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Lifestyle

Mers und „landestypische Krankenhausstrukturen und Gepflogenheiten bei der Pflege“

#Sie fragen, wir antworten l 2015-06-20

Hörerecke

Q:Seit dem Auftreten der Mers-Infektionen in Ihrem Land habe ich mir täglich die neuesten Informationen von der KBS-Webseite geholt. Bei den Berichten zur Ausbreitung der Krise entstehen für mich auch einige Fragen: Sind denn die ersten Infizierten nicht sofort isoliert untergebracht und jeder Kontakt mit nicht-medizinischem Personal unterbunden worden? Und was genau bedeutet es, wenn in den KBS Nachrichten berichtet wird: „Als eine weitere Ursache für die Verbreitung von Mers wurden nicht optimale Desinfektionsmaßnahmen und landestypische Gewohnheiten bei der Pflege sowie Strukturen in Krankenhäusern genannt.“ Was sind denn landestypische Gewohnheiten bei der Pflege?

A:Beide Punkte sind nicht unwesentlich schuld am Mers-Ausbruch. Natürlich wurden die Infizierten in den Krankenhäusern auf speziellen Quarantäne-Stationen isoliert, aber eben NACHDEM der Virus diagnostiziert wurde. Aber bis dahin saßen sie in den meisten Fällen entweder in der Notaufnahme, im Wartebereich des Krankenhauses, hingen am Dialysegerät bei der Nierenwäsche oder wurden von Familienangehörigen im Krankenhauszimmer gepflegt. Und da haben wir die ersten landestypischen Strukturen.
Wer einmal in der Notaufnahme eines koreanischen Krankenhauses war, der weiß, was für ein Betrieb dort herrschen kann. Gewartet wird je nach Krankenhaus auch oft nicht in einem speziellen Raum, sondern auf dem Gang, wo Stühle entlang der Wand stehen. Ich selbst habe mal die Tochter einer deutschen Bekannten, die sich an einem Samstag beim Schlittschuhfahren den Arm gebrochen hatte, zwecks Verständigung in die Notaufnahme eines bekannten Krankenhauses hier in Seoul begleitet. Dort ging es zu wie in einem Taubenschlag, einige Patienten lagen auf Pritschen auf dem Gang am Tropf oder mussten warten, bis eine blutende Verletzung verbunden werden konnte.
Und im Außenbereich von Krankenhäusern, also auf Straße und Gehwegen davor oder in den Parkanlagen, ist es nicht selten, Patienten im Schlafanzug des Krankenhauses am Tropf hängend spazieren gehen zu sehen und dabei auch schon mal eine zu rauchen. Ich selber habe meine Schwiegermutter öfter bei solchen Ausflügen nach draußen begleitet. Das Rollgerät, an dem die Infusionsflasche hing, war immer praktisch zum Festhalten. Und da sind wir auch schon bei Problem Nr. 2 der landestypischen Gewohnheiten.

In koreanischen Krankenhäusern sind Ärzte, Schwestern und sonstiges Personal sehr kompetent, pflichtbewusst und auch überaus höflich. Es fehlt jedoch vielerorts an Personal. Daher wird die Pflege der Kranken zum Teil rund um die Uhr von den Familienangehörigen, die sich ablösen, übernommen. Sie bringen zusätzlich Essen von zu Hause mit (es gibt extra einen Küchenbereich, in dem Besucher das mitgebrachte Geschirr spülen und Abfälle wegwerfen können), begleiten die Kranken bei ihren Untersuchungen bis vor die Tür des Untersuchungsraums, begleiten sie notfalls auf die Toilette, helfen ihnen beim Umziehen und beziehen oft die Betten neu. Zeitliche Beschränkungen gibt es da keine, die gibt es nur auf der Intensivstation. In Einzel- oder Zweibettzimmern ist das kein so großes Problem, in Vierbett- oder Sechsbettzimmern, die meist einen Vorhang als Sichtschutz haben, hat man aber oft die doppelte Anzahl an Leuten. Und das im schlimmsten Fall rund um die Uhr.

Auch das kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Die Krankenhausbetten haben gewöhnlich Pritschen unter dem Bett, auf denen sich das pflegende Familienmitglied ausruhen kann. Ich selber habe das zum ersten Mal bei der Geburt meiner Tochter erlebt. Ich hatte zwar ein Einzelzimmer, aber für meine Schwiegermutter wäre es ein krasser Verstoß gegen ihr Pflichtbewusstsein gewesen, die zwei Tage im Krankenhaus nicht an meiner Seite zu bleiben und mich aufzupäppeln. Das ist auch eine Frage der Ehre, an der quasi die Qualität der Familie gemessen wird: Man lässt seine Leute eben nicht allein, schon gar nicht im Krankenhaus. Als mein Schwiegervater vor sieben Jahren gestorben ist, war auch so gut wie rund um die Uhr immer einer aus der Familie da, und das, obwohl mein Schwager als Arzt in diesem Krankenhaus ständig ein Auge auf ihn hatte. Als der Zustand problematisch wurde, haben wir eine ausgebildete Pflegekraft eingestellt, natürlich auf eigene Kosten, die dann den Nachtdienst übernommen hat, so dass man sich wenigstens etwas ausruhen konnte. Auch das private Anstellen ausgebildeter Pflegekräfte ist eine in Korea sehr übliche Praxis. Die Krankenhäuser vermitteln auch selbst solche Kräfte. Diese landestypischen Pflegegewohnheiten haben für meine Begriffe viel Gutes, aber beim Ausbruch eines Viruses wie Mers bieten sie natürlich idealste Bedingungen.

Ein weiteres Problem ist, dass die Personen, die ganz am Anfang prophylaktisch zu Hause unter Quarantäne gestellt wurden, sich mangels Aufklärung und Informationen nicht daran gehalten haben und außer Haus gegangen sind. Zum Teil mussten sie raus, um sich Lebensmittel zu besorgen, denn die älteren Menschen auf dem Lande können sich ja nicht per Mausklick versorgen. An diesen Punkt, auch diese Kritik muss sich die Regierung gefallen lassen, hat man zwar quasi Quarantäne in Form von Hausarrest verhängt, aber nicht überlegt, wie sich die Leute ohne aus dem Haus zu gehen versorgen sollten. Und die alten Leutchen, von denen der Virus anfänglich übertragen wurde, kann man auch nicht unbedingt per Smartphone orten oder per SMS anweisen.

In Jandeok, 150 km südlich von Seoul, hat man dann kurzerhand ein ganzes Dorf mit 136 Leuten unter Quarantäne gestellt, weil eine 72 Jahre alte Witwe von dort ihren Sohn in Pyeontaek in der Nähe von Seoul besuchte, um ich im dortigen St. Marys Krankenhaus untersuchen zu lassen. Es war das Krankenhaus, in dem der erste, aus dem Nahen Osten zurückgekehrte Mers-Patient lag. Man hatte die Witwe zwar angewiesen, sich im Hause ihres Sohnes für eine gewisse Beobachtungszeit zu isolieren, was auch völlig korrektes und international übliches Vorgehen war. Aber die Witwe wollte ihrem Sohn möglicherweise nicht zur Last fallen und verließ dessen Wohnung. Als sie in der Nähe ihres Wohnortes zum Arzt ging, wurde Mers festgestellt und ganz Jandeok kam unter strengste Quarantäne mit Über- und Bewachung und zwei Mal täglichen Temperaturchecks für die alle Einwohner, meist ältere Leute. Die Leute aus der Umgebung haben dann in einer Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität Lebensmittel und was die Dorfbewohner sonst so brachten, zum hermetisch abgeriegelten Dorf gebracht. Die Sachen wurden dann von medizinischem Fachpersonal in Schutzanzügen ins Dorf gebracht.

Zur Erklärung des Verhaltens der alten Frau sollte man vielleicht auch noch hinzusetzen, dass Korea im Gegensatz zu anderen Ländern oder Regionen der Welt in den letzten Jahrzehnten keine Pandemien erlebt hat, die strenge Quarantänen erfordert hätten.

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