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Kultur

Das Dorf in der Stadt: Koreas Apartments entdecken das Gemeinschaftsleben

2014-03-25

Jeden Montag und Donnerstag kann man in einer Apartmentsiedlung im Seouler Stadtteil Hwagok-dong einem Chor beim Proben zuhören.

Von der Qualität eines Profichors sind diese Männer und Frauen zwar weit entfernt. Aber es ist offensichtlich, dass sie schon lange miteinander singen. Um was für einen Chor handelt es sich? Die Organisatorin des Chors, Frau Lee Yeong-ae.

In der Apartmentsiedlung wohnen 2200 Familien. Von denen haben sich einige Leute mit Spaß am Singen zu diesem Chor zusammengeschlossen. Der Chor wird von einem Dirigenten pro bono geleitet, und es wird zweimal die Woche für jeweils zwei Stunden geprobt.



Zwei Jahre nach Gründung hat der Purumi-Chor 35 Mitglieder. Zwei Mal gab er bereits ein Jahreskonzert, und gelegentlich tritt der Chor bei Veranstaltungen auf. Das neueste Ziel der Sänger und Sängerinnen ist nun ein Erfolg bei einem Chorwettbewerb. Der Chor ist ein gutes Beispiel für den neuen Gemeinschaftsgeist, der in den bisher eher anonymen Apartmentsiedlungen Südkoreas Einzug gehalten hat. Dank Angeboten wie diesem lernen die Städter nun endlich ihre Nachbarn kennen.

Mehr als 60 Prozent der Südkoreaner leben in Apartments. In der Hauptstadt Seoul beträgt der Anteil 58 Prozent. Das Apartment hat sich also zur typischen Wohnform der Koreaner entwickelt, und diese Entwicklung ist eng mit der Geschichte Seouls verbunden. Genau dieser Zusammenhang wird derzeit in einer Ausstellung im Seouler Geschichtsmuseum unter dem Titel "Apartmentleben" beleuchtet. Die Kuratorin Jeong Su-in.

In der Ausstellung wird der Erfolgszug der Apartments historisch beleuchtet. Dabei haben wir drei Aspekte in den Vordergrund gestellt. Zum einen geht es um die Geschichte der Mittelschicht, die als Hauptzielgruppe für die Verbreitung der Apartments verantwortlich war. Dann wird die Situation der Menschen behandelt, die für den Bau der Apartments aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Und dann gibt es noch diejenigen, die seit 1980 geboren wurden und die in Apartmentsiedlungen groß geworden sind. Für sie sind das keine kalten Betonblöcke. Apartments sind ihre Heimat, mit der viele Erinnerungen verbunden sind. In der Ausstellung nennen wir sie "Apartment Kids". Wir haben die Ausstellung um diese drei Stichwörter herum gestaltet, damit die Menschen über die Bedeutung der Apartments nachdenken können.

Die Geschichte der südkoreanischen Apartments begann zeitgleich mit der Industralisierung. Mit den ersten staatlichen Plänen zur Wirtschaftsentwicklung zog es immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Hauptstadt. Seoul musste sich auf die neuen Bewohner einstellen.

Nach der Befreiung 1945 strömten die Menschen in Seoul zusammen und die Stadt wuchs schlagartig an. Es mangelte an Wohnräumen, und so waren die Berge bald mit Slums überzogen. Um dieses Problem zu lösen, wurden daraufhin Apartments im großen Stil gebaut. Dieses Modell zeigt die Jongam-Apartments, die ersten Apartments in der südkoreanischen Geschichte. Das waren nur drei Blocks und es gab keine Gemeinschaftseinrichtungen. Deswegen sprach man noch nicht von einer Siedlung.

Die Jongam-Apartments wurden 1958 fertiggestellt und befanden sich im Seouler Stadtteil Seongbuk-dong. In die 152 Wohnungen zogen vor allem Politiker, Künstler, Professoren und andere Mitglieder der Oberschicht ein. Ab den 1960ern wurden dann die ersten Apartmentsiedlungen gebaut und der eigentliche Apartmentboom begann.

1962 entstand die erste Apartmentsiedlung, die Mapo-Apartments. In den 40, 50 Jahren danach breiteten sich die Apartments dann aus. In den 60ern wurden vor allem Apartments für die Unterschicht gebaut. Nachdem 1970 das Wawoo-Apartment in Seoul wegen Baumängeln in sich zusammenfiel, wandte man sich eher der Mittelschicht zu. 1971 zogen die ersten Bewohner in die Hangang-Mansion-Apartments und die Yeouido-Apartments ein. In die Hangang-Mansion-Apartments wurden moderne Küchen mit Spüle eingebaut, in den Apartments auf Yeouido gab es zwölf Stockwerke, Zentralheizung und Aufzüge. Diese Apartments waren die Vorbilder der heutigen Apartments. Aus ihnen entwickelten sich die koreanischen Apartments, die die traditionelle koreanische Lebensweise und die westliche Apartmentkultur verbanden.

In den 1970ern wurden vor allem in den Bezirken Banpo, Yeongdong, Jamsil und Apgujeong südlich des Han-Flusses Apartments im großen Stil hochgezogen. Auch das Konzept des Modellhauses und die Möglichkeit, die Wohnungen bereits vor Fertigstellung zu kaufen, wurden damals geboren. In den 1980ern und 90ern erreichte der Apartmentboom in den Satellitenstädten im Großraum Seoul dann seinen Höhepunkt.

Die Asiatische Finanzkrise 1997 ließ die Immobilienpreise in den Keller stürzen, und es wurden weniger Apartments gebaut. Aufgrund des mangelnden Angebots kletterten die Apartmentpreise in die Höhe, und Apartments wurden zum Luxusgut. 2002 wurde dann mit dem Tower Palace im Stadtteil Dogok-dong im Seouler Gangnam-Bezirk der erste Luxus-Wohn- und Geschäftskomplex gebaut. Diese Form bestimmt seither den südkoreanischen Apartment-Markt. Die Modelle in der Ausstellung im Seouler Geschichtsmuseum zeigen, wie die südkoreanischen Apartments immer höher und teurer wurden - und immer grüner. So werden in letzter Zeit energieunabhängige und CO2-neutrale Apartments entwickelt, und die Parkplätze werden in Tiefgaragen verlegt und an ihre Stelle treten Parkanlagen und Spazierwege. Doch auch wenn die Apartments immer mehr Komfort bieten, ein Problem bleibt: Für ihre Bewohner ist das Leben einsam, denn das Verhältnis zwischen den Nachbarn ist anonym. Herr Byeon Yeong-su, Leiter eines Forschungsinstitutes für Gemeinschaftskultur in Apartmentsiedlungen.

Die Hardware der koreanischen Apartments entwickelt sich stetig weiter. Aber das Leben der Bewohner kann dem nicht folgen und ist extrem individualisiert. Die Menschen leben isoliert von einer Gemeinschaft und der Gesellschaft, was für gesellschaftliche Probleme in den Siedlungen sorgt. Häufige Beispiele sind Konflikte zwischen Nachbarn, zum Beispiel wegen Lärmbelästigung, oder Streit um Bau- und Nebenkosten.

Aufgrund dieser Probleme bieten neuere Apartments immer mehr Gemeinschaftseinrichtungen wie Spielplätze und Spazierwege, Kinos und Büchereien, oder Fitnessclubs und Schwimmbäder. Und seitdem solche Räume den Bewohnern eine Möglichkeit zur Begegnung geben, ist auch wieder ein Gemeinschaftsgeist in die Siedlungen eingezogen.

In einer Apartmentsiedlung im Seouler Westen stehen den Bewohnern den ganzen Tag über Tischtennisplatten zur Verfügung. Das Angebot wird rege genutzt, wie Herr Kim Ji-hwan vom betreibenden Verein erzählt.

Die Tischtennisplatten wurden vor drei Jahren von einigen Bewohnern im Untergeschoss aufgestellt. Am Anfang waren die Räume sehr heruntergekommen, aber wir haben sie gemeinsam hergerrichtet. Der Verein hat jetzt 60 Mitglieder, rund 20 Männer und 40 Frauen im Alter von Anfang 40 bis Anfang 70. Die Platten können sieben Tage die Woche genutzt werden.

Drei Mal die Woche gibt es Unterricht von einem Tischtennistrainer. Der Monatsbeitrag beträgt gerade einmal 20.000 Won, rund 13 Euro. Für dieses Geld können die Mitglieder nicht nur Sport treiben, sondern auch ihre Nachbarn kennenlernen. Das Mitglied Jang We-sun.

Andere Vereine sind sehr abweisend und interessieren sich nicht für neue Mitglieder. Aber unser Club ist anders, weil er innerhalb der Siedlung liegt. Hier weiß man, wer wo wohnt, man ist sich nahe, und es ist sehr familiär. Es wird gemeinsam gegessen und die Stimmung ist gut. Ich schaue immer vorbei, wenn ich Zeit habe, oft mehrmals am Tag.

Während sich die Mitglieder des Tischtennisvereins über den Sport kennenlernen, kommt man im Chor dank der gemeinsamen Liebe zur Musik zusammen.

Zweimal die Woche wird nach dem Abendessen geprobt. Da man sich innerhalb der Siedlung trifft, müssen sich die Chormitglieder über den Heimweg keine Sorgen machen. Das Mitglied Kim Bo-bae.

Ich schaffe es sonst noch nicht einmal, meine Freunde zwei Mal die Woche zu sehen. Aber hier sind ja alle Nachbarn. Man grüßt sich auf der Straße, legt gemeinsam Kimchi ein... es ist eher ein Dorf als eine Apartmentsiedlung. Das gefällt mir. Die Proben gehen um acht los. Ich mache also bis zwanzig vor acht schnell das Abendessen und Geschirrspülen fertig komme dann schnell hierher. Da ist nichts mit schminken und umziehen. Nach Ende der Proben kann man dann sich dann noch austauschen und gemeinsam nach Hause laufen. Dadurch ist es sicher und es entstehen keine Fahrtkosten.

Das Klavier wurde von einem Bewohner gespendet, und auch die Chorleiterin Son Myeong-hui macht die Arbeit pro Bono.



Ich hatte am Schwarzen Brett gesehen, dass sie einen Chorleiter suchten. Daraufhin habe ich mich gemeldet. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade am Überlegen, wie ich mein Leben im Ruhestand gestalten sollte, und hatte schon ans Unterrichten gedacht. Es macht mir Spaß und ich kann etwas Gutes tun. Heute weiß man ja oft nicht mehr, wer die Nachbarn sind. In solchen Vereinen kann man sich dagegen kennenlernen, Gemeinschaft leben und etwas gegen die Einsamkeit tun.

In dieser Apartmentsiedlung im Seouler Westen gibt es insgesamt 20 Vereine. Die Bewohner haben die Wahl zwischen Yoga, Line Dance, Tischtennis, Chor, Flötespielen und vielem mehr. Und wenn das Richtige noch nicht dabei ist, kann man bei der Bewohnervertretung einen Antrag stellen. Wenn sich genügend Interessenten und ein Lehrer findet, dann werden auch neue Angebote gerne eingerichtet.

Von außen betrachtet wirken die koreanischen Apartmentblocks kalt und abweisend. Doch in ihnen leben Menschen, und damit gibt es dort viel Potential für Nachbarschaft und gemeinsame Aktivitäten. Genau das wird derzeit von immer mehr Koreanern entdeckt - und mit dieser Entdeckung wird das Dorf wieder ein wenig in die Stadt geholt.

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