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Lifestyle

Geschichtsunterricht und die neuere koreanische Geschichte

#Sie fragen, wir antworten l 2015-10-17

Hörerecke

Q::Wie wird eigentlich in den koreanischen Schulen die neuere koreanische Geschichte behandelt? Nach drei Kindern in der Schule kann ich sagen: Die Zeit des 3. Reiches wird in Deutschland eher stiefmütterlich behandelt – es kommt auf das Engagement der Lehrkräfte an. Die Zeit der DDR ist im Geschichtsunterricht in solchen Fächern wie Politik und Wirtschaft dann ein großes Loch: es wird nichts darüber gesagt. Was ich auch für gefährlich halte – denn nur wenn ich die Geschichte und die Ursachen von Terror und Leid kenne, kann ich die Schüler zu aufmerksamen Bürgern heranreifen lassen. Und gerade deshalb finde ich die KBS-Webseite zu 70 Jahren Unabhängigkeit und Teilung wirklich gelungen und lesenswert.


A:Der Geschichtsunterricht in den Schulen ist auch in Korea in den letzten Jahren zu einem heißen Eisen geworden. Auch hier wird das mangelnde Wissen der jungen Generation über die koreanische Geschichte seit der Kolonialisierung der Landes durch die Japaner im Jahr 1910 beklagt. In Korea hat diese Entwicklung aber nicht zuletzt auch damit zu tun, dass koreanische Geschichte im Jahr 2005 bei der Suneung-Hochschulreifeprüfung, dem koreanischen Abitur-Äquivalent, aus dem Kanon der Pflichtprüfungsfächer herausgenommen wurde. Jedes Fach, dem dieses Schicksal widerfährt, geht den Bach herunter, weil die Schüler sich nur noch auf die prüfungsrelevanten Fächer konzentrieren, um die notwendige Punktzahl für die Aufnahme in eine der Elite-Universitäten des Landes zu schaffen. Das erging auch Deutsch als Fremdsprache in Korea nicht anders. In Korea geht es letztendlich nicht darum, WAS man studieren will, sondern in WELCHE Universität man es schafft. Wenn man dort dann auch noch den internen Numerus-Clausus für sein Wunschfach schafft, umso besser!

Nachdem Koreanische Geschichte aus dem Pflichtfachkanon der Hochschulreifeprüfung herausgenommen wurde, ging es mit dem Fach und dem Wissen der Schüler allgemein bergab, was dann auch bald offensichtlich wurde. Bereits 2013 beschloss das Erziehungsministerium nämlich, Koreanische Geschichte als Pflichtprüfungsfach wieder einzuführen. Ab 2016 werden die Schüler daher wieder gezwungen sein, sich mit der jüngeren Geschichte Koreas auseinanderzusetzen.

Die Wiedereinführung des Faches in den Prüfungsfächerkanon ist nicht zuletzt Aktivisten wie Prof. Seo Kyoung-duk zu verdanken, der an der Sungshin Frauenuniversität Allgemeinbildung unterrichtet. In diesem Kontext setzt er sich v.a. mit dem Streit zwischen Korea und Japan über Dokdo und die Trostfrauen auseinander und kommentiert dazu: „Bei diesem Streit ist nicht die japanische Regierung unser größter Feind, sondern unsere eigene Gleichgültigkeit. Die japanische Regierung hat z.B. kürzlich einem Schulbuchverlag erlaubt, das Thema der Zwangsprostituierung im 2. Weltkrieg auszusparen.“ Mit anderen Worten: Japan setzt den Geschichtsunterricht gezielt für seine politischen Zwecke ein, während zurzeit die Schüler in koreanischen Schulen sich noch nicht einmal mit dieser Geschichte auseinandersetzen müssen, weil sie koreanische Geschichte ja abwählen können. Nur emotional mit Gegenangriffen zu reagieren, dass Japan die Geschichte verzerre, reiche nicht, meint Prof. Seo. Man müsse erst einmal Daten, Fakten und Zusammenhänge kennen, um überhaupt argumentieren zu können. Nicht zuletzt handele es sich dabei auch um eine Menschenrechtsfrage.

Prof. Seo war denn auch schockiert, als er herausfand, wie wenig seine eigenen Studenten über koreanische Geschichte wissen. So z.B. über Ahn Jung-geun, der als Unabhängigkeitskämpfer sein Leben für die Befreiung Koreas lassen musste (siehe dazu die Antwort auf die Hörerfrage vom 18, Juli 2015). Das wäre in etwa so, als ob deutsche Schüler nichts mehr mit den Geschwistern Scholl anzufangen wüssten. Als vielleicht noch größerer Schock kam das Ergebnis der Umfrage einer Tageszeitung: 36% der befragten Mittel- und Oberschüler sollen geantwortet haben, dass das Trostfrauensystem eingeführt wurde, um Arbeitsmöglichkeiten für koreanische Frauen zu schaffen. 12,4% verwechselten die Trostfrauen, die Zwangsprostituierte waren, mit normalen Prostituierten. Und über 60% der Schüler hatten keine Ahnung, was die Kono Erklärung von 1993 beinhaltete. In dieser Erklärung hatte Yohei Kono, der damalige oberste Kabinettssekretär Japans, zugegeben, dass Frauen aus Korea und anderen asiatischen Ländern im 2. Weltkrieg von Japan in die Prostitution gezwungen wurden.
Prof. Seo meint dazu: „Einige sagen, die Jugendlichen von heute interessieren sich nicht für soziale Fragen. Es sind wir Erwachsene, die sie dahin gebracht haben. Wie können wir uns darüber beschweren, dass sie von der Unabhängigkeitsbewegung vom 1. März keine Ahnung haben, wenn das Thema nicht im Klassenzimmer behandelt wird?“

Übrigens beschäftigen sich koreanische Jugendliche auf ihren Blogs durchaus mit dem Problem des mangelnden Wissens über Geschichte und sind selber geschockt von Umfrageergebnissen, nach denen z.B. nur 46% der befragten Schüler die Bedeutung des Unabhängigkeitstags vom 15. August 1948 kennen oder nur noch 30% die der Gwangju-Demokratiebewegung vom 18. Mai 1980. Auch diese Jugendliche sehen im Wissen über die moderne und zeitgenössische Geschichte Koreas einen Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart und zur Identitätsfindung als Bürger der Republik Korea.

Das dürfte Prof. Seo natürlich hoffen lassen, ebenso wie Oberschüler, die es für vernünftig halten, unabhängig vom Studienfach an der Uni noch mal einen Kurs über koreanische Geschichte zu belegen und das auch auf ihren Blogs sagen. Leider ist das Studiensystem heutzutage zu sehr darauf aus- und angelegt, die Bedürfnisse der Wirtschaft und der Unternehmen zu erfüllen. Da gehen wichtige Inhalte historische Inhalte manchmal einfach baden. Übrigens wird in Nordkorea moderne Geschichte intensiv unterrichtet, was natürlich hauptsächlich der Zementierung des Herrschaftsanspruchs des Kim-Clans und der Juche-Ideologie des Landes zu schulden ist.

In Korea läuft im Geschichtsunterrichtskontext aktuell die Kontroverse um den Plan der Regierung, den Wortlaut im Geschichtscurriculum für Mittel- und Oberschulen zu ändern und z.B. „Gründung der Regierung der Republik Korea“ durch „Gründung der Republik Korea“ zu ersetzen. Damit wird in den Augen der Opposition die im Jahr 1948 gegründete Regierung unter Rhee Syng-man gleichgesetzt mit der Gründung der koreanischen Nation. Verneint werde damit umgekehrt die rechtliche Tradition der Provisorischen Regierung der Republik Korea, die mit der Bewegung vom 1. März in Shanghai gegründet wurde. Diese Tradition wiederum wird aber in der Verfassung der Republik Korea thematisiert.
Nach dem überarbeiteten Curriculum für Geschichte in der Mittelschule findet die Unabhängigkeitsbewegung nach den 1930er Jahren zudem kaum noch Erwähnung und der Anteil an moderner und zeitgenössischer Geschichte am Lernstoff wurde beschnitten – so weitere Kritik

Die Militärdiktaturen unter Park Chung-hee, dem Vater der jetzigen Präsidentin, und seinem Nachfolger Chun Doo-hwan werden im neuen Curriculum dann auch nicht mehr „Diktatur“ genannt, sondern „Zeit der autoritären Herrschaft“. Aus „Demokratie“ und „Industrialisierung“ wurden begrifflich „liberale Demokratie“ und „wirtschaftliches Wachstum“. Kritiker sehen dahinter den Versuch, einseitig die Prinzipien des freien kapitalistischen Marktes hervorheben zu wollen. Für das Erziehungsministerium hingegen ist es ein legitimer Versuch, historische Entwicklungen verständlicher machen zu wollen. Die Opposition sieht bei der Debatte um die Geschichtsschulbücher v.a. in der Vermeidung der Begriffes „Diktatur“ eine Verzerrung und Verharmlosung der dunklen Seiten der koreanischen Geschichte.

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