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Lifestyle

Über die Gastfreundschaft

2018-10-20

Hörerecke

ⓒ Getty Images Bank

Mein allererster Koreaaufenthalt fing überhaupt nicht gut an. In Seoul am Flughafen Gimpo angekommen, ging erst einmal alles schief. Mein Gepäck war nicht angekommen, aufgrund der dadurch entstehenden Komplikationen verfehlte ich den Studenten, der mich vom Flughafen abholen sollte, hatte dessen Kontaktdaten in die falsche, nicht angekommene Tasche gepackt, musste hierhin und dorthin fahren und bereitete damit allen möglichen Leuten eine Menge Umstände. Dann stellte sich heraus, dass das Zimmer, in dem ich eigentlich hätte wohnen sollen, anders als geplant aus irgendwelchen Gründen noch gar nicht frei war und ich mit der Unterkunft ein bisschen würde improvisieren müssen. Auch die Kontoeröffnung bei der Bank war komplizierter als gedacht. Ich erinnere mich, dass ich die Geheimnummer für mein Konto handschriftlich auf einem Formular eintragen musste – diese etwas seltsam anmutende Praxis existiert heute übrigens nicht mehr – der Automat meine Geheimzahl aber nicht akzeptierte und den Zugang zu mienem Konto schließlich sperrte – da man, wie mir erst später aufging meine sauber geschriebene 1 offenbar für eine 7 gehalten hatte, weil in Korea die Ziffern etwas anders geschrieben werden als in Deutschland. 


Doch allmählich kam alles in geordnete Bahnen. Nachdem ich ein paar Tage bei einem Germanistikstudenten untergekommen war, landete ich schließlich in einem Hasukjib, einem privaten Zimmer in der Wohnung eines älteren Ehepaares, das auch noch zwei andere Studenten beherbergte. Die Mahlzeiten wurden gestellt. Man kann sich das so ähnlich vorstellen wie eine Studenten-WG mit Bewirtung und ständiger Aufsicht der Vermieter. Die beiden alten Leute, die von uns Untermietern mit „Halmoni“ und „Haraboji“, also „Oma“ und „Opa“ angeredet wurden, waren wirklich rührend. Meine drei Brocken Koreanisch nahm man wohlwollend zur Kenntnis, und ich wurde aufgenommen wie in eine Familie. Einmal, als es mir gesundheitlich nicht besonders gut ging und ich mich in der Nacht mehrmals übergeben musste, versorgte die Halmoni mich mit Akupunktur – was tatsächlich half. Und wenn ich morgens aus dem Haus ging und meine Jacke etwas nachlässig angezogen hatte, sah mich der Haraboji mit strengem Blick an, schüttelte mir die Kleidung zurecht und schickte mich los. 다녀와잉! 

Ein wenig zu kämpfen hatte ich anfangs mit dem koreanischen Essen, wie ich mir anhand dieser alten E-Mail wieder ins Gedächtnis rufe. 


Hi Mama und Papa, 

war heute schon wieder auf der Bank. Das mit dem Konto ist nun glücklicherweise geregelt. So nett die koreanischen Bankangestellten auch sind, täglich muss ich nicht mit ihnen zu tun haben. Täglich haben muss ich im übrigen auch nicht Halmonis Tintenfische, die auf dem Teller noch aussehen wie halb lebendig ... Diesen Tintenfisch gibt es leider immer ein-zweimal die Woche. Es gibt überhaupt alles mindestens ein-zweimal die Woche, aber das meiste Essen gibt es wie gesagt dreimal täglich. Immer Reis mit verschiedenen kalten Beilagen (supersalzige 1cm-Minifischchen, eingelegter Rettich, eingelegter Kohl, eingelegte hartgekochte Eier). Am Anfang habe ich ja brav alles gegessen, aber ich glaube, langsam komme ich in die „Ich-kann-nicht-mehr-Phase“. So ganz topfit fühle ich mich im Moment auch gerade nicht. Und mit ausruhen ist auch nicht so viel. Sogar sonntags werde ich immer um sieben geweckt. Na ja, wird schon irgendwie gehen! 


Besonders die schlappe Durchhalteparole am Schluss lässt mich ja heute schmunzeln. Aber irgendwie gehen tat wirklich immer alles. Und das lag vor allem an der ungeheuren Hilfsbereitsschaft und Gastfreundschaft der Koreaner. Überall wurde ich mit offenen Armen empfangen. Jede Ungeschicklichkeit, jede Peinlichkeit, jeder Fehltritt wurde mir verziehen. Dass alles kein Problem ist, dass alles irgendwie geht, dass wir das alles schon hinkriegen, dieses beruhigende Gefühl begleitete mich während meines gesamten Aufenthalts. Ich hatte Vertrauen in die Koreaner und das Gefühl, dass mein Vertrauen ganz selbstverständlich erwidert wurde. Die freundliche, warme Seite Koreas, die ich schon damals spüren durfte, ist der rote Faden, der sich bis heute durch meine Beziehung zu diesem Land zieht.


Woher diese uneingeschränkte Offenheit, Herzlichkeit und Freundlichkeit rührte, ist mir bis heute im Grunde ein faszinierendes Rätsel. Ein Grund für die enorme Gastfreundschaft mag möglicherweise die damals in Korea noch sehr ausgeprägte Neugier an westlichen Ausländern gewesen sein. Damals waren Ausländer in Korea noch eine ziemliche Rarität und es passierte mir nicht selten, dass mich Kinder auf der Straße bestaunten und laut riefen: „Mama, guck mal da, ein Ausländer!“ Das ist heute nicht mehr so – und ich möchte hinzufügen: zum Glück. Aber das, was mir da entgegenkam, war mehr als nur Neugier und auch mehr als Interesse. Es war eine warmherzige Gastfreundschaft, eine selbstverständliche Mitmenschlichkeit, die aber, das weiß ich heute, alles andere als selbstverständlich ist. 


평양학생소년예술단반갑습니다


반갑습니다 „Schön, dich zu sehen, Schön euch zu sehen“, gesungen von der 평양학생소년예술단, ein Willkommenslied aus Nordkorea, dass damals, im Jahre 2000, als ich das erste Mal in Korea war, im Zusammenhang mit dem damaligen historischen innerkoreanischen Gipfeltreffen zwischen Kim Dae-jung und Kim Jong-il auch in Südkorea ungeheuer populär wurde.


Ich hatte in all der Zeit in diesem fremden Land nie das Gefühl, allein zu sein. Jeden Tag machte ich neue Bekanntschaften, lernte Freunde von Freunden und Bekannte von Bekannten kennen wurde überall als „Chingu“, als „Freund“ vorgestellt, und all das, obwohl ich wahrlich kein sonderlich geselliger Geselle bin. Wann immer ich in Schwierigkeiten geriet, wann immer irgendetwas schiefging, stets war jemand da, der sich um mich gekümmert und mir im Notfall aus der Patsche geholfen hat. „Du hast noch keine Wohnung? Kein Problem, dann wohnst du erstmal bei mir!“ 


Das Hasukjib war prima, aber ein bisschen eingeengt und überbeaufsichtigt fühlte ich mich doch auch. Ich hatte Glück. Über einen Freund traf ich Sun-woo, einen Studenten, der an der HUFS, wo ich meinen Koreanischkurs hatte, Deutsch und Englisch studierte und in der Nähe der Uni in einem kleinen Zimmer im Halbkellergeschoss wohnte. Nach ein paar Tagen schlug er mir vor, dass ich doch bei ihm wohnen könnte. Gesagt, getan. Nachdem ich Haraboji und Halmoni schonend beigebracht hatte, dass ich umziehen wolle – das entsprechende Vokabular hatten meine koreanischen Freunde vorher eifrig mit mir geübt, damit ja nichts schiefgehe – und die beiden mein Vorhaben verständnisvoll abgenickt hatten, zog ich in Sun-woos Bude ein.  

Die Zweier-WG mit Sun-woo war eine äußerst vergnügliche Angelegenheit, die einige spektakuläre Episoden bereithielt, die ich mir notgedrungen für weitere Folgen dieser Radiorubrik aufsparen muss, um sie ganz auskosten zu können. Also: Was mir dazu einfällt, darüber berichte ich beim nächsten Mal.

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