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Kultur

Ha Geun-chan: „Züge anschauen“

2022-02-15

ⓒ Getty Images Bank

Nachdem er einen Zeitungsartikel über die Eröffnung einer neuen U-Bahnlinie gelesen hatte, verließ Herr Jo am nächsten Morgen mit seinem Enkel Ki-yun das Haus. Er wollte die neue U-Bahn sehen. In der Hand hielt er eine Lunchbox. Er wollte nicht nur mit der U-Bahn fahren, sondern es sollte ein richtiger kleiner Ausflug werden.

Herr Jo war von der U-Bahn fasziniert. Das war nicht überraschend, denn früher war er Straßenbahnschaffner gewesen.



Die Türen gingen auf und Herr Jo und Ki-yun stiegen ein und nahmen Platz. An der Decke befestigte Ventilatoren kreisten, um den Innenraum zu kühlen. Herr Jo fand, dass es sich in der U-Bahn überhaupt nicht heiß anfühlte wie im Sommer. Noch mehr beeindruckten ihn die auffälligen Werbetafeln, die Gepäckträger aus glänzendem Stahl, die gleichmäßig schwingenden Griffe und die weichen, gepolsterten Sitze.



Literaturkritikerin Jeon So-yeong:

Die Geschichte spielt in Seoul im Jahr 1974, als die U-Bahn zum ersten Mal eröffnet wurde. Bis dahin waren die Hauptverkehrsmittel in Seoul elektrische Züge, Straßenbahnen. Bereits 1899 führte König Gojong das Straßenbahnsystem ein, um Joseon zu modernisieren, und Straßenbahnen wurden von den Seouler Bürgern lange Zeit benutzt. Aber als die Bevölkerung von Seoul nach der Unabhängigkeit des Landes eine Million überstieg, konnten die Straßenbahnen die wachsende Bevölkerung nicht mehr bewältigen und die Stadt brauchte ein neues Transportmittel. So wurde der Betrieb der Straßenbahnen 1968 eingestellt, und der Bau einer U-Bahn beschlossen. Ha Geun-chan, der Bauingenieurwesen studiert hatte, hatte wahrscheinlich ein besseres Auge für solche Veränderungen, was es ihm ermöglichte, den Bahnhof von Cheongryangni sehr genau zu beschreiben. Dieses bedeutsame Ereignis in der Geschichte Seouls wird hier aus der Perspektive der Hauptfigur, eines ehemaligen Straßenbahnschaffners, betrachtet.



Dort stand eine alte Straßenbahn, die von der U-Bahn verdrängt worden war. Es war die Straßenbahn Nr. 321. Das Nummernschild war vorne angebracht.

Es gab drei Türen – die kleinen vorne und hinten waren zum Einsteigen und die große in der Mitte zum Aussteigen. Dieses Modell war das größte und neueste unter den alten Straßenbahnen. Die Fenster hatten keine Glasscheiben, nur die Rahmen, nur das Gerippe. Herr Jo stand vor dem Zaun, der um den Straßenbahnwagen herum errichtet worden war. Er hatte leicht nostalgische Gefühle, als würde er einen lieben Freund sehen, der alt und hinfällig geworden war. Ein bisschen Freude, Schmerz und Traurigkeit, alles vermischt.

Über dreißig Jahre hatte er mit der Straßenbahn gelebt. Aber sein Leben hatte sich durch den U-Bahn-Bau vor einigen Jahren vollkommen verändert ...




Ha Geun-chan (1931-2007): „Züge anschauen“

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