FRAGE: Günther Sievert aus Marl hat uns gerade rechtzeitig zu Chuseok gratuliert und meint: Am 3. September gab es den ersten Federweißen und Zwiebelkuchen aus der Pfalz. Sicher gibt es diesen Genuss in Korea nicht, oder? Dafür habt ihr sicherlich andere Spezialitäten, so z.B. auch zu Chuseok. Und auch Joachim Kuntze aus Mainz gratuliert zum Chuseok-Fest und spielt in seiner Karikatur auf den Federweißen an mit der Bemerkung: Zuviel des Guten schadet nur. In Korea gibt es wohl welchen aus Reis, oder?
ANTWORT: Federweißer, die wohl am meisten getrunkene Variante des Neuen Weins, der gerade erst zu gären begonnen hat, ist allerdings meines Wissens in Korea unbekannt. Und auch den Zwiebelkuchen dürfte es nur in besonderen westlichen Restaurants oder großen Hotels als Delikatesse geben. Was bekannt ist in Korea und seit einigen Jahren rege vermarktet wird, ist der Beaujolais Noveau, der ja auch noch nicht seine volle Reife erreicht hat. In Korea spielen am Erntedankfest Chuseok Reis, Obst und Gemüse der neuen Ernte eine große Rolle. Alle Gerichte werden aus Zutaten der neuen Ernte zubereitet, das gilt auch für die Weine. Was unbedingt an Chuseok gebraucht wird, ist Baekju, ein klarer Reiswein für die Ahnenverehrungszeremonien zu Hause, und Makgeoli, ein weißlich-trübes Getränk aus gegorenem Reis mit 5 bis 7% Alkoholgehalt. Beide Getränke werden aus Reis der neuen Ernte hergestellt. Makgeoli wird an Chuseok für die Ahnenverehrungszeremonien am Grab gebraucht. Die Geister der Verstorbenen werden an dem Tag jedenfalls gut mit geistigen Getränken versorgt. Doch fragen wir, bevor wir zu Chuseok-Spezialitäten kommen, zunächst einmal nach den Ursprüngen des Festes.
Der genaue Ursprung von Chuseok ist ungeklärt. Der Name „Chuseok“ bedeutet nichts weiter als „Herbstabend“, oft wird das Fest auch „Hangawi“ genannt, was man mit „großartige Mitte“ übersetzen könnte. Dass für die Menschen in der alten Agrargesellschaft der Wechsel der Jahreszeiten und der Rhythmus von Säen und Ernten eine große Rolle spielte und das Leben bestimmte, ist selbstverständlich. Der Mond und dessen wundersames Ab- und Zunehmen, das sich die einfachen Landmenschen damals nicht erklären konnten, spielte dabei eine große Rolle, weshalb der Mond auch als eine Art Gottheit verehrt wurde. Vor allem der Vollmond erhellte die bedrohlich wirkende Finsternis der Nacht. Und der hellste Vollmond schien am 15. Tag des achten Mondmonats. Kein Wunder, dass dieser Mond besungen und betanzt wurde. Gleichzeitig fiel in diese Zeit die Ernte, es war also eine frohe und gesegnete Zeit für die Menschen, hell wie der Vollmond. Man vermutet also hinter den frühesten Ursprüngen des Festes volkstümliche und schamanistische Dankes- und Opferrituale an die jeweiligen Schutzgottheiten und die Ahnen.
Soweit zum allgemeinen Hintergrund von Chuseok. Sucht man nach einer konkreten zeitlichen Einordnung des Chuseok-Festes, so kann man sagen, dass das Fest spätestens seit der frühen Silla-Zeit (57 v. Chr. bis 936 n. Chr.) begangen wird, wo es ursprünglich aus einem einen Monat dauernden Web-Wettbewerb entstand. Im Samguk-Sagi, der Geschichte der Drei Königreiche, heißt es dazu:
König Yuri von Silla teilte seine Hauptstadt in sechs Bezirke. Er ließ seine Prinzessinnen alle Damen in diesen Bezirken in zwei Gruppen einteilen, die dann in einem Webwettbewerb gegeneinander antraten. Der Wettbewerb begann am 16. Tag des 7. Mondmonats und dauerte einen Monat bis zum 15. Tag des achten Monats. Am 15. Tag begutachtete der König höchstpersönlich das Ergebnis der aus Hanf gewebten Stoffe und bestimmte den Gewinner. Die Gruppe, die verloren hatte, musste für die Gewinner Speis und Trank vorbereiten. Danach fand ein großes Fest statt. Auf diesem Fest sang eine der Damen des geschlagenen Teams ein Lied, in dem sie über die Niederlage ihrer Mannschaft lamentierte. Das melancholische hoeso-hoeso klang so wunderschön, das man daraus ein Lied komponierte, das bald im ganzen Reich bekannt war.
Das Lied galt nach historischen Aufzeichnungen als eins der berühmtesten der Silla-Zeit, ist aber leider nicht erhalten geblieben. Der Webwettbewerb wurde allerdings Tradition und wird bis heute an einigen Orten im Süden Koreas abgehalten.
Spricht man von Spezialitäten, die an Chuseok nicht fehlen dürfen, so ist an allererster Stelle Songpyeon zu nennen, Kiefernadel-Reiskuchen. Songpyeon sind kleine, halbmondförmige Reiskuchen, die aus Klebreis der neuen Ernte gemacht werden. Einem Teil des Teiges setzt man gemahlenen Beifuß bei, so dass der Teig dunkelgrün wird. Die Reiskuchen werden mit einer Mischung aus braunem Zucker und gemahlenen Sesamkörnern, gehackten Jujuben oder anderen süßen Mischungen gefüllt und dann auf einem Bett aus Kiefernadeln gedämpft, daher der Name. Anschließend werden sie noch warm in Sesamöl gewendet. Es gibt daneben je nach Region aber noch eine Reihe verschiedener Füllungen und Farben, alle mit einer besonderen Symbolik. Songpyeon mit roten Bohnen z.B. symbolisieren den Wunsch, dass die eigenen Studien erfolgreich sein mögen. Außerdem vertreibt Rot böse Geister. Songpyeon, die mit Beifuß, Kiefernextrakt, Gardenien-Samen oder der Omija-Frucht in den fünf Kardinalfarben gefärbt sind, stehen für die fünf Grundelemente des Universums, also für Wasser, Feuer, Erde, Metall und Holz. Reinweiße Songpyeon ohne Füllung symbolisieren das Verlangen nach Wissen und auch eine aufrechte Lebensführung. Die ältesten historischen Belege für Songpyeon stammen aus der Goryeo-Zeit, die von 918 bis 1392 anzusetzen ist. Übrigens heißt es, dass diejenige, die die formschönsten Songpyeon herstellen kann, einen besonders guten und gut aussehenden Ehepartner bekommt. Das führt in der Küche beim gemeinsamen Herstellen dieser Reiskuchen oft für einige Neckerei und Heiterkeit.
Songpyeon dürfen denn auch nicht auf der Ahnenverehrungstafel fehlen. Denn der Tag des Vollmondfestes Chuseok beginnt mit einer Ahnenverehrungszeremonie, bei der sich alle Familienmitglieder vor der mit den Gaben der neuen Ernte reich gedeckten Ahnentafel verbeugen, den Ahnen Dank sagen und um Schutz und Beistand für die Zukunft bitten. Songpyeon werden dann auch mit zu den Gräbern der Ahnen genommen, wo noch einmal eine entsprechende Zeremonie stattfindet. Diese Zeremonien reichen in der Regel drei Generationen väterlicherseits zurück, so dass etwa sechs Gräber zu besuchen sind. Vor Chuseok oder aber auch beim Grabbesuch an Chuseok selber ist es üblich, das Gras, mit dem die Grabhügel bewachsen sind, zu kürzen und Unkraut zu jäten. Dieser Brauch wird Beolcho genannt.
Aber Chuseok ist kein rein streng-feierlicher Tag mit gutem Essen, wie die Ahnenverehrungszeremonien vermuten lassen könnten, es ist auch ein Tag, der traditionell mit einer Reihe von Volksspielen begangen wird. Ein Beispiel dafür ist das Geobug-nori, das Schildkrötenspiel, das am Chuseok-Abend aufgeführt wird. Aus Maisblättern wird eine riesige Schildkrötenform hergestellt, in die zwei junge Männer hineinkriechen. Sie ziehen dann mit anderen Jugendlichen und mit Bauernmusikbegleitung von Haus zu Haus, wo sie einige Tänze aufführen, bis die Schildkröte dann irgendwann erschöpft zu Boden sinkt. Der Schildkrötenhirte sagt zum Herrn des Hauses: „Die Schildkröte ist den weiten Weg über das Ostmeer gekommen und sehr müde. Sie braucht Nahrung.“ Der Hausherr bietet Reiskuchen, Obst und andere Leckerbissen an. Dann sagt der Schildkrötenhirte: „Liebe Schildkröte, du bekommst etwas zu fressen. Aber du musst deine Dankbarkeit zeigen.“ Daraufhin gibt die Schildkröte noch einmal einen Tanz zum besten, um dann zum nächsten Haus weiterzuziehen. Hinter diesem Spiel steht wahrscheinlich der Glaube, dass Schildkröten ein langes und gesundes Leben haben, das damit auch den Menschen, die sie besucht, gewünscht wird.
Einen ähnlichen Charakter hat das So-megi nori, das Ochsenfütter-Spiel. Hier kriechen zwei junge Leute in ein Ochsenkostüm und ziehen mit Bauernmusikbegleitung von Haus zu Haus, um um Futter für den hungrigen Ochsen zu bitten. Dahinter steht der Wunsch nach einer reichen Ernte und natürlich auch ein bisschen Unterhaltung für die Bauern in der sehr arbeitsintensiven Erntezeit. Diese Spiele erinnern vom Grundgedanken an westliche Bräuche wie das Sternsingen oder auch das Trick or treat zu Halloween. Für weitere Unterhaltung sorgen an den Chuseok-Feiertagen Wettkämpfe im Ssireum, dem traditionellen koreanischen Ringen, bei dem es zum Teil auch heute noch einen Stier zu gewinnen gibt.
Berühmt ist auch das Ganggang Sullae, ein koreanischer Kreistanz. Mütter und Töchter in der traditionellen Kleidung Hanbok bewegen sich an der Hand haltend tanzend und singend im Kreis. Die Frau mit der besten Stimme singt vor und alle anderen stimmen in den Refrain Ganggang Sullae ein. Es heißt, dass dieser Tanz auf die Japanischen Invasionen im 16. Jahrhundert zurückgeht. Damals sammelten sich die Frauen in Militärkleidung um die Lagerfeuer auf den Hügeln, wo sie das Lied sangen. Das erweckte den Eindruck, dass das koreanische Militär zahlenmäßig stärker als in Wirklichkeit war und in bester Kampfeslaune. Nach dem Krieg kamen die Frauen in den Küstenregionen zusammen und tanzten weiterhin den Kreistanz in der hellsten Mondnacht des Jahres, an Chuseok. Ganggang ist übrigens ein rein koreanisches Wort aus dem Dialekt der Jeolla-Provinz und bedeutet „Umstände“ oder auch „rund“. Auch Sullae hat koreanischen Ursprung, es meint „patrouillieren“ oder „Ausschau halten“. Ganggang Sullae bedeutet also „Rundherum Ausschau halten“.