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Lifestyle

Jeonse – ein koreatypisches Mietsystem

#Sie fragen, wir antworten l 2010-01-09

Hörerecke

Jeonse – ein koreatypisches Mietsystem
FRAGE: Matthias Meckel aus Preston in Großbritannien schreibt: Als ich zum ersten Mal von 전세 (Jeonse), wortwörtlich „Ganze Miete“, hörte, erschien mir dieses System sehr ungewöhnlich zu sein. In einer Lektion Ihres Sprachkurses wurde es mit „Jahresmiete“ übersetzt. Könnten Sie dieses System und die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt genauer erklären?

ANTWORT: Jeonse (전세:傳貰) ist ein Begriff des Immobilienmarktes, der sich auf ein speziell koreanisches System der Miete bezieht, das weltweit in dieser Art einzigartig ist. Wir haben es in unserem Koreanischkurs einfach mit „Jahresmiete“ übersetzt, da die Miete bei diesem System in der Regel für zwei, manchmal auch für drei Jahre, als Pauschalbetrag vorausbezahlt wird. Je nach Stadtviertel und Marktwert der Immobilie zahlt man von rund 20 bis 80% des Kaufwertes der Immobilie im Voraus. In der teuren Kangnam-Gegend von Seoul, dem Viertel südlich des Han-Flusses, liegt die Jeonse-Miete etwa zwischen 25 bis 35% des Verkaufspreises der Immobilie. In anderen Gegenden sind es im Schnitt eher 40 bis 60 oder 70%. In Vierteln, die im Rahmen der Stadtsanierung in absehbarer Zeit der Planierraupe zum Opfer fallen, zahlt man nicht mehr als 20 bis 25%. Nach Ende der Laufzeit des Mietvertrags, die wie gesagt, in der Regel zwei, seltener drei Jahre, beträgt, zahlt der Vermieter die Gesamtsumme wieder an den Mieter zurück. Bei diesem System müssen Makler und Mieter sich natürlich absichern, da es sich in der Regel um Summen von mehreren Zehntausend bis zu mehreren Huntertausend Euro handelt. Das heißt, die Immobilie sollte möglichst hyothekenfrei sein bzw. durch andere Werte gedeckt, so dass der Mieter zu Ende der Laufzeit auch sicher sein kann, dass er sein Geld voll zurückerhält bzw. im Ernstfall ganz oben auf der Liste der Gläubiger steht.

Das ist wichtig, denn der Immobilienbesitzer kann während der zwei oder drei Jahre der Laufzeit des Mietvertrages die Jahresmietsumme beliebig investieren oder anlegen. Das ist natürlich v.a. interessant, wenn der Vermieter, der vielleicht noch andere Immobilien als Sicherheit besitzt, größere Investitionssummen benötigt, oder v.a. Dingen wenn die Sparzinsen besonders hoch liegen. In solchen Zeiten können die Gewinne durch Jeonse nämlich höher sein als eine normale Monatsmiete. In Zeiten, in denen die Zinssätze nicht besonders günstig sind, entscheidet man sich in Korea eher für das normale Weolse-System. Das heißt, man zahlt eine Kaution von vielleicht 10% der Kaufsumme der Immobilie als Sicherheit, die man auch wieder zurückerhält, und dann eine normale Monatsmiete, die nicht zurückgezahlt wird. Dazwischen gibt es aber auch noch Mischformen mit z.B. 20 bis 30% Kaution und entsprechend niedrigere Monatsmiete. Ob eine Immobilie nach dem Jahresmieten-System oder dem Monatsmieten-System vermietet wird, hängt von der Entscheidung des Besitzers ab.


Jeonse ist immer noch weit verbreitet in Korea, insbesondere im Wohnimmobiliensektor. Das System gilt aber auch für andere Arten von Immobilien wie gewerblich genutzte Räumlichkeiten. Es dürfte sich während der Zeiten der Industrialisierung verbreitet haben, als die Sparzinssätze der Banken in Korea noch hoch waren und gleichzeitig die Nachfrage nach Wohnimmobilien in den Städten das Angebot überstieg. Es waren die Zeiten in den 1970er Jahren, in denen zwei Familien in einem Einfamilienhaus wohnten und die Zinssätze für feste Spareinlagen mit einer Laufzeit von mehreren Jahren noch zwischen 12 und 26% betrugen. Damals war Jeonse für Wohnimmobilienbesitzer ein mehr als lukratives System. Gleichzeitig bedeutete es für diejenigen, die sich die Jahresmieten leisten konnten, dass sie frei von monatlichen Mietzahlungen waren, was sie wiederum konkurrenzfähiger auf dem Arbeitsmarkt machte. Hier sprangen bei jungen Leuten oft die Eltern finanziell in die Presche, um einem jungen Ehepaar einen guten Start zu ermöglichen. Die andere Seite der Medaille waren in der Zeit Arbeiter vom Land, die in die Städte abwanderten, aber sich dort keine Jeonse-Unterkunft leisten konnten, was den sozialen Aufstieg behinderte.

Für die Baufirmen war Jeonse ein lukratives Geschäft. Wohnimmobilien waren oft schon ausverkauft, bevor die Gebäude fertigestellt waren. Das war einer der Gründe für die überhitzte Entwicklung der Städte und die Immobilienspekulationen. Ende der 1990er Jahre sanken die Bankzinsen im Zuge der Asienkrise jedoch bis auf 4%. Das trieb natürlich die Jeonse-Sätze im Vergleich zum Verkaufswert der Immobilie in die Höhe und machte das Jahresmietsystem weniger attraktiv.

Ein Großteil der Koreaner hat ihr Vermögen in Immobilien angelegt. Wer z. B. in Seoul für zwei Jahre ein kleines Apartment mit zwei Zimmern, kleinem Wohnzimmer, Küche und Bad in Jeonse mieten will, der braucht wenigstens 100.000 US-Dollar. Um dieses Geld zu sparen, braucht der Durchschnittsangestellte, selbst wenn er 80% seines Einkommens auf die hohe Kante legt, mehr als vier Jahre. Ohne Hilfe der Eltern oder Schwiegereltern ist es daher fast unmöglich, Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig zu den eigenen gemieteten vier Wänden zu kommen, geschweige denn zu Wohnimmobilien in Eigenbesitz. Das führt in Korea zu dem Phänomen, dass viele unverheiratete, aber bereits beruftstätige Kinder über Mitte 20 noch bei den Eltern wohnen. Und die Immobilienpreise galoppieren dem Normalverbraucher immer noch davon. Kein Wunder, dass die Zahl der Jeonse-bezogenen Gerichtsstreitigkeiten über 10.000 pro Jahr beträgt. Entweder können die Mieter den Zahlungen nicht nachkommen oder die Vermieter können die Jahresmieten, wenn der Mieter ausziehen möchte, nicht zurückzahlen.

Das System hat also seine Vor- und Nachteile und fluktuiert in starker Abhängigkeit von den Zinssätzen der Banken, von Angebot und Nachfrage auf dem Immobilienmarkt und von der allgemeinen Konjunktur. Bei entsprechend gutem Startkapital kann man es nutzen, um sein Vermögen innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit zu vermehrfachen. Wenn z.B. ein junges Ehepaar als Hochzeitsgeschenk von den Eltern eine kleine Wohnung geschenkt bekommt, kann es bei steigenden Immobilienpreisen diese Wohnung in Jeonse geben und selbst in eine andere, größere in Miete ziehen. Indem es den Jeonse-Betrag anlegt und fleißig verdient und spart, kann es die größere Wohnung kaufen und die kleinere verkaufen. Die größere Eigentumswohnung gibt es dann wieder in Jeonse, zieht in eine größere Mietwohnung in einem besseren Viertel usw. und so fort. In den Zeiten der Immobilienhochkonjunktur wurden so in relativ kurzer Zeit große Vermögen angehäuft.

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