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Kultur

Das 16. Seouler Festival für Randgruppentheater

2014-07-29

Eine Szene aus dem Theaterstück „Lichter der Fabrik“. Auf der Bühne im Kulturzentrum Seoul 284, dem historischen Seouler Bahnhof, wird für einen gerechten Mindestlohn protestiert. Das Theaterstück war Teil des Programms des 16. Seouler Festivals für Randgruppentheater, das vom 14. bis zum 27. Juli stattfand.

Trotz einem relativ geringen Publikumszulauf hat das Seouler Festival für Randgruppentheater die letzten 16 Jahre überlebt, und in dieser Zeit beständig den Stimmen vernachlässigter Gruppen in der südkoreanischen Gesellschaft eine Bühne gegeben. Die künstlerische Leiterin des Festivals Im In-ja.



Das Festival versucht, mit der Sprache der Kunst und einem gesellschaftskritischen Blick durch Theaterstücke von den vernachlässigten Randgruppen in unserer Gesellschaft zu erzählen. Die Welt ist voller Barrieren, aber wir wollen sie niederreißen oder sie zumindest schwächen, und dem Publikum davon erzählen. Wir wollen durch das Medium Theater von unseren Vorurteilen sprechen, gesellschaftlichen Außenseitern eine Stimme verleihen, und sonst verborgene Dimensionen an die Oberfläche bringen.

Bei dem Festival geht es also um die Meinungen und Sichtweisen der Menschen, die im Schatten der Gesellschaft leben: Arbeiter, Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, Schulabbrecher und viele mehr. All ihre Geschichten werden hier jedes Jahr in Form von Theaterstücken auf die Bühne gebracht. Dabei geht es häufig experimentell zu - so wird zum Beispiel den Betroffenen selbst eine Bühne geboten. Frau Im.

In normalen Theaterstücken geht es um die fiktiven Geschichten von Figuren. Dem Randgrupptentheater geht es dagegen darum, Fragen aufzuwerfen und experimentell zu erforschen, wie mit bestimmten Situationen umgegangen wird. Daher werden statt professionellen Schauspielern auch Laien engagiert, oder die Betroffenen kommen selbst auf die Bühne und erzählen ihre Geschichte. Das ist das Besondere am Randgruppentheater. Dieses Jahr waren zum Beispiel von Massenkündigungen betroffene Arbeiter und Kleinunternehmer, die Bankrott gegangen sind, als Schauspieler mit dabei. Und wir hatten eine Ausstellung mit Zeichnungen von Arbeitern von Ssangyong Motor und dem Outdoor-Hersteller Kolon im Programm. Die Geschichten dieser Arbeiter wurden zusätzlich auch noch in Theaterstücken verarbeitet.

In dem dokumentarischen Theaterstück „Vor dem Gesetz“ traten zum Beispiel entlassene Arbeiter und einige Kläger auf, die derzeit vor dem südkoreanischen Verfassungsgericht gegen die Revision des Gesetzes zum Schutz von Pächtern in Geschäftsgebäuden klagen. Sie diskutierten auf der Bühne, was Gesetz und Gerechtigkeit aus der Sicht von Minderheiten bedeuten. Bei einem anderen Stück mit dem Titel „Camp: verstorbene Orte“ handelte es sich um eine Kollaboration zwischen einer koreanischen und einer japanischen Theatergruppe. In dem Stück ging es um die früheren und heutigen Arbeitsbedingungen in Seouls Industriebezirk Garibong-dong. In „Lichter der Fabrik“ wurden Arbeiterproteste auf die Bühne geholt, und in „Die Wirtschaft im Theater“ ging es um strukturelle Widersprüche in der Wirtschaft. Insgesamt bestand das Festivalprogramm aus 20 Theaterstücken, Dokumentationen und Ausstellungen, die alle von den Belangen gesellschaftlicher Randgruppen erzählten.

Das Motto des diesjährigen Festivals war „Ein Platz namens Theater“. Die Veranstaltungen des Festivals fanden demnach nicht an einem festen Ort statt, sondern überall in der Stadt: auf dem Gwanghwamun-Platz, im Industriebezirk Garibong-dong, im Kulturbahnhof Seoul 284, im Veranstaltungssaal des Seouler Rathauses, in einem Buchladen, und an vielen weiteren Plätzen. Die Macher des Festivals warteten also nicht darauf, dass das Publikum zu ihnen kam - sie gingen auf die Menschen zu. Die Eröffnungsaufführung fand zum Beispiel auf dem Gwanghwamun-Platz im Seouler Zentrum statt. Die künstlerische Leiterin des Festivals Im In-ja.

Die sogenannten Ein-Mann-Proteste zeigen uns, wie isoliert die Menschen in unserer Gesellschaft geworden sind. Es gibt nicht genügend Mechanismen, mit denen man über die Werte diskutieren kann, an die sich jedes Individuum als ein Mitglied der Gesellschaft halten sollte. Statt dessen bringen die Menschen nur alle einzeln ihre Meinungen zum Ausdruck. In einem Stück bei unserem Festival wurden daher zuerst 24 einzelne Stimmen vorgestellt und diese am Ende des Stückes zusammengebracht. Damit wollten die Macher zeigen, wie sich isolierte Individuen auf kreativen und künstlerischen Wegen solidarisieren können. Sie wollten auch die Frage aufwerfen, wie sich Gedanken verändern können.

Das Stück trug den Titel „Die 25. Stunde - ein Aufschrei meiner Generation”. 24 Laien und Künstler führten darin die Ein-Mann-Proteste durch, die in Südkorea so häufig zu sehen sind. Am 14. und 15. Juli trat jeder von ihnen für jeweils eine Stunde auf dem Gwanghwamun-Platz auf und gab dann den Stab an den nächsten Teilnehmer weiter. Die Akteure waren bunt gemischt: Künstler, Tänzer, Politiker, Menschenrechtsaktivisten, Schulabbrecher, Geistliche, Jugendliche, und viele andere Gruppen waren vertreten. Auch zwei Frauen waren mit dabei, die als Besetzerinnen auf der Nodeul-Insel im Han-Fluss leben.

Wir leben auf der Nodeul-Insel nahe der Hangang-Brücke. Wir haben sie gewissermaßen besetzt. Bei der Aufführung auf dem Gwanghwamun-Platz wollten wir daher für eine Stunde den Platz besetzen. Dafür pressten wir 24 Stunden unseres Alltags auf der Insel in eine Stunde Performance - mit Gemüseanbau, Essen, Schlafen, Waschen und allen anderen Aktivitäten.

Die ungewöhnliche Performance der beiden Frauen zog die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. Sie wurden mit Fragen gelöchert.

Während sie ihr Essen vorbereiteten und dann gemeinsam mit einigen Passanten verspeisten, beantworteten die beiden Frauen unablässig Fragen zu ihrem Leben.

Das Leben für koreanische Oberschüler besteht aus nicht viel mehr als Lernen - in der Hoffnung auf einen Studienplatz an einer guten Universität, der ein abgesichertes Leben garantieren soll. Doch kaum sind sie an der Universität, müssen die jungen Menschen feststellen, dass sie nun darum kämpfen müssen, sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Die junge Generation der Koreaner hat so kaum mehr Luft zum Atmen. Viele nehmen vor dem Abschluss Urlaubssemester, um nicht in die Arbeitslosigkeit abzurutschen, und um das Geld für Studiengebühren aufzubringen, müssen sie konstant arbeiten. Selbst wer schließlich einen Job gefunden hat, kann nicht durchatmen: es warten Heirat, Familiengründung und Hauskauf, die in Korea alle kaum überwindbare finanzielle Hürden darstellen. Das ist die gesellschaftliche Realität der südkoreanischen Jugend - und auf diese wollten die beiden Besetzerinnen der Nodeul-Insel, die aus diesem Modell ausgebrochen sind, durch ihre Performance aufmerksam machen.

In „Lichter der Fabrik“ wurde der Schauplatz eines Arbeiterprotests auf die Bühne gebracht.

Der Untertitel des Stückes hieß „Versammlung im Theater“. Das Stück war nicht neu. Es handelte sich um die Adaptation eines gleichnamigen Stückes aus dem Jahr 1978, das von dem Sänger Kim Min-ki geschrieben und produziert worden war. Im Jahr 2014 zeichnete Kim Min-jeong verantwortlich für die Regie.

Ich hatte ein 37 Minuten langes Video einer Aufführung des Stückes aus dem Jahr 1978 gesehen. Darin wurde vor allem vermittelt, wie man durch die Gründung einer Gewerkschaft für die Rechte der Arbeiter eintreten kann. Vor 30 Jahren hat Kim Min-ki das Video wohl vor allem gemacht, um Arbeiter von der Notwendigkeit von Gewerkschaften zu überzeugen. In dem Stück kamen auch Lieder vor, die von Künstlern und Schriftstellern aufgenommen worden waren.

Vor 36 Jahren ging es in „Lichter der Fabrik“ also vor allem um die Notwendigkeit von Gewerkschaften. In der diesjährigen Produktion ging es um die Themen, die die Arbeiter von heute umtreiben. So wurden zum Beispiel die plötzlichen Entlassungen von Reinigungskräften an der Hongik-Universität 2011 thematisiert.

Mit dabei waren auch Betroffene selbst, die damals 40 Tage lang protestiert hatten. Für sie bedeutete das Interesse der Künstler an ihrem Anliegen sehr viel. Herr Choi Il-bae, der zu denjenigen gehört, denen gekündigt wurde.

Ich protestiere nun schon seit zehn Jahren gegen ungerechte Kündigungen, und bin sehr dankbar. Das Schlimmste für Protestierende ist die Erkenntnis, dass sie vergessen und ignoriert werden. Mein Teil des Stückes heißt „Unsichtbarer Mann“. Wir haben einen Sit-In in Gwacheon veranstaltet, aber irgendwann gingen die Menschen nur noch vorbei und würdigten uns keines Blickes mehr. Wir waren unsichtbar für sie geworden. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass wir hier auf dieser Bühne stehen dürfen und mit der Öffentlichkeit kommunizieren können. Es war für uns von großer Bedeutung, dass hier ganz normale Menschen Interesse für unsere Anliegen zeigten.

Durch die Auftritte der Arbeiter und ihre Geschichten lernten die Zuschauer die Situation der Betroffenen kennen und entwickelten Verständnis dafür. Einige realisierten dadurch zum ersten Mal, dass Solidarität mit den Schwachen der Gesellschaft wichtig ist.



Ich war schockiert. Ich wusste nichts über die Arbeiterbewegung. Ich hatte keine Ahnung, dass es zu solchen Zwischenfällen gekommen war, ich war völlig ignorant. Ich muss mich auch bald auf Arbeitssuche machen, und die Geschichten dieser Menschen haben mich gleichzeitig beunruhigt und bewegt. Die Forderung nach einem Mindestlohn kann ich nachvollziehen, da ich auch schon viele Nebenjobs hatte.

Ich hatte keine Ahnung, was bei dem Stück auf mich zukommen würde. Es war sehr bewegend, Kunst kann die Menschen eben berühren. Mit so einem Ansatz könnte man denke ich noch mehr Menschen erreichen und überzeugen.


Das Seouler Festival für Randgruppentheater war und ist keine Mainstream-Veranstaltung - dafür ist es zu experimentell und beschäftigt sich mit Themen, die in der südkoreanischen Gesellschaft zu sehr im Schatten stehen. Dennoch versucht es seit inzwischen 16 Jahren unermüdlich, den Anliegen von Randgruppen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dieses Jahr konnte das Festival in dieser Hinsicht so einige Fortschritte verzeichnen - dem Medium Theater ist es offensichtlich gelungen, zumindest einige Barrieren zwischen den Menschen in der Mitte der Gesellschaft und denen am Rande niederzureißen.

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