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Gesellschaft

Die Hanbok-Designerin Kim Young-jin

2016-02-09


In der Verbindungsstraße zwischen den Vierteln Hannam-dong und Oksu-dong in Seoul ist eine Menge los. Dort befinden sich das UN Village, wo viele wohlhabende Ausländer wohnen, verschiedene Botschaften, die Deutsche Schule Seoul und mehrere internationale Kindergärten. Die ehemals ruhige Straße wird gesäumt von In-Cafés und ausgesuchten Boutiquen, die einen stetigen Strom von Besuchern anziehen, nicht nur Ausländer.

Doch tief in den Seitenstraßen befinden sich Einfamilienhäuser mit herrlichen, verborgenen Gärten. Die Hanbok-Designerin Kim Young-jin hat eines jener alten Anwesen zu ihrer eigenen Residenz erkoren, wo eine Galerie untergebracht ist, eine Werkstatt und ihr persönlicher Wohnbereich. Es mag wie ein Privatatelier aussehen, doch ihre Türen stehen neugierigen Besuchern immer offen. Ein paar Schritte durch einen kleinen, beschaulichen Garten führen die Besucher zu ihrer verglasten Werkstatt. Dort kann man die Künstlerin mitten in einer Näharbeit antreffen. Kims Arbeit umfasst eine breite Palette von traditionellen Trachten und Accessoires, von aufwändigen Kostümen, Hochzeitskleidern und Hanboks für den Alltag bis zu Bettwaren und Schmuck. Es ist die auf verschiedene Orte, Zeiten und individuelle Personen abgestimmte Neuerschaffung der Schönheit Koreas, was ihre Arbeit so besonders macht.

Im Inneren der Werkstatt gibt es ein gewaltiges, tulpenförmiges Trachtenkleid, inspiriert vom „Porträt einer Schönheit“ des Malers Shin Yun-bok aus dem 18. Jahrhundert, sowie ein Frauenkleid mit breiten Falten wie bei einer Uniform eines Regierungsbeamten aus der Goryeo-Ära. Kim Young-jins Hanbok-Kollektion ist nicht nur für ihre Einzigartigkeit bekannt, sondern auch, weil die Menschen gern etwas davon besitzen und tragen wollen. So hat die Schauspielerin Tilda Swinton etwa einen modernisierten Hanbok von der Designerin erworben, als sie sich für eine Chanel-Modenschau und ein Fotoshooting in Seoul aufhielt.

Tilda Swinton war für einen Bericht in der Vogue über eine Chanel-Modenschau in Korea und sah zufällig meine Kollektion. Sie hat auch gleich etwas gekauft. Seitdem wurde in der Vogue schon öfters über Hanboks zusammen mit Kleidern von Chanel berichtet.

Obwohl sie westliche Schnüre und andere nicht-koreanische Materialien verwendet, verletzen Kim Young-jins Trachten niemals das koreanische Erbe, die Schönheit des Schnitts oder generell koreanische Empfindungen. Vielmehr scheint das perfekte Zusammenspiel zwischen Ost und West ausländische Kunden zu beeindrucken. So hat ihre Hanbok-Kollektion bei der koreanischen Modenschau auf der Expo 2015 in Mailand sowie der Korea Now-Ausstellung im Kunstgewerbemuseum in Paris begeisterte Kritiken ausgelöst. Inspiriert von traditionellen Hanboks hat sie das Konzept durch wagemutige Entwürfe und die freie Verwendung von Materialien weiterentwickelt. Dabei hatte sie nie vorgehabt, Hanbok-Designerin zu werden.

Kim Young-jins Traum war eigentlich Schauspielerin. Sie hatte eine Ausbildung an der Schauspielschule gemacht und aufgrund ihrer Leidenschaft für traditionelle Darbietungskunst sogar Pansori, den Kranichtanz Dongnae sowie den Maskentanz Bongsan erlernt. Dann schloss sie sich dem Straßentheater Troup an und wurde Bühnenschauspielerin. So kam sie mit traditionellen koreanischen Trachten in Berührung.

Als wir uns auf die traditionellen Stücke vorbereiteten, half ich dem Garderobenteam dabei, Kostüme und Accessoires zu machen. Einmal habe ich eine Puppe gemacht, die Schneider waren ganz begeistert. Dann begriff ich, dass diese Arbeit hinter den Kulissen sehr kreativ sein kann, und dass es besser zu mir passte, eine kreative Welt für mich allein zu haben. Mir wurde meine Leidenschaft für Hanboks und das koreanische Erbe erst richtig bewusst.

Kim Young-jin stellte fest, dass sie viel besser für die Arbeit an Hanboks und Accessoires hinter den Kulissen geeignet war. Als sie die Welt der Bühne hinter sich ließ, entschied sie sich dazu, in die Modebranche zu wechseln. Sie begann als Verkäuferin und arbeitete sich nach und nach zu einer verantwortungsvollen Position bei einer internationalen Luxusmarke hoch. Ihr Leben galt nur noch der Mode.

Louis Vuitton war eine ganz neue Welt. Dort habe ich gelernt, wie wichtig die Geschichte ist. Ich war regelecht schockiert, mit welcher Leidenschaft sie über ihre neuen Modelle sprachen, sie verehrten sie richtig. Sie wussten, dass sie selbst an das Produkt glauben mussten, um es zu vermarkten. Ich war zugleich schockiert und auch ein bisschen traurig, weil auch Korea hervorragende Handwerksmeister hatte. Wenn, sagen wir, traditionelle koreanische Schuhmeister ihre Fähigkeiten systematisch weiterentwickelt hätten, könnten sie heute ihre eigenen Marken haben. Ich dachte oft darüber nach, was das Problem war.

Koreanische Handwerksmeister standen anderen in puncto hochwertiger Verarbeitung in nichts nach, doch irgendwie wurden sie in der Modebranche nicht so wahrgenommen. Die sorgfältige Handarbeit, die bei der Herstellung koreanischer Trachten notwendig ist, findet sich nicht bei westlicher Kleidung. Es gibt einfach zu viele Einzelteile bei einem kompletten Hanbok, von der Unterwäsche über das Oberkleid bis zum steifen Kragen, wobei bei jedem Schritt zu Nadel und Faden gegriffen werden muss. Koreanische Frauen machen diese zeitraubende, komplexe Arbeit ohne ein Wort des Murrens. Kim Young-jin beendete ihre Karriere bei Louis Vuitton und schlug einen anderen Weg ein.

Ich wollte schon lange lernen, wie man koreanische Trachten herstellt, und endlich hatte ich die Chance, das direkt bei einem meisterhaften Hanbok-Schneider zu lernen. Ich hatte einmal in der Woche Unterricht, und als erstes machte ich einen Baby-Schlafanzug. Mein Lehrer sagte mir immer, dass Nähen wie eine Zen-Übung sei und dass ich entspannen und es leichtnehmen solle. Es machte so viel Spaß! So wurde ich eine Hanbok-Schneiderin.

Aus Leidenschaft für koreanische Trachten lernte Kim Young-jin die traditionelle Nähkunst. Jahrelang nähte sie einen Hanbok nach dem anderen. Dann eröffnete sie im Jahr 2004 eine kleine Werkstatt in Yeonhui-dong.

Ich traute es mir nicht zu, ein richtiges Hanbok-Geschäft zu eröffnen. Also stellte ich unten handgemachte Trachten nur aus und richtete im Obergeschoss eine Galerie ein. Eines Tages wollte eine Kundin einen Hanbok, den sie beim Vorbeigehen im Fenster gesehen hatte, und danach fing ich an, Hanboks nach Maß zu schneidern.

Kim Young-jins Hanbok-Marke heißt „Tschai“, was auf Koreanisch so viel wie „Unterschied“ bedeutet. Der Name steht für ihre Überzeugung, dass kleine Unterschiede in der künstlerischen Raffinesse die Qualität der Kleidung ausmachen. Hinter dieser Philosophie der Unterschiede steht auch ihre Konfektionskollektion „Tchai Kim“.

Der Grund für den Start der „Tchai Kim“-Kollektion war das Gefühl, dass mir als Designerin durch die Tradition ziemlich enge Grenzen gesetzt waren. Ich brauchte einfach mehr kreative Freiheit. Natürlich basiert alles noch auf Traditionen, weil ich traditionelle Trachten liebe. Das aktuelle Aushängeschild der „Tschai Kim“-Kollektion ist ein Cheollik-Kleid mit breiten Falten wie bei den alten gleichnamigen Beamtenuniformen. Die angepassten Falten wurden auf Damenkleidung übertragen.

Die Tchai Kim-Konfektionsware verfügt über modernisierte Hanbok-Elemente und kann zusammen mit Jeans oder normalen Anzügen getragen werden. Die Kundschaft variiert in Alter und Anspruch, aber sie alle haben eins gemeinsam: sie wollen etwas tragen, das einzigartig ist.

Ich finde die Hanbok-Komponenten so hübsch. Die weiten, fließenden Linien des Kleids verdecken meine Problemzonen und ich kann es gut zusammen mit meiner Alltagskleidung anziehen. Ich trage es sehr oft.

Es gibt keine Tchai Kim-Modekette. Es gibt nur das eine Geschäft in Samcheong-dong, sonst verbreitet Kim Young-jin selbst ihre Kollektion im ganzen Land. Sie ist quasi eine fahrende Händlerin.

Seit ich mit dem Straßentheater Troupe unterwegs war, habe ich immer noch den Geist einer fahrenden Künstlerin. Die ganze koreanische Landschaft ist so schön und ich mache Hanboks, weil ich Schönheit suche. Die Schönheit des Hanboks ist die Schönheit Koreas. Ich wollte die Schönheit, die ich überall um mich herum sehe, in einer kreativen Weise ausdrücken. Deshalb habe ich ein mobiles Geschäft. Es macht Spaß!

Kims fahrendes Hanbok-Geschäft kann überall im Land aufgestellt werden. Bisher waren es Orte, die ihren Freunden gehörten: eine Farm auf der Insel Jejudo, eine Galerie oder ein traditionelles Teehaus, um nur einige zu nennen. Im Januar wurde das mobile Geschäft im Bibidang aufgestellt, einem traditionellen Teehaus in Busan von einer Kundin Kim Young-jins. Gelegen auf einem Hügel bietet es einen atemberaubenden Panoramablick auf den Strand von Haeundae. Der malerische Meereshintergrund bringt die Schönheit der Kleidung erst richtig zur Geltung.

Ich hatte mich sehr für ihre Kleider interessiert und bekam endlich die Gelegenheit, ihr Geschäft zu besichtigen. Ich fand Design, Farbe und Stoff ihrer Trachten sehr modern. Sie passen gut zu der Kleidung, die ich schon habe, sie sind einfach einzigartig und kaum in anderen Geschäften zu finden.

Kim Young-jin hört nie auf, die Begrenzungen der Tradition zu durchbrechen. Ihre neue Perspektive auf Hanboks führt häufig zu neuen Möglichkeiten. Cho Hee-kyung, Besitzerin eines koreanischen Restaurants, beauftragte die Designerin damit, ihr Restaurant zu dekorieren.

Ich sah, dass sie nervös war, denn dies war etwas Neues. Doch ich spürte auch das Selbstvertrauen der Künstlerin in ihrer Gespanntheit. Sie stand vor einer neuen Herausforderung auf der Grundlage ihrer Beschäftigung mit traditionellen Trachten. Diese Freiheit zeigte sich in ihrer Kleidung.

Cho gefiel Kims Gestaltung so sehr, dass sie sie darum bat, auch die Uniformen für ihr Restaurantpersonal zu erstellen. Inzwischen ist Cho die größte Verehrerin ihrer Hanboks.

Es ist schon fünfzehn Jahre her, dass Kim Young-jin mit dem Design koreanischer Trachten anfing. Sie spürt, dass sie noch härter arbeiten sollte, allerdings nicht des Geldes wegen. Gier erzeugt einen Zwang, was den Verlust der Freiheit bedeutet. Kim zog es vor, ein mobiles Geschäft zu betreiben anstatt mehrere Filialen zu eröffnen, weil sie Angst hatte, zu gierig zu werden. Es ist die Freiheit der unbeschränkten Perspektive und unaufhörlicher Veränderungen, was Kim Young-jins Identität ausmacht. Sie glaubt fest daran, dass ihre Marke mit einer derartigen Einstellung Jahrhunderte überdauern kann.

Ich möchte eine zeitlose Designerin wie Coco Chanel werden. Ich möchte in der Branche meine Spur hinterlassen, aber das ist nicht mein eigentliches Ziel. Es gibt keine koreanische Marke, die ein Jahrhundert lang bestanden hat. Ich möchte lieber eine Marke aufbauen, die mehr als hundert Jahre besteht, als eine noch in hundert Jahren bekannte Designerin zu werden.

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