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Lifestyle

Leistungsdruck in koreanischen Schulen und Hagwon

#Sie fragen, wir antworten l 2017-09-02

Hörerecke

Q:Wie ihr wisst, bin ich noch Gymnasiast und muss auch dementsprechend Dinge für die Schule erledigen, wie z.B.: Hausaufgaben machen oder für Arbeiten lernen. Wie läuft das bei euch in Südkorea? Muss man dort wirklich so viel lernen wie man es im Internet zu hören bekommt oder ist das nur in manchen Schulen der Fall? Und auch ganz generell: Wie sieht es mit der Lern- und Arbeitsmotivation aus?

A: Das ist ganz generell natürlich schwer zu beantworten. Generell kann man erst mal sagen, dass ist Lerndruck und Erfolgserwartung von Seiten der Eltern, der Schule und der Gesellschaft in Korea wohl immer noch größer sind als etwa in Deutschland. Ausgenommen sind maximal die wenigen Alternativschulen Koreas mit z.B. Waldorf-Konzept, bei denen es sich in der Regel um Privatschulen handelt. Auch wenn man natürlich irgendwo akzeptiert, dass Begabung und Intelligenzquotient bei jedem Schüler unterschiedlich sind, herrscht unterschwellig doch die Anschauung, dass jeder es mit der entsprechenden Anstrengung und mit Fleiß schaffen kann, wenn er es nur will. Die koreanischen Kinder stehen also schon oft ab der Grundschule unter Druck. Der Besuch einer guten Grundschule erhöht die Chance auf eine gute Mittelschule zu kommen und dann auf eine gute Oberschule und in eine gute Universität. Um dem Sprößling einen Wettbewerbsvorsprung zu verschaffen, schicken die meisten Eltern die Kinder nach dem regulären Schulunterricht noch in spezielle Paukinstitute, die berühmt-berüchtigten Hagwon. Dort wird der Stoff weniger nachgelernt als vorgelernt, weshalb man „Hagwon“ auch nicht einfach mit „Nachhilfeinstitut“ übersetzen kann.
Und wie auch bei den Schulen gibt es bei diesen Paukinstituten qualitative Unterschiede. Diese Institute messen sich an der Zahl der Schüler, die es die Elite-Schulleiter hoch schaffen. Wer sich solche Hagwon leisten kann, schickt das Kind zum Teil schon vor dem Schuleintritt dahin, spätestens aber in der Grundschule. Die meisten Kinder besuchen nach dem Schulunterricht noch ein oder zwei Hagwon. Und manchmal ist das dann traurigerweise auch eine der wenigen Möglichkeiten, seine Freunde mal zu sehen.

Oft gehen die Kinder in verschiedene Hagwon, die auf verschiedene Gebiete spezialisiert sind: in der Regel ist das allen voran Mathematik, dann eine Fremdsprache, meist Englisch, und Naturwissenschaften, vielleicht noch Kunst. Im Hagwon bekommt man meist noch zusätzliche Hausaufgaben zu denen, die schon für die Schule zu erledigen sind. Besonders hart ist es die letzten drei Oberschuljahre, wenn die Reifeprüfung bevorsteht. Dann bürden die sog. „Top-Hagwon“ den Kindern noch Extra-Hausaufgaben auf, um ihre Erfolgsrate zu erhöhen.

D.h. neben dem öffentlichen Schulsystem existiert in Korea noch ein privates, kommerzielles Bildungssystem. Interessanterweise hat der mit harter Faust regierende Präsident Chun Doo-hwan 1980 ein Hagwon-Verbot erlassen. Der Grund war, dass diese kostenpflichtige private Bildung neben der eigentlichen öffentlichen Bildung die ärmere Bevölkerungsschicht zu sehr belastete. Die ursprünglich harte Regelung wurde aber auf den zunehmenden Protest der Eltern stufenweise zurückgefahren und in den 1990er Jahren als nicht-verfassungskonform aufgehoben. Versuche, die Hagwon-Gebühren per Regulierung auf einem vernünftigen Niveau zu halten, scheiterten und wurden einfach unterlaufen. In Seoul soll es über 25.000 dieser privaten Paukschulen geben, an die 6.000 davon im reichen Gangnam-Viertel.

Ein Grundschüler im Alter von 6-12 verbringt meist von 8.00 bis 15.00 Uhr in der Schule. Je älter er wird, desto mehr Hagwon wird er vor oder nach dem regulären Unterricht noch besuchen. Ein 12-15-jähriger Mittelschüler hat erst um 17.00 Uhr Schulschluss und geht danach ins Hagwon. Ein 15-18-jähriger Oberschüler ist bis 22.00 Uhr in der Schule und geht danach noch mal zum Hagwon bzw. vor Schulbeginn. Vor allem im Jahr vor der Reifeprüfung sind 5 Stunden oder weniger Schlaf pro Tag an der Tagesordnung. Je mehr man schläft, desto geringer die Konkurrenzkraft und die Hoffnung, ein aussichtsreiches Fach an einer der Top-Universitäten studieren zu können, so dass Credo.

Nach der Millenniumwende wurde das Seouler Südviertel Daechi-dong zum Bildungsmekka in Seoul. Denn dort sind wenigstens acht Elite-Oberschulen angesiedelt. Und dort machen die Hagwon und auch die Star-Lehrer eine Menge Geld, man spricht von Millionen Dollar im Jahr. Die meisten Oberschüler besuchen vor oder nach dem regulären Unterricht noch Hagwon. Diese Schüler haben dann aber auch meist bessere Schulnoten und bessere Reifeprüfungsergebnisse, höhere Chance auf einen Studienplatz an einer guten Uni, auf eine gute Stelle, auf eine aussichtsreichere Heiratspartie usw. usf.

Vor der Reifeprüfung im November haben es die Schüler besonders schwer. Einige besuchen neben dem Schulunterricht noch jeden Tag – und dazu gehören auch Samstag und Sonntag – acht Hagwon-Kurse. Für einen Schüler, der z.B. an einer Top-Uni Ingenieurswesen studieren möchte, wären das beispielsweise: ein Koreanischkurs, ein Englischkurs, zwei Mathekurse, zwei naturwissenschaftliche Kurse, einen für Mathematisches Schreiben und einen für naturwissenschaftliches Schreiben.

Das koreanische Schulsystem krankt daran, dass schätzungsweise 10 bis 20 Top-Oberschulen in Korea rund 50% der Eliteschüler des Landes produzieren. Diese Top-Oberschulen sind meist selbstständige private Oberschulen, die nicht vom Staat unterstützt werden. Viele sind auf Fremdsprachen oder Naturwissenschaften, manchmal auch Kunst spezialisiert. Die Gebühren für solche Spezialschulen sind rund drei Mal so hoch wie das, was man in öffentlichen Oberschulen zahlt. Von den Hagwon-Gebühren mal ganz abgesehen. Das dieses System die Geburtenrate niedrig hält, ist nicht weiter verwunderlich.

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