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Kultur

Untergang der Fähre Sewol: Südkorea trauert

2014-05-13

Der U-Bahnhof Jungang im Danwon-Bezirk der Stadt Ansan. Seit dem 20. April findet hier jeden Abend um 18 Uhr ein Trauerkonzert statt, mit dem den Opfern des Fährunglücks gedacht wird.

Auf einem nahegelegenen Platz flattern unzählige Botschaften der Trauer und Hoffnung im Wind. Mit Briefen und Musik verleihen die Menschen hier ihrer Trauer Ausdruck.

Wir wollten unsere Trauer mit Musik verarbeiten. Wir sind fast alle Teenager, und wir wollen uns hier täglich versammeln, bis auch das letzte Opfer gefunden wurde. Wir hoffen, dass wenigstens einer der Vermissten noch gerettet werden kann.



Am 16. April ging die Fähre Sewol auf ihrem Weg von Incheon zur Ferieninsel Jeju in den Gewässern vor der Insel Jindo unter. Mit Stand von Dienstagmorgen wurden 275 Tote geborgen, 29 Menschen werden immer noch vermisst. Die Katastrophe hat ganz Südkorea in Schock und Trauer versetzt.

Vom ersten Neigen des Schiffes bis zum vollständigen Kentern dauerte es gerade einmal 2 Stunden und 20 Minuten. Eine besondere Tragik wurde der Katastrophe dadurch verliehen, dass die meisten Passagiere an Bord Schüler waren. Die 2. Jahrgangsstufe der Danwon-Oberschule in Ansan nahe Seoul hatte für ihren Schulausflug zur Insel Jeju die Fähre gewählt. Sobald sich die Nachricht von dem Unglück verbreitet hatte, kamen die Eltern der Schüler in der Schule zusammen.

Ich hoffe einfach nur, dass er noch lebt. Seine Mutter ist zusammengebrochen, deswegen bin ich gekommen. Er hatte extra noch neue Schuhe für den Ausflug bekommen... Er war offensichtlich mit den anderen Schülern in der Kabine. Seine Mutter hat um 9 Uhr 20 noch mit ihm telefoniert. Da hieß es, dass sie angewiesen wurden, die Schwimmwesten anzuziehen und in den Kabinen zu bleiben. Er müsste immer noch im Schiff sein.

Papa, das Schiff geht unter, hat sie gesagt. Ich hab sie gefragt, ob sie eine Schwimmweste anhat, da meinte sie ja, und jetzt würden sie liegen. Sie hat mir noch versprochen, dass sie dort lebend herauskommt, dann ist die Verbindung abgebrochen.


Die Namen der Kinder, die noch während des Untergangs über ihre Mobiltelefone letzte Nachrichten verbreitet hatten, fehlten in der Liste der Geretteten.

Bald machten sich die ersten Eltern zum Hafen Paengmok auf der Insel Jindo auf, von dem aus die Rettungsmaßnahmen koordiniert wurden. Auch die Bürger, die über Sondersendungen und Eilmeldungen von dem Unglück erfahren hatten, konnten kaum fassen, was sich da abspielte.

Ich kann es gar nicht in Worte fassen. Ich hoffe einfach nur auf ein Wunder, damit die Schüler und die anderen Passagiere lebend zurückkehren.

Ich bin traurig, dass so etwas passiert ist, und wütend. Ich wünsche den Angehörigen viel Kraft und Hoffnung, und wünsche mir, dass die Vermissten morgen gerettet werden.


Doch die weiteren Nachrichten berichteten nur von Toten. Die Listen aller Passagiere, der Vermissten und der Geretteten wurden ständig korrigiert, und dieses Chaos vergrößerte die Verzweiflung der Eltern nur noch. Und auch den Rettungskräften gingen die schwierigen Bedingungen am Unglücksort und die Tatsache, dass sie nur noch Tote bergen konnten, an die Substanz. Die Worte des Einsatzleiters vor Ort, Hwang Dae-sik, zeigen deutlich, was der Einsatz selbst Experten abverlangte.

Es ist unglaublich anstrengend, weil es keine Ergebnisse gibt. Was bringt es da, dass wir unser Bestes geben, wenn wir nicht eine Person retten können? Für mich als Rettungskraft ist das beschämend, und es macht mich wütend.

Die verheerende Informationspolitik und die steigenden Todeszahlen vergrößerten die Trauer und den Schock der Angehörigen nur noch. Jedes Mal, wenn ein neues Opfer geborgen wurde, brachen die wartenden Menschen in der Sporthalle von Jindo in Klagen aus.

Auch viele Unbeteiligte brachen zum Hafen Paengmok auf, um irgendetwas tun zu können. Die Freiwilligen kochten für die Familien der Passagiere, wuschen Wäsche oder standen ihnen einfach nur bei.

Ich bin gestern morgen gekommen. Ab 6 Uhr morgens wird Frühstück verteilt, aber heute waren wir etwas spät dran. Wir kümmern uns auch um Mittag- und Abendessen.

Wir waschen gerade der Reihe nach die Wäsche. Wir wollten einfach irgendwie helfen.


Die Freiwilligen waren aus dem ganzen Land angereist, um den Angehörigen zu helfen. Doch das war oft schwieriger als erwartet. Der Psychologe Kim Seok-ju von der Seouler Nationaluniversität, der vor Ort psychologische Betreuung leistete.

Sie haben Angst, sind deprimiert und auch sehr wütend. Es war ein sehr großer Schock, und das auch nicht nur einmal. Mit jeder neuen Information wechseln sich Hoffnung und Verzweiflung ab, und das geht seit gestern so. Damit werden den Menschen immer wieder Schocks versetzt. Vielen geht es schlecht, ihr Herz rast und sie können nicht schlafen. Wenn sie nicht über das Unglück reden wollen, dann frage ich aber nicht weiter nach. Ich gebe ihnen dann einfach ein Beruhigungsmittel. Aber viele wollen noch nicht einmal das nehmen, weil sie die weiteren Entwicklungen nicht verpassen wollen. Sie nehmen noch nicht einmal Erkältungsmedizin.

Bis heute wurden im ganzen Land 141 Traueraltäre für die Opfer der Katastrophe aufgestellt, der größte davon in Ansan. Sie wurden bislang von mehr als 1,7 Millionen Menschen besucht, und die Besucherströme reißen nicht ab.

Die Menschen halten vor den Altären kurz inne und legen Blumen nieder. Viele haben gemischte Gefühle: Trauer mischt sich hier mit Schuldgefühlen darüber, die jungen Schüler und Schülerinnen nicht gerettet haben zu können.

Sie waren jünger als wir, hatten noch alles vor sich. Es macht mich so traurig, und ich würde mir wünschen, dass sie aufwachen und wieder zu ihren Eltern zurückkehren.

Bei den Bildern im Fernsehen musste ich weinen. Zuhause konnte ich das nicht verarbeiten, deswegen bin ich hierher gekommen. Es tut mir so leid, und ich habe dafür gebetet, dass wir uns in einer besseren Welt wiedersehen werden.


An einer Trauerwand vor dem Altar hängen auch Nachrichten aus aller Welt. Ein Brief von einer Mutter aus Deutschland, eine Trauerbotschaft in tadellosem Koreanisch von einem chinesischen Schüler, mutmachende Nachrichten aus Thailand. Außerdem flattern unzählige gelbe Schleifen im Wind, die in den letzten Wochen zum Symbol der Trauer für die Opfer der Fährkatastrophe geworden sind.

Auf den Bändern stehen verschiedene Nachrichten: Macht im Himmel all das, was ihr auf dieser Welt nicht machen konntet; Es tut mir leid, dass ich euch nicht beschützen konnte; Ruhet ewig im Himmel... Und dass die Erwachsenen verantwortlich waren und sich dessen bewusst werden müssen.

Heute sind bereits 28 Tage seit dem Unglück vergangen. In den letzten Wochen wurden die meisten Konzerte und Veranstaltungen im Land abgesagt, und viele Koreaner sagten ihre Reisen ab und hielten sich beim Konsum zurück. Und immer noch suchen die Taucher vor Ort unter schwierigsten Bedingungen nach den letzten Vermissten. Viele Experten sprechen davon, dass die Südkoreaner durch den Untergang der Fähre Sewol ein kollektives Trauma erlitten haben. Jo Seong-nam, Leiter des Eulji-Krankenhauses im Seouler Gangnam-Bezirk.



Südkorea mit seiner großen ethnischen Homogenität, dem Kollektivismus und der großen Emotionalität hat ein ausgeprägtes Risiko für kollektive Traumata und Depressionen. Die Fernsehbilder von den stagnierenden Rettungsarbeiten, dem Versagen der Behörden und den geborgenen Opfern verstärken die emotionale Identifikation noch und tragen zur Verbreitung der Depression bei. In der Stadt Ansan gibt es außerdem viele, die Verwandte oder Freunde unter den Betroffenen haben. Dieses unausgesprochene Leid kann zu noch stärkeren Symptomen führen.

Diejenigen, die es lebend aus der Sewol herausgeschafft haben, sind besonders traumatisiert und haben mit Schuldgefühlen und dem Risiko einer Postraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen. Und auch an den Rettungs- und Bergungskräften geht die Katastrophe nicht spurlos vorbei.

Während dem Einsatz selbst geht es um jede Sekunde, da haben sie keine Zeit, um das Trauma zu spüren. Erst nach Ende des Einsatzes kommt all das Schreckliche, was sie gesehen haben, hoch. Dann werden sie mit Schuldgefühlen zu kämpfen haben, dass sie nicht noch mehr haben retten können, und wütend über die Katastrophe sein. Das kann sich in Alpträumen, Unruhe- und Angstzuständen, Depressionen und Wut äußern. Auch die Einsatzkräfte müssen daher betreut werden.

Mit Kerzenlichtdemonstrationen wurde auch in den letzten Tagen noch auf ein Wunder gehofft, und mit gelben Schleifen der Trauer und Anteilnahme Ausdruck verliehen. Der Zeit des Wartens und der Trauer wird eine Zeit der Heilung folgen. Und dann bleibt zu hoffen, dass die Wut und die Erkenntnisse der letzten Wochen die Zeit überdauern werden - und die koreanische Gesellschaft dazu veranlassen, die Missstände, die zu dem Unglück geführt haben, nachhaltig anzugehen.

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