hörerecke

Die SOS- Kinderdörfer in Korea
FRAGE: Claudia und Michael Dirauf aus Bad Staffelstein haben 1989 das erste koreanische SOS-Kinderdorf in Daegu besucht und dort auch mit der Österreicherin Franziska Lemayr gesprochen, die das Dorf geleitet hat. Vielleicht könnten Sie einmal ausführlicher über die SOS-Kinderdörfer in Korea informieren, bittet das Ehepaar Dirauf.

ANTWORT: Das SOS-Kinderdorf in Daegu ist das erste SOS-Kinderdorf, dass Hermann Gmeiner, der Vater der SOS- Kinderdörfer außerhalb Europas einrichtete. Die Entstehung dieses Dorfes ist eng mit der Geschichte dreier österreichischer Frauen verbunden: Maria Heissenberger, Franziska Lemayr und Luise Sinnhuber. Maria Heissenberger kam 1959 im Alter von 29 Jahren nach Korea, wo sie an einer Frauenuniversität in Daegu zunächst Englisch und Deutsch unterrichtete. Sechs Jahre nach Ende des Koreakriegs war das Land natürlich immer noch stark von den Folgen des Krieges gekennzeichnet. In Eigeninitiative errichteten Maria Heissenberger und ihre Kollegin Susi Younger 1960 ein Heim für obdachlose Kinder, die sie „Schuhputzerbuben“ nannten, weil das wohl die übliche Methode der Kinder war, sich durchzubringen. 1961 sollte Frau Heissenberger im Auftrag des Erzbischofs von Daegu die Leitung eines weiteren Waisenhauses übernehmen. Für dieses Projekt wollte man auch die Südtiroler Seelsorgehelferin Franziska Lemayr nach Korea holen.

1962 war Maria Heissenberger auf Urlaub in Österreich, der wiederum dazu führte, dass über sie und ihre Tätigkeit in Korea ein Zeitungsbericht zustandekam. Auf diese Weise entstand Kontakt zu Hermann Gmeiner und das Projekt SOS-Kinderdorf Südkorea kam ins Rollen. Die Seelsorgehelferin Franziska Lemayr und die Salzburger Kinderkrankenschwester Luise Sinnhuber, die ursprünglich in einer Lepraklinik in Korea arbeiten wollte, taten sich zusammen. Voran ging jedoch 1963 eine Reise Hermann Gmeiners nach Korea, der auch zehn Jahre nach Kriegsende in Korea noch überall Kinder vorfand, „̀Kinder in Lumpen und zu Skeletten abgemagert“, so die Beschreibung damals. Was dann folgte, war die legendäre Reiskornaktion.

Kim Chung Suk, ein kleiner Junge aus den Straßen von Daegu, überreichte Gmeiner bei seinem Besuch ein Reiskorn als Symbol von Gesundheit, Frieden, langem Leben und Glück. Gmeiner gab dem kleinen Kim den Auftrag, seine Freunde zu mobilisieren, ihm ebenfalls Reiskörner zu bringen. Mit einem Sack voll Reis startete er nach seiner Heimkehr die Initiative „Ein Reiskorn für Korea!“ In Österreich, Deutschland, der Schweiz, in den skandinavischen Ländern und sogar in den USA wurden Millionen von einzelnen Körnern an Haushalte verschickt: Ein Reiskorn für einen Dollar bzw. was sonst Landeswährung war. Noch im selben Jahr konnte mit dem Bau des SOS-Kinderdorfes in Daegu begonnen werden, 1965 wurde der Betrieb aufgenommen, 1968 der Bau abgeschlossen.

Maria Heissenberger leitete den Aufbau als Bauverantwortliche, Dorfleiterin und Geschäftsführerin in einem Land, in dem es zu der Zeit beispielsweise schwer war, Zement aufzutreiben, und in dem kaum eine Frau in irgendeiner Form von Führungsposition zu finden war. 1968 verließ sie das Kinderdorf und widmete sich fortan der Arbeit mit Tuberkulosekranken. Sie blieb weitere 23 Jahre, also bis zur ihrer Pensionierung, in der Sozial- und Bildungsarbeit in Südkorea tätig, bevor sie nach Österreich zurückging. Die Leitung des SOS-Kinderdorfes Daegu übernahm daraufhin Franziska Leymayr. Seit 1981 liegt die Leitung des Dorfes in koreanischen Händen.

1972, als die erste Generation dem Kinderdorf entwachsen war, wurde die erste SOS-Jugendeinrichtung in Daegu eingerichtet, der weitere in Seoul und in Suncheon, im Süden Koreas, folgten. Nach dem Stand vom Januar 2008 sind im SOS Kinderdorf Daegu derzeit 100 Kinder untergebracht, 59 Jungen und 41 Mädchen. Sie werden in 13 Häusern von 13 Müttern betreut. Die Altersverteilung sieht wie folgt aus: 6 Kinder bis zum Grundschulalter, 43 Grundschulkinder, 18 Mittelschulkinder, 26 Oberschulkinder und 7 Studenten. Am 12. Oktober 2003 feierte das SOS-Kinderdorf Daegu sein 40. Gründungsjubiläum.

1980 wurden beinahe zeitgleich SOS-Kinderdörfer in Suncheon im Süden des Landes, und in Seoul errichtet. Das Dorf in Suncheon bietet ebenfalls rund hundert Kindern bis ins junge Erwachsenenalter ein neues Zuhause, in Seoul sind es über 120. Zur Unterstützung der Bevölkerung in der näheren Umgebung des SOS-Kinderdorfes Seoul wurde 1982 auf dem Gelände des Kinderdorfes ein SOS-Sozialzentrum in Form einer Kindertagesstätte eingerichtet. Dort werden auch Kinder aus der Nachbarschaft tagsüber betreut und seit 2002 werden zusätzlich Freizeitclubs für ältere Kinder und Jugendliche angeboten. Im Juli 1991 wurde das SOS-Berufsbildungszentrum in Pohang fertiggestellt, wo SOS-Kinderdorf-Mütter und Mitarbeiter auf ihre Aufgabe vorbereitet und begleitend unterstützt werden. Seit Ende 2004 gibt es in allen koreanischen SOS-Kinderdörfern spezielle Sozialzentren, wo in Kindertagesstätten Kinder mit besonderen Bedürfnissen aus der Nachbarschaft betreut werden. Im SOS-Berufsbildungszentrum in Pohang steht seit Ende 2005 auch ein Ferienlager für die Kinderdorf-Kinder zur Verfügung. Zurzeit gibt es in Südkorea drei SOS-Kinderdörfer, drei SOS-Jugendeinrichtungen, einen SOS-Kindergarten, ein SOS-Berufsbildungszentrum und vier SOS-Sozialzentren.

Nach dem Kindergarten besuchen die SOS-Kinder öffentliche Schulen. Mit Eintritt in die Mittelschule, also im Alter von 12 oder 13, ziehen die Jungen in ein Haus mit einer Betreuungsperson, die speziell für Jugendliche in diesem Alter ausgebildet wurde. Auffällig ist, dass in den ersten Jahren des Bestehens der SOS-Kinderdörfer so gut wie ausnahmslos Flüchtlingskinder, die die Eltern verloren hatten, in den Kinderdörfern ein Zuhause fanden. Blättert man die Jahresberichte der Kinderdörfer durch, wird deutlich, dass es sich heutzutage zum großen Teil um so genannte Sozialwaisen handelt, dass heißt, beide Eltern, bzw. ein Elternteil oder auch die Großeltern leben noch, sehen sich aber außerstande, sich um die Kinder zu kümmern. In einigen Fällen ist ein Elternteil gestorben und der zweite nicht mehr in der Lage, alleine für die Kinder zu sorgen. Andere Kinder sind Opfer von Scheidungen oder stammen aus Familien mit chronischen Gewalt- oder Alkoholproblemen. Auf der Webseite des SOS-Kinderdorfes Daegu berichtet stellvertretend jeweils eines der Kinder über seine Familie, die im Schnitt aus sieben oder acht Kindern verschiedener Altersstufen besteht. Es wird deutlich, wie sehr sich die Kinder umeinander kümmern, z.B. um die neuen jüngeren Geschwister, die in einigen Extremfällen noch mit fünf in die Hose machen oder kaum richtig sprechen können, Resultat der Vernachlässigung in den ersten Jahren. Die Kinderdorfmütter werden in ihrer Arbeit von Menschen unterstützt, die sich in der Freizeit sozial engagieren möchten. Auf der Webseite finden sich z.B. auch zahlreiche Anfragen von Schülern und Studenten oder Kirchengemeindemitgliedern, auf welche Weise man helfen kann. Das ist oft nicht so schwer: Hausaufgabenbetreuung, Spielen mit den Kleineren, Hilfe in der Küche usw. Die koreanischen Schüler müssen nach amerikanischem Vorbild bis zum Oberschulabschluss eine Reihe von geleisteten Sozialstunden nachweisen und da sind die Kinderdörfer natürlich ein idealer Platz.

Frau Dirauf berichtet in ihrem Tagebuchauszug aus dem Gespräch mit Frau Leymayr. „Das Problem ist, dass die SOS-Kinder für die Koreaner Waisen sind wie solche in richtigen Waisenhäusern. Sie verstehen den Unterschied nicht. Waisen sind ausgestoßene Kinder in der koreanischen Gesellschaft, die SOS-Kinder fühlen sich aber nicht als Waisen, da sie Mutter und Geschwister haben. Die Folge: Sie lügen und verstecken sich, um nicht gebrandmarkt zu werden. Haben sie endlich eine Stelle und werden von Kollegen gefragt, woher sie kommen und was der Vater von Beruf ist, lügen sie wieder und verstricken sich. Das ist ein Teufelskreis. Selten haben die Kinder den Mut, zu ihrer Vergangenheit zu stehen.“

Das hängt in Korea mit dem Konfuzianismus zusammen, der bis heute noch sehr großen Wert darauf legt, dass der Einzelne durch direkte Abstammung und Herkunft in eine soziale Kette und Hierarchie eingebunden ist. Die Fragen nach Herkunft und sozialer Stellung der Familie sind bis heute ungemein wichtig, v.a. bei Stellensuche und Heirat. Jedoch ändert sich langsam das Bewusstsein. Die mittlerweile relativ hohe Zahl von Scheidungskindern aus allen Schichten der koreanischen Gesellschaft kann man nicht einfach wegdiskutieren und auch gegenüber Adoption macht sich eine veränderte Haltung bemerkbar, v.a. nachdem koreanische Stars mit gutem Beispiel vorangehend einige Kinder adoptiert haben. Es formieren sich auch Selbsthilfegruppen Alleinerziehender oder von Adoptiveltern und im Internet wird über die neu entstandenen Familienformen, die im Westen schon seit mehreren Jahrzehnten präsent sind, diskutiert. Das dürfte die Situation auch für die SOS-Kinder heute etwas einfacher machen, die ja zudem in vielen Fällen keine echten Waisen sind. Hinzu kommt, wie wir eben gehört haben, das starke nach außen gerichtete Engagement der SOS-Kinderdörfer durch Einbeziehung der Kinder aus der Nachbarschaft. Ich denke, dadurch wird ein gewisses Solidaritätsgefühl gefördert, dass es den SOS-Kindern einfacher macht, zu sich selbst zu stehen und in die Gesellschaft integriert zu werden. Wer sich die wirklich schönen SOS-Kinderdörfer in Korea ansehen möchte, der gehe auf: www.koreasos.or.kr. Dort finden sich auch Fotos aus der Vergangenheit des SOS-Kinderdorfes Daegu.

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