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Lifestyle

Über erste Begegnungen - Folge 2

2018-09-15

Hörerecke

Von Kimchi und K-Pop.


ⓒ Getty Images Bank

Meine erste persönliche Begegnung mit den Menschen und der Kultur Koreas kam zustande, als ich 1996 mein Studium an der Musikhochschule in Hamburg begann. An einer deutschen Musikhochschule nicht mit Koreanern in Berührung zu kommen, war schon damals ein Ding der Unmöglichkeit. Allein auf meinem Flur im Musikerwohnheim wohnten vier koreanische Studenten. Ihre Namen klangen am Anfang für mich alle gleich, und auch ihre Gesichter sahen alle ähnlich aus. Aber das änderte sich schnell. Wenn in der Wohnheimküche koreanisches Essen gekocht wurde, waren wir deutsche Studenten manchmal eingeladen und so lernten wir einander kennen.

Beispielsweise habe ich eine sommerliche Grillparty auf der Dachterrasse in Erinnerung, bei der ich mein Grillfleisch, den Reis, die Soße und das Salatblatt nach deutscher Sitte fein säuberlich getrennt auf meinem Teller drapiert und mich bereits auf einen wohlgeordneten Verzehr eingestellt hatte, als mein koreanischer Kumpel herbeigestürmt kam, mir den Teller aus der Hand riss, alle Zutaten im Salatblatt zu einer voluminösen Rolle zusammenwickelte und es mir mit den Worten „So musste das essen“ in den vor Verblüffung noch geöffneten Mund stopfte. Meine erste Erfahrung mit dem koreanischen Grillfleisch Samgyeopsal

Dass Essen Menschen nicht nur miteinander verbinden, sondern auch voneinander trennen kann, zeigte sich im Falle der koreanischen Delikatesse Nummer 1, des Kimchi, des eingelegten scharfe Weißkohls. Uns Deutschen war schnell klar, dass dieser Kimchi bei keiner koreanischen Mahlzeit fehlen darf, aber insbesondere von den deutschen Kühlschrankmitbenutzern wurde er bei aller kulturellen Aufgeschlossenheit aufgrund seines stechenden Geruchs, der unweigerlich auf andere Lebensmittel überzugreifen pflegte, doch innerlich verflucht. Heute bin ich – das sei hier noch versöhnlich angefügt – ein großer Kimchifreund. 


Abgesehen von der Kimchi-Kontroverse, die auch nie offen ausgefochten wurde, herrschte insgesamt eine sehr harmonische, freundliche Atmosphäre. Angeregt durch eine koreanische Mitbewohnerin gingen einmal sogar alle Bewohner unseres Flurs gemeinsam in der Hamburger Innenstadt in ein Noraebang, eine koreanische Karaoke-Bar. Dort sang ich natürlich keine koreanischen Lieder, aber ich hörte zum ersten Mal K-Pop – wobei es dieses Wort damals in den 90er Jahren wohl noch nicht gab – und war fasziniert. Ich lieh mir koreanische Pop-Musik aus – hauptsächlich billig produzierten Diskobeat, bei dem ich mir heute teilweise wohl die Ohren zuhalten würde – überspielte sie mir auf Kassetten und hörte sie zwischendurch, wenn ich keine Lust mehr auf die Beethoven-Sonaten oder Chopin-Etüden hatte, die meine klassische Musikausbildung ansonsten bestimmten. 

Selbst wenn diese Kassetten noch irgendwo auffindbar sein sollten, ich hätte vermutlich technisch gar nicht mehr die Ausrüstung, um sie irgendwie abzuspielen. So lange ist das her. An manche Lieder erinnere ich mich aber noch, beispielsweise an 검은 고양이 네로 von 터보, das Lied von „Nero, der schwarzen Katze.“ Ich verstand natürlich kein Wort, fand es aber trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen total super. Wenn ich mir vorstelle, dass ich als langhaariger Jungstudent damals in meinem Wohnheimzimmer zu diesen Klängen vor Begeisterung auf und abgehüpft bin, schüttle ich heute schmunzelnd den Kopf, aber wer weiß, welchen Anteil diese Musik an meinem späteren Bedürfnis gehabt haben mag, mich intensiv mit Korea auseinanderzusetzen. 


Musik: 터보: 검은 고양이 네로


Mein schwarzes Kätzchen Nero, Nero, Nero.

Mein kleines süßes Kätzchen, mein kleiner schwarzer Freund.  

Mein schwarzes Kätzchen Nero, Nero, Nero.

Mal so, mal so, mal so, du launenhaftes Ding.  

Lalalalala la la la. 


Wenn ich dieses Lied aus dem Jahr 1995 heute nach langem wieder einmal höre, glaube ich immer noch vieles zu erkennen, das ich mit der koreanischen Mentalität verbinde: ungestüme Dynamik, überschwenglicher Gestus, fröhlicher, leicht infantiler Klamauk – ursprünglich handelte es sich, wie ich später herausfand, bei dem Stück um ein italienisches Kinderlied – und vor allem die Tendenz, dem Ausdruck der Seele im Zweifelsfalle eher singend und tanzend denn sprechend und argumentierend Raum zu geben. 

(Viele Jahre später begegnete mir das Lied von der eigensinnigen, widerspenstigen Katze übrigens unerwarteterweise noch einmal, im Rahmen meiner Arbeit als Übersetzer, in einem Werk meines Lieblingsschriftstellers Jung Young Moon, nämlich im zweiten Teil der Trilogie „Die Gesänge der Tiere von Zorn und Verdruss“, wo der Text des Liedes komplett zitiert und in einen leicht absurden Zusammenhang gestellt wird. Dort singt der Protagonist es nämlich einer blinden Katze vor und äußert sein Bedauern darüber, dass sein Vater dieses Lied nie gesungen habe, wenn sie gemeinsam mit einem toten Kaninchen aus den Bergen heimgekehrt seien.)

Ich schweife ab. Meine koreanischen Freunde hatten es endgültig geschafft, Korea in meinem Bewusstsein aus dem Schatten Chinas und Japans herauszuarbeiten. Ich war bewegt von ihrer Unkompliziertheit, Aufgeschlossenenheit und Freundlichkeit, bezaubert von den hübschen Gesichtern der koreanischen Studentinnen und beeindruckt von ihrem enormen Fleiß und Ehrgeiz. Ich ließ mir erklären, dass die seltsamen Schriftzeichen, die sie benutzten, gar nicht so schwer zu erlernen sind, lieh mir Lehrbücher aus der Stabi, und begann, koreanische Buchstaben zu malen und koreanische Wörter zu entschlüsseln. Ich erfuhr, dass man in Hamburg Koreanistik studieren konnte und meldete mich spaßeshalber bei einem Austauschprogramm an, ein Stipendienprogramm, offen für jede und jeden, die oder der mitmachen wollte. Ein halbes Jahr Koreanischkurs in Hamburg, ein halbes Jahr in Seoul.


Hier begann meine eigentliche, ernsthafte Auseinandersetzung mit der koreanischen Sprache und Kultur. Und was mir dazu einfällt, erzähle ich beim nächsten Mal.

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