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Kultur

Südkorea besinnt sich auf die Familie

2014-06-03

In dieser Szene aus dem Theaterstück "Dongchimi" verabschiedet sich ein Ehemann von seiner Frau, die im Koma liegt. Das Stück handelt von der Geschichte eines Elternpaares, das alles für seine Kinder gegeben hat - und nur wenig zurückbekommt.

Es erinnert mich an mein eigenes Leben, an all die Dinge, die ich eigentlich tun sollte, aber nicht tue. Wie am Ende, als sich alle Kinder nach dem Tod der Mutter um den Vater kümmern wollen. Oder wie der Vater all die Dinge, die er bereut, herausschreit, und wie die Mutter sich mit Schmerzmitteln am Laufen hält. Irgendwie sind ja alle Mütter gleich. Die Eltern geben alles für ihre Kinder, aber die Kinder geben nur einen Bruchteil zurück. Eltern kümmern sich instinktiv um ihre Kinder, aber die Kinder tun es umgekehrt oft nicht. Obwohl sie wissen, dass sie sollten.



Seit seiner Uraufführung im Jahr 2009 wurde das Theaterstück "Dongchimi" in 30 Städten in ganz Korea vor insgesamt 250.000 Zuschauern aufgeführt. Vor allem seit dem Fährunglück Mitte April ist das Interesse an dem Stück stark gestiegen. Denn mit seiner Familienthematik passt es zur derzeitigen Stimmung in der koreanischen Gesellschaft, in der man sich gerade wieder verstärkt auf die Menschen um sich herum besinnt.

Der Untergang der Fähre Sewol hat in der koreanischen Gesellschaft allem Anschein nach grundlegende Veränderungsprozesse in Gang gesetzt. Eltern, die den gesellschaftlichen Erfolg als das oberste Ziel sahen und ihre Kinder unermüdlich zum Lernen antrieben, und Angestellte, die außer Arbeit nicht viel kannten - bei ihnen allen hat ein Bewusstseinswandel begonnen: weg von Arbeit, Leistung und Erfolg, hin zur Familie. Der Soziologieprofessor Kim Won-seop von der Korea-Universität.

Früher ging es bei mir und den Menschen in meiner Umgebung immer nur darum, wie erfolgreich die Kinder in der Schule sind. Heute ist man dankbar, dass sie überhaupt am Leben sind. Das ist derzeit ein kollektives Phänomen. Vor allem am Arbeitsplatz spielte die Familie bislang keine Rolle. Es zählten nur Erfolg und Leistung, die Familie wurde für selbstverständlich gehalten und spielte nur eine sekundäre Rolle. Durch das Unglück wurde nun die Frage aufgeworfen, was wirklich zählt. Einen Job kann man wechseln oder aufgeben. Wenn man seine Familie verliert, dann bedroht das jedoch die eigene Identität und Existenz. Die Identifikation mit den Hinterbliebenen der Opfer des Fährunglücks hat die Menschen dazu gebracht, ihre Werte zu hinterfragen.

Den neugefundenen Familiensinn der Südkoreaner konnte man als erstes am Konsumverhalten erkennen. Laut einer großen Supermarktkette stieg der Umsatz mit Blumengestecken, wie sie im Familienmonat Mai in Südkorea gerne verschenkt werden, um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an. Auch die Gastronomiebranche hat in letzter Zeit 30 Prozent mehr Familienbesuche verzeichnet, und Produkte für Senioren und die Gesundheit haben plötzlich eine so große Nachfrage, dass die Unternehmen ihre Produktpaletten entsprechend angepasst haben. Auch in der Tourismusbranche ist die Nachfrage für Familienurlaube spürbar gestiegen. Herr Jo Il-sang vom Reiseanbieter Hana Tour.

Der Umsatz mit Auslandsreisen steigt jährlich an, aber dieses Jahr ist er um ganze zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen. Gruppenreisen gehen zurück, dafür sind bei Paket- und Individualreisen vor allem Familienreisen gefragt. Für die Monate April, Mai und Juni hatten wir zwischen 600 und 2.000 Kunden mehr.

Obwohl der Gesamtkonsum in Korea nach dem Fährunglück zurückgegangen ist, ist der Absatz von Produkten für die Sicherheit und die Familie also gestiegen.

Ich wollte mit meiner Familie eine gute Zeit verbringen, deswegen verreisen wir jetzt mit den Eltern. Ich hoffe, wir kommen sicher hin und zurück.

Wir sind immer viel mit der Familie verreist, aber das Unglück hat mich darin noch bestärkt. Es hat einem die Bedeutung der Familie noch einmal deutlich gemacht. Man weiss nicht, was die Zukunft bringt, und jedes Mal, wenn man vor die Tür tritt, macht man sich Sorgen. Deswegen wollen wir soviel reisen, wie es uns möglich ist.


Auch in der koreanischen Kulturszene gibt es derzeit viele Ausstellungen und Aufführungen zum Thema Familie. So zog zum Beispiel kürzlich eine Ausstellung der Stadtbibliothek Seoul mit dreizeiligen Botschaften der Zuneigung viele Besucher an.

Viele werden sich derzeit dem Wert der Familie bewusst. In der Ausstellung sind auch Nachrichten von Vätern an ihre Familie zu sehen. Das Motto der Ausstellung ist, dass für jeden der Frühling kommt, auch wenn er oder sie nicht darauf wartet. Auch wenn die Realität derzeit schwierig ist und die Menschen durch das Unglück leiden - wenn sie nur durchhalten, kommt für alle auch wieder der Frühling.

Alle Botschaften in der Ausstellung bestanden aus nur drei Zeilen, in denen die Verfasser ihre Liebe zu Partnern, Eltern, Kindern oder Freunden zum Ausdruck brachten. Auch die Besucher konnten in der Ausstellung selbst zum Stift greifen.

Durch die Kürze muss man mehr darüber nachdenken, dadurch geht es einem näher. Ich werde im nächsten Monat heiraten, und da ich erst spät ins Berufsleben eingestiegen bin, müssen meine Eltern das meiste bezahlen. Ich muss viel an meine Mutter denken.

Seit dem 29. April wird auch das Theaterstück "Dongchimi" wieder in Seoul aufgeführt.

Kim Man-bok, ein Beamter im Ruhestand, kann durch die Nachwirkungen eines Arbeitsunfalls nur mit Mühe Laufen. Geplagt von seinen körperlichen Beschwerden ist er von allem und jedem genervt. Doch seine Ehefrau Jeong I-bun kümmert sich seit zehn Jahren ohne ein Wort des Missfallens um ihn. Das Paar lernte sich als junge Menschen in ihrer Heimat kennen. Nach ihrer Hochzeit machten sie sich nur mit einem Sack Reis in die Hauptstadt Seoul auf, wo sie mit viel Mühe einen Sohn und zwei Töchter großzogen. Doch zwischen den Kindern gibt es nur Streit.

Die älteste Tochter hat einen reichen Unternehmer geheiratet, doch wegen der Aussteuer gab es Probleme. Der Sohn hat als einziger der Kinder im Ausland studiert, doch alles, was er anfängt, ist zum Scheitern verurteilt. Die jüngste Tochter ist Theaterschauspielerin und hat nie Geld. Bei diesen unterschiedlichen Lebenswegen gibt es bei jedem Treffen der Kinder nur Streit.

Die Eltern, die das mit ansehen müssen, bedrückt das Verhältnis der Kinder sehr. Dann stürzt eines Tages die Mutter, als sie auf dem Weg zu ihrem Mann im Krankenhaus ist.

Zunächst denkt die Familie, dass sie nur über etwas gestolpert ist. Aber die Mutter kommt nicht wieder zu Bewusstsein. Im Krankenhaus stellt der Arzt eine schockierende Diagnose.

Vor lauter Kümmern um Mann und Kinder hat Jeong I-bun ihren eigenen Körper völlig vernachlässigt. Ihre Knochen sind von Osteoporose zerfressen, und in ihrem Körper wuchert der Krebs. Sie hielt sich nur mit Hilfe von Schmerzmitteln am Laufen. Die Schauspielerin Kim Gye-seon, die die Rolle der Jeong I-bun spielt, muss bei der Arbeit an dem Stück auch oft an ihre eigene Mutter denken.

Ich will dieses Gefühl, das einem das Wort "Mutter" vermittelt, zum Ausdruck bringen. Diesen Klos im Hals... Meine Mutter ist mein Rollenvorbild, ich werde beim Gedanken an sie jedesmal sehr emotional. Ich habe meine Mutter auch schon gefragt, warum sie sich so aufgeopfert hat. Ich hoffe, dass das Stück Menschen, die sich für ihre Familie geopfert haben, ein wenig trösten kann.

Jeong I-bun liegt nun im Koma und wird künstlich beatmet. Die Ehefrau, die alle seine Launen klaglos ertrug, gibt keine Antwort mehr. Kim Man-bok kann den Anblick seiner Frau am Beatmungsgerät nicht ertragen. Er fasst einen schweren Entschluss und schaltet die Maschinen ab.

Nach dem Tod seiner Frau verweigert Kim Man-bok alles Essen und Trinken. Die Kinder bereuen bei dem Anblick ihrer Eltern ihr bisheriges Verhalten und bieten einhellig an, den Vater bei sich aufzunehmen. Doch der will nicht mehr.

Drei Tage nach seiner Frau stirbt auch Kim Man-bok.

Das Stück "Dongchimi" beruht auf einer wahren Begebenheit. Es handelt von der Geschichte des Dichters Kim Sang-ok, der im Oktober 2004 nur sechs Tage nach seiner Ehefrau von sechzig Jahren starb. Als der Regisseur Kim Yong-eul von dieser Geschichte hörte, wurde er dazu inspiriert, auf der Bühne von der elterlichen Hingabe zu erzählen.

Viele Menschen heiraten und führen ein gutes Leben. Aber ich wollte in dem Stück zeigen, dass viele so von ihrem Leben eingenommen sind, dass sie sich nicht mehr um ihre Eltern kümmern können. Prinzipiell will sich zwar jeder um seine Eltern kümmern, aber wenn erstmal die eigenen Kinder da sind, kommen die zuerst. Ich wollte einfach von der bedingungslosen Liebe von Eltern für ihre Kinder erzählen.

In Südkorea wendet man sich also derzeit der Familie zu. Man tauscht SMS mit Eltern aus, zu denen das Verhältnis immer distanziert war, und man nimmt sich die Zeit, mit den eigenen Kindern zu reden. Der Untergang der Fähre Sewol hat die Menschen an den Wert der Familie erinnert und daran, dass jeder gemeinsame Tag unbezahlbar ist.



Es hat sich sehr verändert. Ich hatte ein schlechtes Verhältnis zu meinem Vater, aber jetzt gebe ich mir mehr Mühe. Ich lebe mit meinem Vater und meiner jüngeren Schwester zusammen. Jetzt verabschiede ich mich, wenn er zur Arbeit geht, und achte darauf, dass er richtig isst. Ich schicke ihm auch immer wieder eine SMS und frage nach, wo er ist. Auch meine Schwester ist immer viel unterwegs, aber jetzt mache ich mir Sorgen, wenn sie nicht nach Hause kommt, und frage nach. Unser Verhältnis hat sich verändert, es ist enger geworden.

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