FRAGE: Hellmut Bahnsen aus Pellworm schreibt: Bitte berichten Sie doch einmal etwas über das koreanische Wattenmeer. Gibt es ein Wattenmeer, das mit dem der Nordsee vergleichbar ist? Was sind seine Besonderheiten?
ANTWORT: Das Wattenmeer der Nordsee ist das größte Wattenmeer der Welt. Es umfasst eine im Wirkungsbereich der Gezeiten liegende Landschaft, die etwa 9.000km² Fläche aufweist. Das Wattenmeer erstreckt sich über 450km Länge und erreicht an einigen Stellen eine Breite von bis zu 40km. Es zieht sich von Dänemark im Nordosten über die deutsche Nordseeküste bis hin zu den Niederlanden im Südwesten. Es ist aber nicht ganz so einzigartig, wie man lange Zeit geglaubt hat. Denn es gibt ein Wattenmeer an der Küste des Gelben Meeres, das territorial zu China, Nordkorea und Südkorea gehört und nach dem Wattenmeer der Nordsee eines der größten Wattenmeere der Welt ist. Rund 2.500km² davon gehören zu Südkorea und erstrecken sich die Westküste des Landes entlang. An einigen Stellen erreicht das Watt eine Breite von bis zu 10km. Der Tidenhub liegt zwischen vier und zehn Metern. Im Gegensatz zum Wattenmeer der Nordsee ist das Wattenmeer in Südkorea durchsprenkelt von vielen kleinen Inseln mit felsigen Küsten. An den Ausläufern des Wattenmeers an der Küste finden sich Hügel und Berge mit einer Höhe von 150 bis 800 Metern. Die Gezeitenkanäle sind bis zu 30m tief. Geologisch gesehen ist das Wattenmeer des Gelben Meeres noch relativ jung. Es entstand vor weniger als 10.000 Jahren, also im Holozän, durch Sedimentablagerungen, die einen Anstieg des Meeresspiegels bewirkten. Die Salzmarsche, die ein typisches Kennzeichen des Wattenmeers der Nordsee sind, sind in Korea zum großen Teil verschwunden, als die Salzwiesen im letzten Jahrhundert im Rahmen groß angelegter Landgewinnungsprojekte in Ackerland umgewandelt wurden.
Das Wattenmeer an der südkoreanischen Westküste ähnelt aber sonst im Großen und Ganzen dem an der Nordsee. Aufgrund der südlicheren Lage sind jedoch die Durchschnittstemperaturen etwas höher. Sie liegen zwischen -8,3°C im Dezember und 38°C im Juli. Im Winter kommt es nicht selten zu Eisbildung. Das Wattenmeer ist voller Leben. An jeder Stelle finden sich leicht bis zu 100 Arten von wirbellosen Tieren, meistens Vielborster - eine Klasse der Ringelwürmer -, Muscheln, Krebstiere, Schnecken, aber auch Seegurken und Armfüßer, muschelähnliche Meereslebewesen mit zweiklappigem Gehäuse. Kieselalgen sind mit mehr als 250 Arten vertreten. Das Boseong-Beolgyo-Wattenmeer etwa, das zur Suncheon-Bucht gehört, ist der größte Lieferant für Rotfleischige Archenmuscheln, Schlammspringer, Kleine Japanische Scheidenmuscheln und Körbchenmuscheln. Das Wattenmeer bietet damit den Fischern der Gegend ein sicheres Auskommen. Sie fischen entweder mit leichten Booten im Wattenmeer oder sammeln die Meeresfrüchte per Hand.
Ähnlich wie das Wattenmeer der Nordsee ist auch das südkoreanische Wattenmeer Heimat für zahlreiche Brutvögel auf der koreanischen Halbinsel und Zwischenstopp für Zugvögel. Das Wattenmeer ist wichtiger Stützpunkt für Zugvögel auf der Route Ostasien-Australasien, also zwischen dem Indonesischen Archipel, Australien und Neuseeland, sowie Ostsibirien und Alaska. An manchen Tagen konnten an einer Stelle bis zu 85.000 Watvögel, die Rast machten, gezählt werden. Auch wurden an einigen Stellen an die 25 verschiedene Arten von Wasservögeln gesichtet, womit eine der höchsten international wichtigen Konzentrationen von Wasservögeln in Ostasien registriert wurde. Die Suncheon-Bucht, die im Rahmen der Ramsar-Konvention unter Schutz steht, ist z.B. ein Habitat für insgesamt mehr als 220 Vogelarten, darunter auch 35 bedrohte Arten wie Mönchskranich, Grauer Kranich, Austernfischer, Saundersmöwe, Löffler, Schwarzstirnlöffler, China-Seidenreiher, Schwarzschnabelstorch, Löffelstrandläufer, Baikalente, Wanderfalke, Singschwan, Mäusebussard und Weißnackenkranich.
Die südkoreanische Westmeerküste mit ihrem Wattenmeer ist nicht nur als Station für Zugvögel von Bedeutung, sondern auch als Laichstätte für Fische. Sie bietet mit ihren maritimen Ressourcen die Lebensgrundlage für die Bewohner der Gegend und spielt zudem eine große Rolle in Bezug auf den Anstieg des Meeresspiegels, der durch Seebeben und Klimawandel hervorgerufen wird. Nichtsdestotrotz leidet das Wattenmeer bis heute unter den Folgen intensiver Landgewinnungsprojekte, die in den 1960er und 70er Jahren mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes einhergingen. Damals wurden an der Westküste kilometerlange Strecken für landwirtschaftliche und industrielle Nutzzwecke eingedeicht. In einer zweiten Phase in den 1990er Jahren wurden mehrere Landgewinnungsprojekte wie das Saemangeum- und das Sihwa-See-Landgewinnungsprojekt auf den Weg gebracht, die auch nach internationalem Standard als groß angelegt gelten können. Bei dem 1991 gestarteten Saemangeum-Projekt in der nördlichen Jeolla-Provinz etwa wurde im Gelben Meer ein 33km langer Deich angelegt, der zu einer Landgewinnung von 400km² führte. Solche Eingriffe in die Landschaft und Ökologie bleiben natürlich nicht ohne Folgen für Flora und Fauna der Gegend.
Mittlerweile ist sich Südkorea jedoch der ökologischen Bedeutung seiner Wattenmeere bewusster geworden und sieht sie als schützenswert an. Ein wichtiger Meilenstein zu diesem Bewusstseinswandel war die Generalversammlung der Unterzeichnerstaaten der Ramsar-Konvention, die vom 28. Oktober bis 4. November 2008 in Changwon in der Provinz Gyeongsangnam-do stattfand. Nach der Ramsar-Vollersammlung hat die südkoreanische Regierung bekanntgegeben, bis 2017 mindestens 20% der gesamten Wattenfläche des Landes zum Schutzgebiet zu erklären. Außerdem sollen 81km² Wattenmeer, also etwa 10% des bislang zerstörten Watts, bis dahin revitalisiert werden. Die Zeit der großen Eindeichungen scheint also erst mal vorbei zu sein. Aber es ist im Rahmen der Strategie des Grünen Wachstums der Regierung auch vom Bau von Gezeitenkraftwerken die Rede, was wiederum nicht ohne Eindeichungen geht. Positiv ist aber weiterhin, dass die koreanische Regierung am 30. März 2009 mit den drei Wattenmeerstaaten Deutschland, Niederlande und Dänemark eine Kooperationsvereinbarung über den Schutz des koreanischen Wattenmeers geschlossen hat. Man hofft in diesem Kontext auf eine rege Zusammenarbeit zum besseren und effektiveren Schutz des Wattenmeeres.