Das nordkoreanische Wirtschaftssystem basiert auf dem Prinzip des staatlichen Eigentums. Der Staat besitzt alle Produktionsmittel und plant sowie steuert sämtliche wirtschaftliche Aktivitäten. Aktuellen Berichten zufolge hat Nordkorea in diesem Jahr damit begonnen, seinen Bürgern den privaten Besitz von Autos zu erlauben – eine bemerkenswerte Neuerung in einem sozialistischen System, das Privateigentum traditionell ablehnt.
Heute sprechen wir mit Choi Eun-ju, Forscherin am Zentrum für Strategien zur Koreanischen Halbinsel des Sejong-Instituts, über die Hintergründe dieser Entscheidung.
Wenn es um Autos in Nordkorea geht, denken viele zuerst an Machthaber Kim Jong-un selbst. 2020 fuhr er bei einem Besuch in einer von Überschwemmungen betroffenen Region in der Provinz Hwanghae persönlich einen Geländewagen der japanischen Marke Lexus. Bei Wladimir Putins Besuch in Pjöngjang im Jahr 2024 präsentierte Kim eine eindrucksvolle Fahrzeugkolonne und fuhr in einer deutschen Luxuslimousine von Mercedes-Benz. Putin sorgte zudem für Aufsehen, als er Kim ein russisches Luxusauto vom Typ „Aurus“ als Geschenk überreichte. Der Aurus wird oft als „Russischer Rolls-Royce“ bezeichnet.
Kim Jong-uns Luxuskarossen scheinen gezielt zu demonstrieren, dass Nordkorea in der Lage ist, internationale Sanktionen zu umgehen. Obwohl der UN-Sicherheitsrat seit 2017 die Ausfuhr von Fahrzeugen nach Nordkorea verbietet, präsentiert Kim weiterhin ausländische Luxuswagen. Doch inzwischen sind Autos nicht mehr nur einem einzigen Machthaber vorbehalten: Seit Anfang dieses Jahres hat Nordkorea offiziell den privaten Autobesitz erlaubt.
Im nordkoreanischen Zivilgesetz gelten Autos bereits als mögliches Privateigentum. Neu ist, dass eine Gesetzesänderung im vergangenen Jahr erstmals eine offizielle Registrierung durch Privatpersonen ermöglicht. Zuvor waren Pkw zwar theoretisch als Privateigentum anerkannt, doch liefen Zulassungen fast ausschließlich über Betriebe oder Institutionen. Nun können Bürger nach Abschluss des vorgeschriebenen Registrierungsverfahrens ein Auto tatsächlich auf ihren eigenen Namen besitzen.
Artikel 59 des Zivilgesetzes nennt Pkw ausdrücklich als Eigentum, das Privatpersonen besitzen dürfen. Bereits 2017 gab es Berichte über Fahrzeuge für den persönlichen Gebrauch, die jedoch damals noch auf Unternehmen oder Organisationen zugelassen werden mussten. Mit der offiziellen Anerkennung des privaten Fahrzeugbesitzes rücken die Beweggründe für diesen Kurswechsel in den Fokus.
Einerseits will Nordkorea den wachsenden Fahrzeugbestand besser verwalten. Wäre die Nutzung gering geblieben, hätte man den Besitz wohl nicht gesetzlich geregelt. Die Reform deutet auf eine zunehmende Nutzung von Autos in wichtigen Regionen des Landes hin, wenn auch nicht landesweit. Ein weiterer Grund hängt mit den potenziellen wirtschaftlichen Chancen zusammen, die sich aus der steigenden Zahl von Fahrzeugen ergeben. Innerhalb der nordkoreanischen Gesellschaft ist eine neue Gruppe mit ausreichender Kaufkraft entstanden. Offenbar setzt die Regierung darauf, den Konsum dieser Gruppe zu fördern, statt ihn zu beschränken, um so die Wirtschaft anzukurbeln.
Insgesamt scheint die Erlaubnis privaten Autobesitzes eine wirtschaftspolitische Maßnahme zu sein. Durch die zunehmende Fahrzeugnutzung wird ein Umfeld geschaffen, in dem Personen mit ausreichendem Einkommen mehr konsumieren können. Dieser Trend der steigenden Autonutzung zeigt sich zunehmend in verschiedenen Regionen des Landes.
Unsere Trendanalyse zeigte zuletzt einen deutlichen Anstieg von Schmuggelaktivitäten, vor allem bei Gebrauchtwagen. Trotz internationaler Sanktionen und der mit dem Schmuggel verbundenen Risken deutet die anhaltende Einfuhr von Fahrzeugen auf eine wachsende Nachfrage innerhalb des Landes hin. Vor kurzem berichteten nordkoreanische Medien über die Eröffnung einer Autowerkstatt im neu entwickelten Hwasong-Bezirk in Pjöngjang. Die Verbreitung solcher Reparaturbetriebe weist auf eine zunehmende Fahrzeugnutzung und einen steigenden Wartungsbedarf hin. Angesichts der wachsenden Zahl an Autos entwickelt Nordkorea auch Systeme und Einrichtungen, die die Nutzung von Fahrzeugen erleichtern sollen.
Laut dem südkoreanischen Statistikamt gab es in Nordkorea im Jahr 2023 etwa 234.000 registrierte Fahrzeuge. Diese Zahl liegt deutlich unter den rund 26 Millionen Fahrzeugen in Südkorea. Gleichzeitig zeigen Satellitenbilder eine große Ansammlung vermutlich geschmuggelter Fahrzeuge in der Stadt Hyesan in der Provinz Ryanggang an der Grenze zu China. Die Region gilt als eine der Hauptschmuggelrouten zwischen Nordkorea und China. Verglichen mit Satellitenaufnahmen der vergangenen vier Jahre ist ein derart hoher Bestand geparkter Fahrzeuge ungewöhnlich. Zudem wurde im Rahmen der dritten Bauphase im Wohnkomplex des Hwasong-Bezirks – dem sogenannten „Pyongyang New Town“ – eine Autowerkstatt eingerichtet. In diesem Bereich zogen die Bewohner bereits im April des vergangenen Jahres ein.
Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres ist die Fertigstellung des Wohnkomplexes der vierten Bauphase in Hwasong vorgesehen. Nordkorea plant in diesem Gebiet den Bau einer noch größeren Werkstatt. Das unterstreicht, dass ein Markt für Fahrzeugwartung erkannt wurde. Nun stellt sich die Frage, wer in der nordkoreanischen Gesellschaft tatsächlich private Fahrzeuge besitzen kann.
In Nordkorea beschränkt sich die Möglichkeit, ein Auto zu kaufen, weitgehend auf Personen, die im privaten Handel oder auf Märkten tätig sind. Obwohl diese wirtschaftlichen Aktivitäten von der Regierung noch nicht offiziell anerkannt werden, zeigt die wachsende Zahl potenzieller Autobesitzer, dass sich die ökonomische Landschaft wandelt. Früher war der Konsum in Nordkorea eng mit dem Überleben verbunden. Man kaufte nur das Nötigste. Heute entsteht jedoch eine neue Klasse, die sich über den Grundbedarf hinaus etwas leisten kann. Für diese Gruppe ist Konsum nicht mehr nur ein Mittel zum Überleben, sondern auch eine Möglichkeit, sozialen Status und kulturelle Vorlieben zu zeigen. Vor diesem Hintergrund sind Automobile besonders attraktive Konsumgüter. Ihre Seltenheit verstärkt ihren symbolischen Wert und macht sie für Wohlhabende besonders begehrenswert.
Selbst wer wenig über Nordkorea weiß, hat vermutlich schon einmal das Wort „Jangmadang“ gehört. Der Begriff bezeichnet inoffizielle Märkte, die in der schweren Wirtschaftskrise der 1990er Jahre, der Zeit des sogenannten „mühsamen Marsches“, entstanden sind. Dort bildete sich die neue, wohlhabende Klasse der „Donju“, was so viel wie „Meister des Geldes“ bedeutet. Sie haben durch geschickten Handel Vermögen angehäuft. Nordkorea erkennt offiziell keine Marktwirtschaft an und bestreitet die Existenz der Donju, faktisch sind sie jedoch zu einer treibenden Kraft der nordkoreanischen Wirtschaft geworden. Mit Geld aus Handel und Schmuggel setzen sie stillgelegte Maschinen in Fabriken wieder in Gang und füllen zuvor leere Läden mit Waren.
Die Donju wohnen in prunkvollen Wohnungen, besuchen teure Cafés und genießen Delikatessen wie Sushi oder Foie gras. Diese privilegierte Schicht verfügt über genügend finanzielle Mittel, um Automobile als Luxusgüter zu erwerben. Da Autos besonders als Statussymbol geeignet sind, ist zu erwarten, dass die Donju erheblich in den Fahrzeugbesitz investieren werden. Allerdings erfordert der Betrieb von Fahrzeugen eine offizielle Qualifikation. Wie erwirbt man also in Nordkorea einen Führerschein?
Eine Möglichkeit ist der Besuch von Fahrschulen, die Fahrunterricht und Prüfungen anbieten – ähnlich wie in anderen Ländern. Eine weitere übliche Möglichkeit ist der Militärdienst: Da die Wehrpflicht in Nordkorea deutlich länger ist als anderswo, erwerben viele ihre Fahrpraxis und Qualifikation durch Fahrtraining beim Militär. Zudem gibt es das System des „Fahrassistenten“. Im Rahmen dieses Systems können Bewohnerinnen und Bewohner eine Bescheinigung erhalten, die es ihnen erlaubt, innerhalb ihrer Organisation, ihres Betriebs oder ihrer Gruppe zu fahren, auch ohne formellen Führerschein. Wer in dieser Assistenzrolle etwa zwei Jahre unfallfrei fährt, ist berechtigt, die Führerscheinprüfung abzulegen. Mit der Kombination aus praktischer Erfahrung und Bestehen der Prüfung erhält man dann einen regulären Führerschein.
In Nordkorea ist der Erwerb eines Führerscheins anspruchsvoll, da Prüfungen nur zweimal jährlich – üblicherweise im April und im September – abgehalten werden. Aufgrund des strengen Prüfungsverfahrens genießen Führerscheininhaber im Vergleich zum Durchschnittsbürger einen privilegierten Status. In Nordkorea gilt ein Führerschein als wichtiges Zertifikat, das beispielsweise den Zugang zu stabilen Arbeitsplätzen ermöglicht – etwa als Fahrer, der Baumaterial zu Baustellen bringt. Führerscheine sind in vier Klassen eingeteilt, von Klasse 4 bis Klasse 1.
In Nordkorea gibt es vier Führerscheinklassen: Klasse 4, 3, 2 und 1. Anders als in Südkorea, wo man zwischen Klasse 1 und 2 wählen kann, folgt das nordkoreanische System einer strikten Hierarchie: Zunächst muss ein Führerschein der niedrigeren Klasse erworben werden, bevor man zur nächsthöheren aufsteigen darf. Der Einstieg erfolgt in Klasse 4, die das Führen von Frachtfahrzeugen bis fünf Tonnen erlaubt. Diese erste Stufe ist obligatorisch, um höhere Klassen zu erreichen. Mit dem Aufstieg bieten sich mehr Möglichkeiten was erlaubte Fahrzeugtypen und Tätigkeiten anbelangt. Die höchste Stufe, Klasse 1, erlaubt das Führen aller Fahrzeugtypen und umfasst zusätzliche Qualifikationen in den Bereichen Konstruktion, Herstellung und Wartung von Fahrzeugen.
Es heißt, dass man in der Regel etwa acht Jahre braucht, um die Klasse-1-Lizenz zu erreichen. Im Gegensatz zu Südkorea ist der Führerschein in Nordkorea keine weit verbreitete Qualifikation, und der Prozess ist sehr komplex. Aus diesen Gründen werden derzeit Maßnahmen zur Vereinfachung des Führerscheinwesens diskutiert, die durch die steigende Nachfrage ausgelöst wurden. Diese Nachfrage ist wiederum durch die zunehmende Anzahl an Fahrzeugen bedingt. Um künftige Kundinnen und Kunden zu gewinnen, bemühen sich nordkoreanische Fahrzeughersteller - darunter das landesweit größte Werk „Seungri Motor“ – die Qualität der Fahrzeuge zu verbessern. Der bedeutende Schritt, privaten Autobesitz zu erlauben, scheint verschiedene Bereiche der nordkoreanischen Gesellschaft zu beeinflussen.
In Nordkorea sind interregionale Umzüge stark eingeschränkt. Rechtliche und institutionelle Hürden erschweren es, den Wohnort zu verlagern. Daher könnte die unmittelbare Wirkung des privaten Fahrzeugbesitzes und der steigenden Zahl an Autos begrenzt erscheinen. Betrachtet man die Sache jedoch aus einer anderen Perspektive, so führen veränderte Lebensstile und eine verbesserte Lebensqualität früher oder später zu Anpassungen von Gesetzen und Systemen. Auch wenn der Wandel nicht schnell vonstattengeht, ist die Wahrscheinlichkeit weiterer Veränderungen hoch. Gerade die Natur von Automobilen, die die Bewegungs- und Handlungsspielräume der Menschen erweitern, kann langfristig institutionelle Reformen anstoßen. Ich betrachte dies als eine bedeutsame Entwicklung, die zwar Zeit benötigen wird, aber allmählich Veränderungen in der nordkoreanischen Wirtschaft herbeiführen könnte.
Privater Autobesitz in Nordkorea könnte ähnliche tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen auslösen wie die erstmalige Zulassung von Mobiltelefonen. Auch wenn weiterhin Reise- und Wohnbeschränkungen bestehen, eröffnen die sich abzeichnenden Automobiltrends interessante Möglichkeiten für sozialen Wandel, die sorgfältig beobachtet werden sollten.