In Südkorea gibt es sogenannte „Neulbom-Schulen“, übersetzt etwa „Immer-Frühling-Schulen“, die neben umfassenden Bildungsprogrammen auch eine kostenlose Betreuung nachmittags nach dem regulären Unterricht anbieten. Auch in Nordkorea gibt es besondere staatliche Bildungseinrichtungen, die als „Kinderpaläste“ bekannt sind. Die Schüler dort bezeichnen ihre Einrichtungen selbst als „Paläste der Träume“. Wie kommt es zu derartigen Bezeichnungen? Heute werfen wir einen genaueren Blick auf die sogenannten Kinderpaläste in Nordkorea mit Ham Seung-su, dem Direktor des Bildungszentrums an der Myongji-Universität.
Wenn man sich das stressige Schulleben in Südkorea betrachtet, fragt man sich unweigerlich, wie das Schulleben in Nordkorea aussieht. In nordkoreanischen Grundschulen beträgt die durchschnittliche Unterrichtszeit angeblich etwa fünf Stunden pro Tag. In Junior- und Senior-Mittelschulen, die jeweils den Mittel- und Oberschulen in Südkorea entsprechen, findet der Unterricht in der Regel sechs bzw. sieben Stunden täglich statt. Herausragende Schüler gehen jedoch nach dem regulären Unterricht nicht nach Hause. Nach dem Unterricht gehen die Schüler zum sogenannten „Kinderpalast“.
In Nordkorea gibt es ebenso wie in Südkorea außerschulische Aktivitäten nach dem Unterricht. Diese finden in speziellen staatlichen Bildungseinrichtungen statt, die sogenannten „Kinderpaläste”. Der Gründer des Regimes, Kim Il-sung, schlug den Bau von „Kinderpalästen“ in Pjöngjang und Kaesong vor, und im Juni 1961 wurde der „Kaesong-Kinderpalast“ eröffnet.
Berichten zufolge waren im Jahr 2022 in ganz Nordkorea etwa 140 Kinderpaläste in Betrieb, sogar in Regionen, die als besonders unterentwickelt gelten. Durch verschiedene Gruppenaktivitäten wird dort eine intensive politische und ideologische Erziehung der Schüler durchgeführt. Es ist bekannt, dass diese Einrichtungen vor allem verschiedene Formen der Eliteausbildung in Kunst und Sport sowie in wichtigen Bereichen für die industrielle Entwicklung vornehmen.
Der Kinderpalast ist eine Bildungseinrichtung, in der Grund-, Mittel- und Oberschüler nach dem regulären Unterricht an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen. Nordkorea befürwortet zwar grundsätzlich keinen Privatunterricht, unterstützt jedoch außerschulische Gruppenaktivitäten für Kinder mit herausragenden Fähigkeiten und Talenten. Zu diesem Zweck wurden landesweit Kinderpaläste eingerichtet, die eine spezielle Ausbildung in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Sport, Kultur und Kunst anbieten.
Nordkorea richtete Kinderpaläste in den größeren Städten und Landkreisen ein, angefangen mit dem Kaesong-Kinderpalast im Jahr 1961. Der bekannteste unter ihnen ist der Mangyongdae-Kinderpalast.
Unter den Kinderpalästen Nordkoreas ist der Mangyongdae-Kinderpalast der bekannteste. Seine Größe und sein Angebot an Aktivitäten sind wirklich überwältigend. Seine rund 700 Räume fassen bis zu 12.000 Schüler. Er ist mit Schwimmbädern und Turnhallen ausgestattet und verfügt über eine Bibliothek mit über 100.000 Büchern, ein Theater mit 2.000 Plätzen und sogar eine Fahrschule. Mit etwa 600 Lehrkräften werden rund 200 Gruppen in verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Bildung, Kunst und Sport betreut. Seit der Gründung im Jahr 1989 haben Berichten zufolge rund neun Millionen Schüler an Gruppenaktivitäten in dieser Einrichtung teilgenommen.
Der Mangyongdae-Kinderpalast befindet sich im Stadtteil Mangyongdae an einem malerischen Ort am Ufer des Taedong-Flusses in Pjöngjang. Diese außerschulische Bildungseinrichtung hat eine Gesamtfläche von über 100.000 Quadratmetern. Der Mangyongdae-Kinderpalast fördert talentierte Kinder in den Bereichen Kunst und Sport durch intensives Training von klein auf. Kein Wunder, dass diese Einrichtung zahlreiche prominente Künstler und Sportler hervorgebracht hat.
Seite an Seite mit dieser Einrichtung steht der Kinderpalast von Pjöngjang. Der Pjöngjang-Kinderpalast wurde in den 1960er Jahren eröffnet und bildet Schüler in allen möglichen Bereichen aus wie Wissenschaft, Kultur, Kunst, Sport, Landwirtschaft und Industrie. Darüber hinaus hat er eine angegliederte Schule.
Nordkorea hat seine eigenen Eliteschulen, wie beispielsweise die Senior-Mittelschule Nr. 1. Diese entsprechen den Spezial-Oberschulen in Südkorea. Bemerkenswert ist, dass die renommierte Senior-Mittelschule Kumsong (금성) Nr. 2 direkt dem Pjöngjang-Kinderpalast angegliedert ist. Das Besondere an der Senior-Mittelschule Kumsong ist, dass sie einen vierjährigen Spezialkurs anbietet, der einem Universitätsstudium in Südkorea ähnelt. Nach dem Abschluss an dieser Oberschule werden Schüler mit herausragenden künstlerischen Begabungen in Bereichen wie Instrumentalmusik, Tanz oder Gesang zu diesem Spezialkurs zugelassen. Sie erhalten eine Ausbildung, die einem Universitätsstudium entspricht, und werden nach dem Abschluss an große Kunstorganisationen vermittelt.
Als eine der beliebtesten Schulen Nordkoreas fördert die Senior-Mittelschule Kumsong Nr. 2 Talente in Kultur und Kunst. Die Schüler haben vormittags akademische Fächer und besuchen nachmittags den Pjöngjang-Kinderpalast, wo sie verschiedene Spezialfertigkeiten bei den besten Lehrern des Landes trainieren.
Ebenso verfügt auch der Mangyongdae-Kinderpalast über eine angegliederte Schule, die Senior-Mittelschule Kumsong Nr. 1. Kumsong-Schulen beinhalten eine vierjährige Grundschule, eine sechsjährige Mittel- und Oberschule und eine vierjährige Fachhochschule. Somit stellen die Kinderpaläste wahre Talentschmieden dar, die über ihre eigenen angeschlossenen Schulen Programme bis zur Universitätsebene abdecken und somit eine komplette Ausbildung bieten.
Die Kinderpaläste sind dafür bekannt, talentierte Künstler und Sportler hervorzubringen. Im Jahr 2000 kam die Kinder- und Schüler-Theatergruppe Pjöngjang zu Besuch nach Seoul. Die Schüler, die dort auftraten, kamen überwiegend aus Kinderpalästen.
Die Absolventen der Kinderpaläste haben auch international große Anerkennung gefunden. Im Jahr 2010 gewann der Nordkoreaner Pak Kun-ui (박건의) beim Internationalen Wettbewerb für junge Pianisten in Ettlingen einen Sonderpreis. Im Jahr 2012 gewannen Choe Jang-hung (최장흥) und Han Si-nae (한시내) den ersten Preis in ihren jeweiligen Gruppen beim Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb für Kinder und Jugendliche. Und 2016 belegte Ma Sin-a (마신아) den ersten Platz im selben Wettbewerb. Diese nordkoreanischen Klavierwunderkinder, die weltweite Aufmerksamkeit erregten, stammen alle aus Kinderpalästen.
Schülerinnen und Schüler der Kinderpaläste werden auch im Ausland bekannt. Die Kunstgruppe des Mangyongdae-Kinderpalastes trat im April dieses Jahres in der russischen Region Primorje auf, um den 80. Jahrestag des russischen Sieges im Zweiten Weltkrieg zu feiern. Das Publikum lobte die Darbietungen – von Gesang und Instrumentalmusik bis hin zu Tanz und Akrobatik – als makellos.
Warum legt Nordkorea überhaupt so viel Wert auf frühkindliche Begabtenförderung?
Früher glaubte man, dass es in Nordkorea keine Begabtenförderung gebe, doch diese begann tatsächlich bereits in der Ära Kim Il-sung. Der Gründer Nordkoreas nutzte Kunst, insbesondere Musik, als wichtigstes Propagandamittel, um die Legitimität seines Regimes zu sichern. 1959 verabschiedete die Oberste Volksversammlung ein Berufsausbildungssystem für Künstler, was den Beginn der Begabtenförderung markiert.
Während der Ära Kim Jong-il veränderte sich die Begabtenförderung jedoch etwas. Fortan wurden nicht nur besondere Talente in Kunst und Sport entdeckt und gefördert, sondern auch intellektuell herausragende Schüler. Mit dieser Vision wurden die Nr. 1-Mittelschulen gegründet. Diese Schulen für begabte Kinder in Naturwissenschaften und Fremdsprachen wurden landesweit ausgebaut, ihre Zahl stieg unter Kim Jong-il auf 200 an.
Die Absolventen dieser Schulen bekleideten später wichtige Posten innerhalb des Militärs, der Partei und der Regierung und festigten so ihre Position als Führungskräfte in der nordkoreanischen Gesellschaft.
Kim Jong-il wollte durch die Talentförderung im wissenschaftlichen Bereich wirtschaftliche Schwierigkeiten bewältigen und machte die Begabtenförderung zu einem politischen Ziel der Bildungspolitik. Im Jahr 1984 veranlasste er die Gründung der Mittelschule Pjöngjang Nr. 1, der ersten Einrichtung Nordkoreas für die Begabtenförderung im Bereich Naturwissenschaften. Später wurden in jeder Provinzhauptstadt Nr. 1-Mittelschulen zur Begabtenförderung eingerichtet.
Insbesondere die Mittelschule Nr. 1 in Pjöngjang gilt als die führende Einrichtung Nordkoreas für die Förderung von Spitzenkräften. Die Mittelschule Nr. 1 in Pjöngjang soll sogar noch bessere Bildungsbedingungen bieten als die Kim-Il-Sung-Universität, die renommierteste Universität Nordkoreas. Diese Mittelschule gilt als Garant für Erfolg. Absolventen dieser Schule werden an Universitäten bevorzugt angenommen und übernehmen nach ihrem Uni-Abschluss Schlüsselpositionen innerhalb des Militärs, der Partei und der Regierung.
Kinderpaläste dienen als Tor zur Eliteausbildung. Es ist leicht nachvollziehbar, dass die Aufnahme stark umkämpft ist.
Ähnlich wie die Südkoreaner haben auch die Nordkoreaner ein enormes Interesse an Bildung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in dem kommunistischen Land ein Markt für Privatunterricht entwickelt und professionelle Nachhilfelehrer auftauchen. Dies ist vor allem auf die weit verbreitete Überzeugung zurückzuführen, dass die Aufnahme an einer renommierten Schule den sozialen Status eines Kindes verbessern kann. Für Schüler aus ländlichen Gebieten ist es ein allgemeiner Wunsch, nach Pjöngjang zu gehen und im Mangyongdae- oder im Pjöngjang-Kinderpalast aufgenommen zu werden. Denn die Aufnahme dort befreit die begabten Kinder vom Militärdienst und von landwirtschaftlichen Pflichten und kann ihnen eine vielversprechende Zukunft garantieren. Daher ist der Wettkampf um die Aufnahme in diese Kinderpaläste extrem hart.
Schüler aus ländlichen Gebieten können an einem Kinderpalast in Pjöngjang aufgenommen werden, sofern sie talentiert sind. In Wirklichkeit steht die Begabtenförderung jedoch nicht allen Schülern zur Verfügung. Angesichts der hervorragenden Bildungseinrichtungen und hochqualifizierten Lehrkräfte verschärft sich das Rennen um die Aufnahme.
Infolgedessen zeichnet sich ein negativer Trend ab, bei dem hochrangige Beamte und die neue Klasse wohlhabender Nordkoreaner, bekannt als Donju, auf Privatunterricht zurückgreifen, um ihren Kindern die Aufnahme zu ermöglichen.
Es ist zutiefst besorgniserregend, dass die hochprivilegierte Elite, weniger als ein Prozent der nordkoreanischen Gesellschaft, die frühkindliche Bildung monopolisiert. Dies verschärft die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft.
Andererseits zeigt die Tatsache, dass die Menschen so sehr auf Bildung drängen, jedoch, dass sich in Nordkorea eine neue Idee zu etablieren beginnt: die Überzeugung, dass Kinder Erfolg haben können, wenn sie Talent haben.
Nordkorea ist traditionell als eine Gesellschaft bekannt, in der sozialer Status vererbbar ist. Der intensive Drang, Kinder auf renommierte Schulen zu schicken, deutet darauf hin, dass immer mehr Nordkoreaner glauben, dass Fähigkeiten wichtiger sind als der ererbte Status. Dies kann als positive Entwicklung angesehen werden. Nordkorea könnte sich in eine leistungsorientierte Gesellschaft verwandeln, in der Kinder den sozialen Status verbessern können, wenn sie Talent haben und fleißig lernen. Es wird sich zeigen, wie dieser Trend die nordkoreanische Gesellschaft letztendlich verändern wird.
Trotz Nordkoreas erklärter Verpflichtung zu einer egalitären Gesellschaft scheinen die Kinderpaläste Ungerechtigkeiten zu fördern, da der Zugang zu ihren elitären Förderprogrammen oft von bestimmten sozialen Schichten monopolisiert wird.
Allerdings zeichnet sich auch eine deutliche Veränderung ab. Nordkorea, das einst für eine egalitäre und kollektivistische Bildung eintrat, erkennt nun individuelle Unterschiede in den Fähigkeiten an und bewegt sich in Richtung einer leistungsorientierten Gesellschaft. Es bleibt abzuwarten, wie diese Einrichtungen das nordkoreanische Bildungswesen und die Gesellschaft insgesamt verändern werden.