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Gesellschaft

Die Vorreiterin des koreanischen kreativen Tanzes Kim Mae-ja

2016-11-22

Zu bewegender Musik wird ein Video abgespielt, dem ein Gedicht mit dem Titel „Tochter für 100 Won zu verkaufen“ folgt. Es stammt von Jang Jin-seong, einem ehemaligen Flüchtling aus Nordkorea. Dazu wird eine Choreografie von Choi Ji-yeon gezeigt, die das Elend der obdachlosen Kinder in Nordkorea darstellt. Es ist eines der vielen Tanzstücke, die zum 40. Jubiläum der ChangMU-Tanzkompanie aufgeführt werden. Hier spricht Kim Seo-ryong, die Organisatorin des „ChangMu Grand Dance Festivals“.

Das Festival präsentiert viele Choreografen, die 40 Jahre lang in der ChangMu-Tanzkompanie tätig waren und nun zu den Größen der koreanischen Tanzwelt gehören. Wichtig ist der Tanzkompanie, dass die Choreografen neue Bereiche des Tanzes erarbeiten und ihrer Individualität Ausdruck verleihen. Das Festival gibt ihnen die Gelegenheit, ihre Stücke vorzuzeigen.

ChangMu steht für kreativer Tanz. Und so beschäftigt sich die ChangMu-Tanzkompanie als älteste private Tanzkompanie in Südkorea mit kreativem Tanz basierend auf dem traditionellen koreanischen Tanz. Mit dem Festival soll nun gezeigt werden, wie sich der koreanische Tanz weiterentwickelt hat.

Das ChangMu-Festival startete am 4. Oktober im „Post Theatre“ in Seoul und läuft noch bis Ende Dezember. Während dieser Zeit zeigen 20 Choreografen der Tanzkompanie 24 Stücke, die als Retrospektive der letzten 40 Jahre den Zuschauern noch einmal die Leidenschaft und Leistungen der Künstler deutlich vor Augen führen.

Frau 1: Jede ChangMu-Vorstellung ist anders. Jedesmal fühlt es sich wie eine neue Kunstform an. Das unterscheidet sie von anderen Shows. Sie kann sich mit jedem Genre verbinden.

Mann 2: Ich war erstaunt, was mit Musik und Körper künstlerisch alles ausgedrückt werden kann. So etwas hatte ich vorher noch nie gesehen. Das war mehr als nur Tanz. Sie hatte eine Botschaft. Für Augen und Ohren eine echte Offenbarung.




Während des Festivals wurden die Mitglieder der Tanzkompanie schon mal von Gefühlen überwältigt. Schließlich gab es eine Zeit, da erprobten sie basierend auf dem traditionellen koreanischen Tanz neue Formen der Tanzkunst. Dafür verbanden sie den Tanz mit Kunst, Dichtkunst, Architektur, Romanen, Fotos und Videos. Alles fühlte sich fremd an, aber sie spürten eine Weiterentwicklung. Das alles war der Tanzakademie und ihrer Lehrerin Kim Mae-ja zu verdanken, die seit 40 Jahren die Tanzkompanie leitet.

Frau 1: Mit ChangMu hat der kreative Tanz in Korea begonnen. Die koreanische Tanzszene weiß das. Es war sicher eine Herausforderung, die Tanzkompanie 40 Jahre lang zu leiten.

Frau 2: Mit nur ein bisschen Leidenschaft kann man nicht 40 Jahre lang eine Kompanie leiten. Kim besitzt unglaublichen Willen und Engagement. Als ihre Schülerin bin ich noch weit davon entfernt. Sie kann es mit jedem aufnehmen. Ich bin sehr stolz auf die Künstlerin Kim Mae-ja.

Frau 3: Ihre Leidenschaft ist dieselbe wie vor 20 oder 30 Jahren. Sie tanzt immer noch, was großartig ist.


In der koreanischen Tanzwelt gilt Kim Mae-ja als die Patin des kreativen Tanzes. In den 1970er Jahren betrat sie barfüßig die Tanzbühne. 1985 erschien sie als erste Asiatin auf dem Titelblatt der amerikanischen Zeitschrift „Dance Magazine“. Außerdem stand sie schon auf der Bühne des Mariinski-Theaters in Sankt Petersburg, bevor Südkorea und Russland diplomatische Beziehungen aufgenommen hatten. 2006 wurde sie als erste Koreanerin zum Maison de la danse in Lyon eingeladen und 2011 veranstaltete die Kyoto University of Art and Design ein Symposium zu Kim Mae-ja. Heute hat sie die 70 bereits überschritten, aber sie ist immer noch mit großer Leidenschaft dabei. Wie kam sie zum Tanz?

Kim verließ während des Koreakrieges ihre Heimatstadt im Norden von Korea und ging zu ihrem Onkel nach Yeongwol in der Provinz Gangwon-do. Auf ihrer Flucht hatte sie mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie musste Kugelhagel trotzen und erkrankte an Typhus mit fast tödlichem Ausgang. Durch die vielen schrecklichen Erfahrungen half ihr das Tanzen, obwohl sie da noch nicht wusste, was genau darunter zu verstehen war.

In der Grundschule sollte ich auf einem Schulfest tanzen. Alle sagten, ich sei eine gute Tänzerin. Damals wusste ich aber nicht, was genau Tanz ist. In der Oberschule lernte ich drei Jahre lang die traditionelle koreanische Oper Changgeuk. Ich schwänzte sogar die Schule, um mir Changgeuk-Vorführungen anzusehen. Ich erinnere mich noch an eine Künstlerin, die wie ein Mann gekleidet war. Das war so aufregend. Am Forschungsinstitut für Volkstanz lernte ich dann singen und schauspielern.

Es stellte sich heraus, dass sie großes Talent besaß. Im letzten Oberschuljahr gab sie ihre erste Vorführung in einem Theater in Busan. In den 1950er Jahren lernte sie koreanischen Tanz, Ballet und modernen Tanz. Und nach ihrem Tanzstudium an der Ewha-Universität lehrte sie 1972 dort auch als Dozentin.

Vier oder fünf Studenten und ich fragten uns, warum sich der Tanz nicht mit der Kunst oder mit gesellschaftlichen Themen beschäftigt. Wir wollten herausfinden, wie moderner koreanischer Tanz aussehen könnte. Das besprachen wir mit unserer Lehrerin Kim Cheon-heun, eine Expertin für königliche Tänze und in Korea als „menschliches Kulturgut“ ausgezeichnet. Wir wollten eine Gruppe schaffen, die sich mit kreativem Tanz beschäftigt. So entstand die ChangMu-Tanzkompanie.

Die ChangMu-Tanzkompanie wurde 1976 mit dem Ziel gegründet, auf Basis der theoretischen Grundlagen des traditionellen koreanischen Tanzes eine neue Tanzform zu kreieren. Dafür sollte beispielsweise die monotone Form des traditionellen Tanzes aufgebrochen werden. Dieser Ansatz wurde als sehr verwegen aufgefasst. Umso wichtiger war es daher, hervorragende Tänzer für diese Sache zu gewinnen. Deshalb war der Eintritt in die Tanzkompanie recht schwierig.

Anfangs waren die Eintrittsbedingungen sehr streng. Bewerber mussten mindestens einen Master vorweisen und ihre Abschlussarbeit traditionellen Tanz zum Thema haben. Weiterhin sollten sie tänzerisch so weit sein, dass sie einen Preis bei traditionellen Tanzwettbewerben gewinnen könnten. Sie sollten also in der Lage sein, eigene Stücke zu erarbeiten. Ohne theoretische Grundlage können die Künstler nicht ihre eigene Sprache entwickeln. Ohne Kenntnisse von Traditionen und Geschichte können sie sich in der Gegenwart nicht ausdrücken.

Mit derartig kompetenten Mitgliedern zeichnete sich die Tanzkompanie durch eine starke Individualität aus. Sie alle hatten verschiedene Ideen und Kim nahm sie alle an. Sie respektierte die Freiheit und Persönlichkeit jedes Mitglieds. Hier ist Kim Seon-mi, die seit 35 Jahren der Akademie angehört.

Ich mochte die Arbeitsweise bei ChangMu. Alle tauschten ihre Meinungen aus. Manchmal gab es auch Streit wegen unterschiedlichen Ansichten, aber der Arbeitsprozess war großartig. Die Lehrerin machte nie Vorgaben. Sie ließ uns frei gewähren. Es ging sehr individualistisch zu, was manchmal zu Argumenten führte. Wenn diese aber zusammenkamen, um ein Tanzstück zu schaffen, dann konnte eine gewaltige Energie frei gesetzt werden.

In ihrer ersten Aufführung nach Eröffnung der Tanzkompanie zog Kim die traditionellen Socken Beoseon und die Kurzjacke Jeogori aus. Ohne diese Symbole des traditionellen koreanischen Tanzes und nur mit dem traditionellen langen Unterrock bekleidet bestieg sie die Bühne. Angesichts dieser unkonventionellen Aufmachung gab es große Verwirrung, aber Kim war sich ihrer Barfuß-Philosophie sicher.

Für mich ist das die wahre Essenz des koreanischen Tanzes. Jeder wunderte sich, warum ich keine Socken trug. Die Koreaner waren aber ein Bauernvolk. Wieviele trugen wohl damals Socken? Das tat nur die Oberschicht. Die einfachen Leute trugen Strohschuhe. Ansonsten liefen sie barfuß. Auch die Mütter arbeiteten auf dem Feld. Wenn das Kind auf dem Rücken schrie, öffneten sie ihre Kurzjacke, um das Kind zu stillen. Dann arbeiteten sie weiter. Der traditionelle Tanz wie der Geisteraustreibungstanz Salpuri ist nicht unsere einzige Sprache. Jede Bewegung in unserem Alltag kann durch Tanz ausgedrückt werden. Dieses Konzept wurde von mir angestoßen.

1985 ließ die ChangMu-Tanzkompanie ein altes Lagerhaus in Sinchon zu einem kleinen Theater umbauen. Hier experimentierten Kim und die anderen Mitglieder mit unterschiedlichen Genres wie Tanz, Kunst, Dichtkunst, Musik und Architektur. Anders als in vorherigen Vorführungen mit Tanz und Musik ließen sie Gedichte vortragen, um das Thema zu unterstreichen, oder sie zeigten Videos von Kunstwerken. Unter der Zunahme von verschiedenen Elementen aus Kunst und Kultur hauchten sie ihren Tanzdarbietungen neues Leben ein.

Es war der Beginn des Experimentellen. Heute nennt man das Konvergenz. Früher trennte man zwischen Tanz und Musik. Tatsächlich ist aber Tanz eine Mischkunst aus allem, die Sprache ausgenommen. Ich versuchte Tanz und Dichtkunt oder Tanz und Kunst miteinander zu verbinden. Warum treffen sich Tänzer, Dichter und Künstler separat? Deshalb lud ich Schriftsteller und Künstler zu Gedichtsvorträgen als Teil meiner Tanzvorführungen ein. Ich arbeitete auch mit dem Maler Han Man-yeong. Das war der schönste Teil.

1993 ging Kim noch einen Schritt weiter. Sie ließ ihr Haus niederreißen und baute an der Stelle ein Gebäude mit sieben Etagen. Das neue Haus umfasste eine Bibliothek, ein Studio für Solostücke, Unterrichts- und Übungsräume sowie einen Aufführungssaal. Außerdem brachte sie die Tanzzeitschrift „Body“ heraus.

Tanz ist eine flüchtige Kunst, aber Geschriebenes bleibt. Ich dachte, Tänzer bräuchten etwas Handfestes. Der Tanz sollte sich nach der Vorstellung nicht einfach in Luft auflösen. Und ich wollte die Tänzer repräsentieren. Deshalb entstand das Magazin „Body“.

Mit der Zeitschrift wollte sie den Tanz schriftlich festhalten. Gegründet wurde sie vor 23 Jahren und es ist nicht einfach, das Magazin am Laufen zu halten. Aber Kim gibt nicht auf.

Kims andere Mission war es, über aktiven Austausch den Geist von ChangMu in die Welt hinauszutragen. Ko Hong-ryeo, Professorin für Tanz an der Central University of Nationalities in China war als junge Frau fasziniert von Kims Tanzstil. Sie lebte sogar in Kims Haus, um bei ihr Tanz zu studieren.

In China lernte ich Tanz, um etwas auszudrücken. Kims Tanz entsteht aus ihrem Kopf und Körper. Ihre Bewegungen sind natürlich und weich, dennoch strahlen sie Kraft aus. Das hat mich fasziniert. Auf der Bühne ist sie eine völlig andere Person. Sie sieht glücklich aus und scheint in sich zu ruhen. Sie strahlt auf der Bühne Kraft aus. Das ist sehr attraktiv.

Kim lehrt jeden mit Begeisterung den ChangMu-Tanz. Um 9 Uhr früh wärmt sie sich bereits im Übungsraum auf. Motiviert von ihrem Fleiß und Enthusiasmus ziehen auch ihre Studenten mit.

Sie übt fast täglich. Wenn ich sie sehen will, muss ich also auch jeden Tag üben. Was Leidenschaft angeht, habe ich wohl von ihr am meisten gelernt.

Am 27. Dezember steht die 73-jährige Kim selbst auf der Bühne. Unter dem Thema „Ursprung des Tanzes: Himmel, Erde und Mensch“ wird sie den Geist von ChangMu bzw. ihre Tanzphilosophe vorstellen, mit der sich ihre Tanzkompanie seit 40 Jahren beschäftigt. Ihre Tanzdarbietung kann sicherlich als Höhepunkt des ChangMu Grand Dance Festivals verstanden werden.

Künstler drücken sich durch verschiedene Kunstformen aus. Für mich ist es der Tanz. Damit lasse ich meinen unterdrückten Emotionen oder Widerstand gegen die Gesellschaft heraus. Ich kann eine Vorführung nur alle zwei, drei Jahre geben. Die nächste Show präsentiert einzelne Episoden aus meinem Leben und gesellschaftliche Themen. Künstler sollten auch in der Lage sein, ihre Zeit und ihre Gesellschaft auszudrücken.

Kim ist entschlossen, die Basis für eine weiteren Anstoß zu einer Weiterentwicklung des koreanischen kreativen Tanzes zu schaffen. Die fortdauernde Beschäftigung mit der Kunst der über 70-jährigen Tänzerin jedenfalls versorgt die koreanische Tanzwelt mit immer wieder neuen Impulsen.

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