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Lifestyle

Nordkoreanische Flüchtlinge: Fluchtrouten und Integration im Süden

#Sie fragen, wir antworten l 2015-11-07

Hörerecke

Q:Ich habe eine Doku über die Flucht eines Nordkoreaners auf You-Tube gesehen, die mich sehr beeindruckt hat. Seltsamerweise flüchtete der Mann erst nach China und nicht direkt nach Südkorea. Könnte es sein, dass die direkte Grenze zu Südkorea unpassierbar ist?


A:Das kann man so sagen. Die DMZ ist 248 Kilometer lang und immerhin vier Kilometer breit. In ihrer Mitte verläuft die Militärische Demarkationslinie (MDL), de facto die Grenzlinie zwischen Nord- und Südkorea. Die DMZ wird von der aus Vertretern beider Seiten bestehenden Waffenstillstandskommission verwaltet. Das Betreten der DMZ ohne Genehmigung der Waffenstillstandskommission ist beiden Seiten grundsätzlich untersagt. Zudem ist die DMZ nicht nur hochgradig bewacht, sondern auch hochgradig vermint, so dass eine Flucht äußerst gefährlich ist. Nichtsdestoweniger gibt es immer wieder mal Fluchtversuche, und zwar erfolgreiche, und das auch in beide Richtungen. So schnitt etwa am 27. Oktober 2009 ein südkoreanischer Schweinefarmer ein Loch in den Grenzzaun der DMZ und floh nach Nordkorea. Und am 6. Oktober 2012 floh ein 18-jähriger nordkoreanischer Gefreiter nach Südkorea. Er durchquerte die DMZ, ohne entdeckt zu werden. Er soll geflohen sein, nachdem er zwei seiner Vorgesetzten getötet hatte.

Hauptfluchtrute der Nordkoreaner ist allerdings nicht die DMZ, sondern über die Grenze zu China. Rund 76% bis 84% aller Flüchtlinge, die in China oder Südkorea interviewt wurden, sollen von Nordkorea über die nordöstlichen Grenzen des Landes nach China geflohen sein. Wer auf der Flucht gefasst und zurückgeschickt wird, muss sich harten Verhören und Strafen stellen, oft droht der Tod in einem der Straf- und Umerziehungslager in Nordkorea. Auf chinesischem Gebiet helfen den Flüchtenden dann oft China-Koreaner weiter und auch südkoreanische Kirchengroupen oder NGOs. Oder die Flüchtlinge werden, wie in der Doku gezeigt, von Schleusern übers Meer in südkoreanische Hoheitsgewässer gebracht.
Weitere Fluchtrouten gehen von China über südostasiatische Länder wie Thailand und Laos nach Südkorea, oder aber auch über die Mongolei-Route nach Südkorea.

Q: In Südkorea angekommen, musste der nordkoreanische Flüchtling dann für 6 Monate in ein Umerziehungsheim! Diese Regelung hat mich sehr nachdenklich gemacht! Ok, sicherlich wird so sichergestellt, dass sich keine Spitzel einschleichen wollen, aber 6 Monate ist schon eine sehr lange Zeit oder? Und es würde mich interessieren, was in den 6 Monaten im Umerziehungsheim so alles passiert, ich denke neben dem Sicherheitscheck werden die Personen sicherlich auf ein Leben in der „Neuzeit“ vorbereitet?

A: Das kann man so sagen. Das 1999 eröffnete Hanawon ist für Integrations- und Soziolisationstraining sowie psychologische Unterstützung der nordkoreanischen Flüchtlinge, die sich in der südkoreanischen Gesellschaft zurechtfinden müssen, zuständig. Das Hanawon wurde ursprünglich mit dem Ziel gegründet, 200 Flüchtlinge für ein 3-monatiges Eingliederungsprogramm beherbergen zu können, 2002 wurde die Kapazität auf 400 erhöht, aber auch das reichte bald nicht mehr aus. 2004, aus Anlass des 5. Jahrestags der Gründung des Hanawon, wurde ein zweites Zentrum in Yangju errichtet, in dem v.a. Männer untergebracht werden.

Die Flüchtlinge im Hanawon lernen ganz praktische Dinge, z.B. wie man ein Bankkonto einrichtet und Geld am Automaten zieht, die Stromrechnung bezahlt oder sich um eine Stelle bewirbt. Sie werden auch mit der in Südkorea gesprochenen Variante des Koreanischen vertraut gemacht, aber auch mit der Geschichte der koreanischen Halbinsel und damit, dass Nordkorea den Koreakrieg begann und nicht der Süden, d.h. sie lernen auch die Geschichte zum Teil neu. Darüberhinaus unterweist man sie in den Grundlagen der Demokratie und der Menschenrechte. Es gibt begleitete Ausflüge in die Realität des südkoreanischen Lebens, d.h. man geht mit ihnen zum Einkaufen, auf die Bank oder Post, zum Friseur oder zum Essen auf den Markt oder in einen Kaufhaus Food Court.

Insgesamt ist aber die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge aus Sicherheitsbedenken stark eingeschränkt und die Sichherheitsüberwachung mit Wächtern, Kameras usw. ist streng. Das geschieht zum einen aus Furcht vor Angriffen nordkoreanischer Agenten, zum anderen auch zur Beruhigung der Flüchtlinge selbst, von denen nicht wenige unter Depressionen und Panikattaken leiden und deshalb ärztlich betreut werden. Die Arbeit der Hanawon-Mitarbeiter wird auch von NGOs und Kirchen unterstützt, deren Helfer z.B. den Flüchtlingen Privatunterricht geben, das kann in Englisch sein, aber auch in der südkoreanischen Variante der koreanischen Sprache, da sich nach Schätzungen mittlerweile rund 30% des Wortschatzes zwischen Norden und Süden unterscheiden. Von Verständnisschwierigkeiten wegen des Einschlags dialektal bedingter nordkoreanischer Aussprachegewohnheiten mal ganz abgesehen.


Q:Wie viele Personen flüchten eigentlich so pro Jahr?


A:Das ist unterschiedlich: Vor der Machtübernahme durch Kim Jong-un sollen es im Schnitt jährlich 3.000 gewesen sein. 2012, im ersten Regierungsjahr von Kim Jong-un, nur noch 1.502. 2013 waren es 1.514.
Nordkoreanische Flüchtlinge: Fluchtrouten und Integration im Süden

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