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Kultur

Leseinszenierungen und Workshops: Koreas Bühnen öffnen sich

2013-12-10

Am 20. November im Seouler Sejong-Kulturzentrum. Bei der Aufführung der Oper mit dem Titel "Wie der Mond über das Wasser schwebt" ist das Bühnenbild ungewöhnlich schlicht, und die Sänger werden nur von einem Klavier begleitet.

Die Sänger schauen während der Aufführung ungehemmt in Skript und Noten. Bei der Veranstaltung handelt es sich um eine sogenannte Leseinszenierung. Lee Geon-yong, der Intendant der Städtischen Oper Seoul.

Bei einer Leseinszenierung wird auf Kostüme, Bühnenbild und Orchester verzichtet. Es wird nur die wichtigste Musik ausgewählt und dann mit Noten aus dem Stehgreif aufgeführt. Die Hauptdarsteller sind alle dabei, aber sie müssen noch nichts auswendig lernen. Sie haben die Noten zur Hand und werden nur von einem Klavier begleitet. Die Aufführung findet zwar auf einer Bühne statt, aber das Bühnenbild wird nur minimal gestaltet, gerademal mit Licht an, Licht aus.



Diese Leseinszenierung ist gewissermaßen ein Testlauf. Die Oper der Stadt Seoul will sich damit vor der offiziellen Premiere ihrer neuen Produktion das Feedback des Publikums einholen.

Wenn man ein Stück geschrieben hat, braucht man konkretes Feedback. Die objektivste Methode dafür ist, das Stück auf die Bühne zu bringen und es sich aus der Zuschauerperspektive anzuschauen. Deswegen haben wir uns für diese Leseinszenierung entschieden. So mancher fragt, warum wir dann keine richtige Generalprobe machen. Aber dafür braucht man Kostüme, Bühnenbild und Orchester, und das ist das Teuerste an einer Oper. Dabei wissen wir noch gar nicht, ob die neue Oper gut ist oder ob nicht noch was geändert werden muss. Bei einer inszenierten Lesung wird daher nur das grobe Gerüst genommen und überprüft, ob es funktioniert. Es ist gewissermaßen ein Zwischentest in der Vorbereitung.

Die Reaktion des Publikums fällt positiv aus. Der Intendant der Oper Seoul zeigt sich erleichtert.

Den Zuschauern hat es ziemlich gut gefallen. Sie haben ja alle für ihre Tickets gezahlt. Viele fanden es mal was anderes. Es hat sie an Radiohörspiele erinnert, die die Phantasie anregen und nur mit Stimmen und Effekten für Unterhaltung und Emotionen sorgen. Für die Zuschauer war es die erste Leseinszenierung, und viele waren vorher skeptisch. Aber nach und nach kamen immer mehr, und am Ende waren die Reihen voll. Die Reaktionen waren gut.



Bühneninszenierungen haben heute hohe Produktionskosten, und da bedeuten leere Zuschauerreihen große Verluste. Vor diesem Hintergrund sind neue Formate wie solche Leseinszenierungen zu sehen, die sich beim Publikum in letzter Zeit großer Beliebtheit erfreuen. Produzenten können damit die Wirkung eines Stückes beim Publikum austesten, die Zuschauer haben das Gefühl, in den Produktionsprozess eingebunden zu werden, und können ein tieferes Verständnis für die Werke entwickeln. Es ist eine Win-Win-Situationen für beide Seiten - kein Wunder also, dass Leseinszenierungen und ihre Freunde der neue Trend in der koreanischen Theaterwelt sind.

Ursprünglich waren Leseinszenierungen geschlossene Veranstaltungen für Investoren und Brancheninsider. Doch seit einiger Zeit stehen sie auch dem normalen Publikum offen. Das ist ein Zeichen für die zunehmende Öffnung der Theaterwelt. Der Kulturkritiker Kim Heon-sik.

Früher legte man in der Bühnenkunst viel Wert auf Exklusivität, wie in anderen Kunst- und Kultursparten auch. Es wurde klar zwischen den Erschaffern eines Werkes und seinen Zuschauern getrennt. Durch diese klare Trennung wurden letztlich die Zuschauer vernachlässigt. In letzter Zeit gibt es jedoch immer mehr leidenschaftliche Fans, die viel Ahnung haben. Es wurde daher immer wichtiger, dem Anspruch und den Bedürfnissen dieser Fans gerecht zu werden. Früher hatten die Zuschauer kaum Möglichkeiten, Feedback zu geben. Wenn sie dann eine Inszenierung verschmähten, wurde viel über das Niveau oder die Interessen des koreanischen Publikums geredet. Aber meistens war ein solches Scheitern darauf zurückzuführen, dass man die Wünsche der Zuschauer nicht ausreichend widergespiegelt hatte. Jetzt werden neue Produktionen schon in der Vorbereitungsphase dem Publikum gezeigt. Damit kann man den Forderungen des Publikums Rechnung tragen und gleichzeitig das Niveau der Stücke anheben.

Neue Produktionen, bei denen man an einen sicheren Erfolg geglaubt hatte, stellten sich als Publikumsflop heraus, und Stücke ohne große Erwartungen wurden zum Hit. Die Macher von Bühnenproduktionen begannen daher, immer mehr Wert auf frühzeitige Publikumstests zu legen.

Leseinszenierungen und Workshops gibt es seit drei oder vier Jahren. Mit ihnen wurden die Proben vor der eigentlichen Aufführung dem Publikum zugänglich gemacht. Man kann dabei im Voraus testen, wie das Publikum auf das Stück und einzelne Passagen reagiert, und ob die ursprünglichen Absichten des Regisseurs oder Autors wie gewollt bei den Zuschauern ankommen. Auch das Zusammenspiel von Produktionsteam und Schauspielern kann dabei noch abgestimmt werden.

Durch diese Öffnung der Proben gibt es heute nicht mehr nur die eigentlichen Aufführungen, sondern auch Leseinszenierungen, Workshops und vieles mehr. Eine ganz neue Vielfalt, die da in der koreanischen Theaterwelt herrscht.

Eine Gruppe von Schauspielern wärmt sich vor der Probe mit Stimmübungen auf.

Wir sind bei einer Probe für eine Aufführung von Shakespeares "Othello". Die Premiere ist für Januar 2014 angesetzt, die Zeit für Proben beträgt also gerade mal noch einen Monat. Die Schauspieler sind bei der Lesung daher alle mit großem Ernst bei der Sache.

In Kürze will die Kompanie einen öffentlichen Workshop zu dem Stück durchführen. Die Regisseurin Park Ji-hye.

Bei dem Workshop zeigen wir unseren Vorbereitungsprozess. Wir zeigen, womit wir gerade experimentieren und was für eine Aufführung wir auf die Bühne bringen wollen. So teilen wir mit dem Publikum, was wir für die eigentliche Aufführung gerade ausprobieren. Diesmal planen wir zum Beispiel, nur drei Akte zu zeigen und nicht alle. Wir wollen sehen, wie das Publikum reagiert.

Bei einer Leseinszenierung wird das gesamte Stück gezeigt, bei einem Workshop können einzelne Aspekte ausprobiert werden. Dabei kann es auch passieren, dass neue Ideen überhaupt nicht funktionieren. Für Regisseur und Schauspieler ist das dann natürlich erst einmal enttäuschend, aber gleichzeitig macht es den Weg frei für eine Weiterentwicklung. Für die Schauspieler sind Workshops daher äußerst spannend und eine gute Gelegenheit, Selbstbewusstsein für die eigentliche Aufführung zu sammeln. Der Schauspieler Yang Jong-uk.

Man kann ungehemmter ausprobieren. Aus meiner Sicht ist das der eigentliche Sinn von Workshops, dass schauspielerisch und dramaturgisch experimentiert werden kann. Da ist Mut wichtig, man darf keine Angst vor dem Scheitern oder vor Fehlern haben. Dann kann man aber frei suchen und entdecken und das Ganze unter dem Aspekt der langfristigen Entwicklung sehen.

Wer jetzt denkt, bei Leseinszenierungen und Workshops blieben die Zuschauerreihen leer, der irrt sich. Die Veranstaltungen sind regelmäßig ausverkauft. Der Kulturkritiker Kim Heon-sik.

Leseinszenierungen und Workshops sind in gewisser Weise Aufführungen im Rohzustand. Bühnenbild und -effekte, Kostüme, Make-up, Licht und Musik, das alles fehlt. Dadurch kommt die Essenz des Stückes aber mehr zum Vorschein, und die Zuschauer können besser sehen, was die Kernaussage ist. Auch das ungezwungene Auftreten der Schauspieler und des gesamten Teams wirkt viel überzeugender und nahbarer. Die Tatsache, dass man an der Entstehung einer Produktion beteiligt ist und sie vor der Fertigstellung sieht, ist ein zusätzlicher Pluspunkt für die Zuschauer. Heute konsumiert das Publikum ein Werk nicht mehr nur passiv, sondern ist an seinem gesamten Entstehungsprozess beteiligt. Dieses Gefühl des Teilhabens sorgt für noch mehr Interesse.

Das Theaterstück "Schwester Mokran" läuft derzeit im Doosan Art Center in Seoul. Hauptfigur des Stückes ist eine Frau, die aus Nordkorea geflüchtet ist. Mit seiner gelungenen Darstellung der harschen Realität im geteilten Korea wurde das Stück im vergangenen Jahr bei den koreanischen Theaterpreisen mit dem Preis für das beste Stück ausgezeichnet. Auch die Publikumsreaktionen waren so begeistert, dass die Laufzeit von "Schwester Mokran" bereits in der Verlängerung ist. Erstmals aufgeführt wurde es jedoch bereits vor zwei Jahren - als Leseinszenierung. Dieser Testlauf hatte großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Stückes. Der Regisseur Jeon In-cheol.

Die szenische Lesung war uns damals eine große Hilfe. Zunächst einmal haben wir danach den Schluss geändert. Im Gespräch mit den Zuschauern haben wir noch mehr Entwicklungspotential im Stück entdeckt. Nach monatelangen Gesprächen mit dem Autor wurde dann der Schluss geändert, und das Stück wurde dadurch noch einmal besser. Es hatte kein herzwärmendes Happy End mehr, sondern warf Probleme und Fragen auf, mit denen wir uns in der heutigen Realität beschäftigen müssen. Beim Schreiben des Stückes waren alle mit dem Happy End zufrieden gewesen. Aber als wir uns dann unsere Realität angeschaut haben, entschieden wir uns doch für ein Ende, das unseren heutigen schwierigen Zeiten eher entspricht.

Erst durch diese Änderung wurde das Stück zum Hit. Denn erst durch das neue Ende erreichte "Schwester Mokran" emotionale Reaktionen bei den Zuschauern, die auch nach Ende der Vorstellung noch lange nachklingen.

Ich hatte zuerst gedacht, dass es gut für die Hauptfigur ausgeht, aber es nimmt ein tragisches Ende. Das ist die Realität, es ist sehr bedauerlich.

Bei Leseinszenierungen und Workshops handelt es sich also um Aufführungen "in der Mache". Dank diesen neuen Formaten hat das koreanische Publikum nun viel mehr zu sehen, und die Interaktion zwischen Zuschauern und Theatermachern ist intensiver geworden. Die koreanische Theaterwelt leidet wie alle Branchen unter der schlechten Wirtschaftslage. Vielleicht können die neuen Aufführungsformen ja auch aus dieser Krise einen Ausweg aufzeigen.

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