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Kultur

Singles in Korea – allein und glücklich

2013-11-12

Ein Mann, der völlig ohne Musikbegleitung ganz alleine singt – scheinbar. Denn in Wirklichkeit trägt er Kopfhörer und steht vor einem Mikrofon. Wir befinden uns in einem Noraebang, einem Raum, in dem man gemeinsam mit Freunden zu Musik von Band Lieder singen und üben kann. Doch ist dies kein gewöhnlicher Noraebang für Gruppen, sondern einer ganz speziell für einzelne Personen. Inhaber Kim Ho-young (김호영) erklärt:

Kim Ho-young: Dieser Noraebang ist für Singles. Er ist ausgestattet mit Aufnahmemöglichkeiten für professionelle Sänger. Allein zu leben ist ein neuer Trend. Viele Leute, die alleine leben, kommen hierher, und zwar meistens um für eine Talentshow oder eine Party zu üben. In einem großen leeren Saal ganz für sich alleine zu singen, fühlt sich ja etwas seltsam an. Hier aber können die Leute eine Stunde lang ganz entspannt das singen, was sie wollen.

Die meisten Noraebangs sind konzipiert für kleinere und größere Gruppen, die dort tanzen, singen und sich austoben. Doch für manche Leute kann es sehr anstrengend sein, sich einem solchen Gruppenzwang zu unterwerfen, und dauernd Lieder singen zu müssen, die man vielleicht gar nicht so besonders mag. Single-Noraebangs sind daher ideal für diejenigen, die einfach still für sich die Lieder singen möchten, die ihnen gefallen, wie auch Kim Ho-young bestätigt:

Kim Ho-young: Jeder Raum ist mit Kopfhörern, einem Mikrofon und sogar einem Mischgerät ausgestattet und gerade groß genug für eine Person. Es ist ein bisschen wie in einem Aufnahmestudio. Manchmal kommen zwei oder drei Leute hierher und wollen in einen Raum. Aber auch wenn sie sagen, dass zwei von ihnen vielleicht nur danebenstehen und zuhören wollen, geht das hier nicht. Dieser Noraebang ist nur für einzelne Personen.

Der Einzel-Noraebang fühlt man sich wie in seinem eigenen kleinen Konzertsaal. Im Spiegel kann man sich, wenn einem danach ist, auch selbst beim Singen zusehen. Choi Kyung-seok (최경석), der in Incheon lebt, kommt hier öfter vorbei:

Choi Kyung-seok: Ich komme ein oder zwei Mal im Monat hierher, wenn ich von der Schule nach Hause fahre. Ich übe gerne alleine Singen, und das konnte ich früher nirgends so richtig. Aber jetzt habe ich einen Ort für mein Hobby gefunden.

Wenn man Kopfhörer aufhat und in studioähnlicher Athmosphäre vor einem Mikrofon steht, kommt man sich ganz von selbst so vor wie ein Popstar. Dies trägt sicher zur Beliebtheit der Single-Noraebangs bei. Kim Ho-young meint dazu:



Kim Ho-young: Alleine in einen Noraebang zu gehen, liegt derzeit im Trend, aber trotzdem fühlen sich viele Leute dabei noch etwas unwohl. Manche fragen mich, ob man ihre Stimmen draußen hören kann, und ich versichere ihnen dann, dass sie wirklich niemand hört. Mit Kopfhörern fällt es auch viel leichter, sich ganz in den eigenen Gesang zu vertiefen. Man kann sich auch aufnehmen und editieren und mischen wie ien richtiger Tontechniker. Die besten Ergebnisse kann man dann einfach mit nach Hause nehmen.

Die Zahl der Single-Haushalte steigt, und der Markt versucht, seine Verkaufstrategien diesem Trend anzupassen. In den Warenhäusern findet man mittlerweile viele Ready-to-eat-Angebote, und sogar Obst und Gemüse werden in einzelnen Portionen abgepackt. Und auch Restaurants stellen sich verstärkt auf die Bedürfnisse von Singles ein. Man bekommt Essmarken wie in einer Mensa oder Kantine, aber das Interieur ähnelt eher einem Büro mit vielen kleinen voneinander abgetrennten Sitzeinheiten. Lee Hyun-seung (이현승), der Inhaber eines solchen Restaurants erklärt:

Lee Hyun-seung: Der Raum ist in viele kleine Einheiten unterteilt, so dass man hier gut alleine herkommen kann, um zu essen, ohne sich um andere Leute kümmern zu müssen. Es gibt sechs Tische für zwei und elf für einzelne Personen. Leute, die alleine essen, haben ja sonst nirgends einen geeigneten Ort dafür. Ich wollte ein Restaurant einrichten, in dem Singles sich wirklich wohlfühlen.

Lee Hyun-seung hat das Restaurant vor fünf Jahren eröffnet. Viele Besucher, die das Konzept zunächst seltsam fanden, zählen nun zu seinen Stammkunden.

Lee Hyun-seung: Der große Vorteil hier besteht darin, dass man sich keine Sorgen machen muss, dass andere Leute einen vielleicht beobachten könnten. Auch mit der Bedienung muss man nicht sprechen, denn man bestellt an einem Automaten, wo man die Essmarken bekommt. Am Tisch angekommen, läutet man eine Glocke, und die Bedienung holt das Ticket ab und bringt später das bestellte Gericht. Sobald das Gericht serviert wurde, hat man dann wirklich seine Ruhe. Man sitzt in seinem kleinen abgetrennten Essbereich und braucht sich nicht darum zu kömmern, wer vielleicht nebenan sitzt.

Nach Angaben der Agentur für Statistik wuchs der Anteil von Single-Haushalten in Korea von 6,9 Prozent im Jahre 1985 auf über 25 Prozent im April 2012. Im Jahre 2035 werden es voraussichtlich 35 Prozent sein. Singles bilden damit einen großen Anteil der Bevölkerung. Dadurch verändert sich die kulturelle Landschaft insgesamt. Kulturkritiker Kim Heon-shik (김헌식) erklärt:

Kim Heon-shik: Heutzutage ist es kein Tabu mehr, alleine zu leben. Es hat sich eine regelrechte Singlekultur entwickelt. Vor ein paar Jahrzehnten war es noch so, dass eine Person, die alleine in einem Restaurant saß, komisch angesehen wurde. Heute sieht man dagegen oft Leute, die es genießen, alleine ins Restaurant, ins Kino oder ins Cafe zu gehen. Die soziale Wahrnehmung hat sich sehr verändert. Viele Restaurants und Cafes stellen sich auf die Bedürfnisse einzelner Personen ein, und für Singles ist es nun viel einfacher, ihren Alltag unbeschwert zu genießen.

Ein-Personen-Haushalte werden von sehr unterschiedlichen Menschen gebildet: von überzeugten Junggesellen und Junggesellinnen, Geschiedenen oder alten Leuten, die keine Kinder haben, die sich um sie kümmern. So hat sich auch das Konzept des Alleinseins verändert. Früher galten Einzelgänger und Singles als soziale Außenseiter und gewissermaßen als schwer vermittelbar. Heute sieht man in ihnen auch Aspekte wie finanzielle Unabhängigkeit, Berufschancen, Selbstvertrauen und individuelle Freiheit. Ahn Jina (안지나) vom Magazin Singles meint dazu:

Ahn Jina: Personen zwischen 20 und 40 haben keine Familie zu ernähren, und so ist ihnen das eigene Leben wichtiger als alles Andere. Feierabend und Wochenende können ohne Einschränkungen genossen werden. Ich glaube, Singles in Korea wollen heute vor allem eines: ihr Leben genießen.

In einem Café wurde eine Umfrage durchgeführt, in der Singles nach den Gründen dafür befragt wurden, weshalb sie alleine leben. Die meisten von ihnen gaben an, dass sie so das Leben führen konnten, das sie führen wollten. Weitere Gründe waren, dass man so nicht durch Ehepartner eingeschränkt werde, dass man treffen könne, wen man wolle und dass man kein Geld für eine Hochzeit oder für Kinder ausgeben müsse. Es ist offensichtlich, dass sich das Interessse des Indiviuums gegenüber dem der Gemeinschaft allmählich in den Vordergrund schiebt. Kulturkritiker Kim Heon-shik erläutert:

Kim Heon-shik: Der Individualismus ist in Korea auf dem Vormarsch. Früher herrschte in Korea vor allem der Gemeinschaftsgeist, doch da immer weniger Menschen heiraten, besinnen sich auch immer mehr Menschen auf sich selbst und auf ihr individuelles Leben. Früher galt es beispielsweise auch als gefährlich, ganz alleine zu reisen, doch heute kann man dieses Phänomen oft beobachten. Die Tendenz zu Leben als Einzelner bringt viele neue Aspekte und Perspektven mit sich. Auch die Rechte und die Freiheiten des Einzelnen werden in unserer Gesellschaft vermutlich bald höher geschätzt als organisatorische Interessen.

Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums haben festgestellt, dass Singlefrauen zwischen 20 und 40 als zur Hauptkonsumentengruppe in Wirtschaft und Kultur geworden sind. Händler stellen ihr Waren- und Dienstleistungsangebot verstärkt auf diese Interessengruppe ein.

Kim Heon-shik: Der Lebensstil verändert sich. Es gibt nun mehr Unterhaltungsangebote, Restaurants und Cafés für Singles. Es gibt kleinere Reiskocher, Waschmaschinen, Geschirrsets und Staubsauger extra für Singles. Es gibt kleinere Packungen mit Knoblauch, Zwiebeln oder Eintopfgemüse. Die Zahl der alleinlebenden Menschen wird wohl bis 2020 ansteigen, und bis dahin wird auch der Markt für entsprechende Produkte wachsen. All diese Produkte sind darauf ausgerichtet, das Leben der Singles bequemer und angenehmer zu machen.

Alleine leben bedeutet nicht zwangsläufig, dass man einsam ist. Der Cyberspace bietet heute neue Arten von Kontaktmöglichkeiten und viele Menschen, die alleine leben, finden hier Bekanntschaften oder Freunde. Kulturkritiker Kim Heon-shik berichtet:

Kim Heon-shik: Viele Menschen lassen andere auf Webseiten oder Blogs an ihrem Leben teilhaben. Man findet in vielen Blogs Informationen darüber, wie man alleine eine Wohnung einrichtet oder eine Mahlzeit zubereitet. Und viele Mitglieder sozialer Netzwerke stellen Videos von ihren alltäglichen Aktivitäten ins Netz, auf denen man sehen kann, wie sie essen oder kochen. Auch die Frage, wie man sich alleine unterhalten kann, ist ein beliebtes Thema.

Die Tendenz zum Alleinleben scheint ein weltweiter Trend zu sein. So geben beispielsweise 47 Prozent der schwedischen Bevölkerung an, alleine zu leben. Auch Wirtschaft und Industrie richten sich immer mehr auf die Bedürfnisse dieser Menschen aus, und so ändert sich allmählich die kulturelle und soziale Landschaft insgesamt.

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