Schritte zur Wiedervereinigung

Koreanische Halbinsel von A bis Z

Schritte zur Wiedervereinigung

Architektur in Pjöngjang

2022-02-02

ⓒ Getty Images Bank

Die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang wird in Anspielung auf Manhattan auch “Pyonghattan” genannt. Der Vergleich geht auf die Hochhäuser in Pjöngjang zurück. Unter der Regierung des jetzigen Machthabers Kim Jong-un wurden in der Stadt viele neue Hochhäuser gebaut, so dass sich ihre Skyline sichtbar geändert hat. Wie lässt sich Pjöngjang aus architektonischer Sicht beschreiben? Dazu sagt Ahn Chang-mo von der Architektur-Abteilung der Kyonggi-Universität in Südkorea, der auch Kurator einer international viel beachteten Ausstellung der Architekur in beiden Koreas war: 


Architektur ist der Spiegel der Gesellschaft, das heißt, dass wir etwas über die Gesellschaft durch ihre Architektur erfahren. Architektur ist nicht die Kreation einer Einzelperson, sondern erfordert die Bemühungen zahlreicher Menschen sowie viel Geld. Als ich Pjöngjang besuchte, sah ich eine Reihe sozialistischer Slogans auf den Gebäuden. Das waren keine Zeichen, die man in kapitalistischen Ländern finden kann. Als ich sagte, dass ich einen interessanten Unterschied zwischen Süd- und Nordkorea sehe, sagte jemand neben mir, diese Slogans sind die sozialistische Version der Werbung. Ich dachte, das war die richtige Beschreibung.


Pjöngjang und die südkoreanische Hauptstadt Seoul haben eines gemeinsam. Beide sind historische Städte mit einer langen Tradition. Schon vor etwa 600 Jahren war Seoul als Hauptstadt des früheren Joseon-Königreichs das politische und kulturelle Zentrum auf der Halbinsel:


Der Fluss Han fließt duch Seoul, während der Taedong durch Pöngjang fließt. Darin sind sich beide Städte ähnlich. Doch in historischer Hinsicht unterscheiden sie sich. Seoul ist jetzt von vier äußeren Bergen umgeben und von zehn Millionen Menschen bewohnt. Als sie vor 600 Jahren gegründet wurde, überdeckte die Hauptstadt nur das nördliche Gebiet des Hans. Umgeben von vier inneren Bergen war sie für 100.000 Menschen geplant.


Pjöngjang ist der Ort, wo sich die letzte Hauptstadt des alten Königreichs Goguryeo befand:


Seoul ist von Bergen umgeben. Wenn sie im Zentrum stehen und ins Weite schauen, sehen sie Bergkämme und Burgmauern, obschon sie diese jetzt nicht überall wegen der Gebäude sehen. Wenn sie im Zentrum von Pjöngjang stehen und in die Ferne blicken, was sehen sie da? Nichts. Pjöngjang hat Hügel im Zentrum und ist von Wasser umgeben, den Flüssen Taedong und Pothong. Als beide Städte gebildet wurden, war ihre Topographie unterschiedlich, so wie sich auch die herrschenden Ideologien unterscheiden.


Die koreanische Halbinsel sah dramatische Veränderungen in der Neuzeit. Ein bedeutender Teil ihres alten Aussehens verschwand während der japanischen Kolonialherrschaft, während zahllose Gebäude während des Korea-Kriegs zerstört wurden. Sieben Jahrzehnte später sind Seoul und Pjöngjang jetzt total unterschiedliche Städte:


Obwohl Seoul während des Korea-Kriegs schwer beschädigt wurde, lassen sich noch einige Spuren der Vergangenheit erkennen. In Pjöngjang wurde die Vergangenheit spurlos ausgelöscht. So gibt es beispielsweise im Herzen von Pjöngjang keine Gassen. Gassen werden typischerweise über einen langen Zeitraum angelegt. Pjöngjang wurde im Krieg total zerstört. Nordkorea stand wieder am Anfang und baute eine neue sozialistische Stadt in sehr kurzer Zeit.


Pjöngjang wurde als die ideale sozialistische Stadt entworfen. In der städtischen Planung für sozialistische Städte werden kulturelle Einrichtungen wie etwa Bibliotheken oder Theater als sehr wichtig eingestuft. In einem ähnlichen Kontext befindet sich der Kim-Il-sung-Platz im Zentrum von Pjöngjang. Gebaut im Jahr 1954, besteht er aus dem hauptsächlichen, rechteckig geformten Platz mit Granitsteinen, einem kleineren Platz und einer Bühne. Auf einer Fläche von 75.000 Quadratmetern bietet er 100.000 Menschen Platz:


Es gibt keine großen Plätze in Seoul. Der Gwanghwamun-Platz war früher eigentlich eine Straße. Öffentliche Plätze sind Teil der westlichen Kultur. Die Stadtplanung für sozialistische Städte hat ihre Wurzeln in Europa. Das gilt auch für den Kim-Il-sung-Platz. In der koreanischen Tradition werden Straßen oder städtische Plätze nach Menschen benannt. Jüngere Generationen benennen heute Straßen manchmal nach Promienten, doch wurden sie offenbar von westlichen Traditionen beeinflusst, was etwa Namen wie Washington D.C. und der Bundesstaat Washington zeigen. Der Kim-Il-sung-Platz repräsentiert den Wert, den das Land aufrechterhalten will, sowie seine Erinnerung an den Schöpfer des neuen Werts.


Der Kim-Il-sung-Platz ist zugleich der größte Propagandaort Nordkoreas, auf dem größere politische und kulturelle Veranstaltungen stattfinden, wie etwa Militärparaden und Massenkundgebungen: 


Im Herzen von Pjöngjang wird der Kim-Il-sung-Platz von der Großen Studiumhalle des Volkes, Regierungsgebäuden, einer Kunstgallerie und einem Museum umgeben. Stellen Sie sich ein Dreieck vor. Der Platz befindet sich in der Mitte des Dreiecks, während sich an der Spitze eine Bibliothek befindet. Die Kunstgallerie und das Museum stehen an den Enden der Grundlinie. Was bedeutet das? Nordkorea sagt den Menschen, dass sie die Meister ihres Landes sind und ermutigt sie, Bücher zu lesen, hart zu studiern und sich zu anständigen Menschen zu entwickeln. 


Die Große Studiumhalle des Volkes dient als Zentralbibliothek. Sie wurde 1982 fertiggestellt. Das im traditionellen koreanischen Stil erbaute zehnstöckige Gebäude hat eine Gesamtfläche von 100.000 Quadratmetern. Es kann 30 Millionen Bücher aufnehmen und verfügt über 20 Lesesäle mit 6000 Plätzen: 


Der Bau wurde 1982 zum 70. Geburtstag des früheren Machthabers Kim Il-sung fertiggestellt. Nach dem Neuaufbau des Landes nach dem Krieg in den 50er Jahren erhielt Nordkorea umfassende Hilfe aus der Sowjetunion und osteuropäischen Ländern. Als Folge davon entstanden zahlreiche Gebäude in größeren Städte in Nordkorea einschließlich Pjöngjangs im architektonischen Stil Osteuropas. Nordkorea realisierte, dass das Land zu stark von ausländischer Kultur beeinflusst wurde. Kim Il-sung begann damit, einen unabhängigen “nordkoreanischen Stil” zu propagieren. Im Bereich der Architektur glaubte Nordkorea, dass die Wiederbelebung traditioneller Elemente der Kern einer sozialistischen Architektur war. Ein traditioneller Stil wurde in öffentlichen Kultureinrichtungen verwendet, die Große Studiumhalle des Volkes eingeschlossen. Sie symbolisierte Nordkoreas Juche-Ideologie der Selbstständigkeit.


Sporteinrichtungen gehören ebenfalls zu den Wahrzeichen Pjöngjangs. Das Rungrado-Stadion des 1. Mai ist ein gutes Beispiel. Während des innerkoreanischen Gipfeltreffens 2018 hielt der südkoreanische Präsident Moon Jae-in dort eine Rede:


Benannt nach dem internationalen Tag der Arbeit kann das große Stadion 150.000 Menschen fassen. Nordkorea richtet dort wichtige Veranstaltungen aus oder lädt ausländische Gäste dorthin ein. Als die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright Pjöngjang besuchte, veranstaltete Nordkorea im Stadion die große Arirang-Massengymnastik- und Artisten-Aufführung. Das Stadion hat ein gigantisches Dach mit mehreren Bögen. 


Auch Hotels repräsentieren die Architektur Pjöngjangs. Zahlreiche Ausländer steigen im Koryo-Hotel ab, das 1985 eröffnet wurde. Während des innerkoreanischen Gipfels 2018 wurde dort ein Pressezentrum eingerichtet. Das Yanggakdo Internationale Hotel auf der Insel Yanggak im Taedong ist eines der luxuriösten betriebenen Hotels in Nordkorea. Doch das berühmteste Hotel ist das Ryugyong-Hotel. Das Gebäude mit 105 Stockwerken wurde für 3000 Zimmer ausgelegt. Die Bauarbeiten begannen 1987, doch wurden sie später aus finanziellen Gründen ausgesetzt. Trotz einer Wiederaufnahme der Arbeiten ist es nach wie vor nicht fertiggestellt. Die Außenseite ist jedoch mit Metall und Glas dekoriert, während LED-Leuchten auf seinen Wänden für Lichtershows in der Nacht installiert wurden. Ein Wissenschafts- und Technologiezentrum namens Sci-Tech-Komplex befindet sich auf der Flussinsel Ssuk. Das 2015 fertiggestellte Gebäude ist größer als die Große Studiumhalle des Volkes. Seine Form des Atommodells soll die Entschlossenheit des Landes demonstrieren, an seinem Atomprogramm festzuhalten:

 

In den 1960er Jahren war Nordkorea besser dran als Südkorea, und dass hauptsächlich wegen der wissenschaftlichen Entwicklung. Doch später hinkte die Wissenschaft und Technologie Nordkoreas stark hinterher. Nordkorea beschloss, Wissenschaftler wieder speziell zu behandeln, und baute die Mirae-Straße der Wissenschaftler, die die andere Seite des Sci-Tech-Komplexes ist. Nordkorea legte wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft in dem Glauben, die Schwierigkeiten überwinden und den Sozialismus durch Wissenschaft wiederbeleben zu können.


Nachdem Kim Jong-un die Macht übernommen hatte, entstanden eine Reihe neuer Straßen und neuartiger Hochhäuser in Pjöngjang: 


Die Farben der Straßen in Pjöngjang haben sich sichtbar verändert. Als ich 2005 nach Pjöngjang reiste, waren die Straßen schmutzig und farblos. Doch seitdem Kim Jong-un die Macht hat, herrschen helle, pastellartige Farben vor, um eine offenere Atmosphäre zu schaffen.


Die Ryugyong Chung-Ju-yung-Sporthalle in Pjöngjang ist nach einem Südkoreaner benannt. Dort hielt eine größere Jugendorganisation im vergangenen Jahr ihr Treffen ab. Das Gebäude wurde errichtet, um den innerkoreanischen Sportaustausch zu fördern. Das Design, die Technologie und die wichtigsten Materialien kamen von der südkoreanischen Hyundai-Gruppe, während Nordkorea die Arbeiter und einige lokal erhältliche Materialien stellte. Bei der Eröffnung 2003 fanden dort ein Basketballspiel und ein Konzert statt. Beim Asien-Cup 2013 und bei den Interclub-Gewichtheber-Meisterschaften wurden dort vor nordkoreanischem Publikum die südkoreanische Nationalflagge gehisst und die südkoreanische Nationalhymne gespielt. Im Jahr 2018 fand in der Halle ein gemeinsames Konzert südkoreanischer Musiker und eines nordkoreanischen Orchesters unter dem Motto “Wir sind eins” statt. Die Sportstätte galt als Symbol für den innerkoreanischen Austausch. Zudem wurde die Pjöngjanger Universität für Wissenschaft und Technologie gemeinsam von Süd- und Nordkorea gebaut:


Das Projekt zum Bau der Hochschule wurde vor allem von christlichen Gruppen finanziert und bezog auch die Yanbian-Universität für Wissenschaft und Technologie im Norden Chinas ein. Südkorea beteiligte sich an einigen Bau- oder Erneuerungsprojekten in Nordkorea. So arbeiteten beide Seiten zum Beispiel an der Restaurierung des Singye-Tempels im Kumgang-Gebirge, und eine südkoreanische Zivilorganisation namens Korean Sharing Movement baute in Nordkorea ein Krankenhaus. Architektur ist eng mit dem Leben verbunden. Ich denke, Süd- und Nordkorea können viele Gemeinsamkeiten in diesem Bereich finden, solange sie sich von ideologischen Vorurteilen befreien.


Pjöngjang wurde als typische sozialistische Stadt neu aufgebaut. Die großen Gebäude in der Stadt sollten die Überlegenheit des Regimes unterstreichen. Doch als größere Abkehr davon repräsentieren neue Gebäude in den vergangenen Jahren auch internationale Trends.

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