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Lifestyle

Über das Banale und das Erhabene

2019-07-27

Hörerecke

© the Academy of Korean Studies

Was ich heute machen werde, ist Folgendes: Erst werde ich drei Beispiele nennen, die mir spontan einfallen für Dinge, die ich ästhetisch betrachtet für typisch koreanische Scheußlichkeiten halte. Und ich werde darauf herumhacken und unmissverständlich klarmachen, wie unglaublich dämlich ich diese Dinge finde, und dabei auch immer schön betonen, dass sie wirklich typisch koreanisch sind. Und dann werde ich drei Beispiele nennen für Aspekte der koreanischen Kultur, die ich für wahrhaft groß, bedeutend und beeindruckend halte. Und ich werde sie in den höchsten Tönen lobpreisen und dabei betonen, dass auch sie typisch koreanisch sind. Prinzip kapiert, oder? Schon klar, irgendwie ist es natürlich ziemlich billig, das Banale gegen das Erhabene auszuspielen. Tut mir auch ein bisschen leid für das Banale, das wir ja auch immer wieder mal brauchen. Aber es ist nun einmal so: Ich möchte einfach nicht, dass das Banale mit dem Erhabenen verwechselt wird. 


Die erste Scheußlichkeit, die es verdient hat, hier einmal verrissen zu werden, befindet sich in Jeondongjin an der koreanischen Ostküste in der Provinz Gangwondo. Die Landschaft dort ist sehr malerisch. Bizarre Felsformationen, idyllische Kiefernwälder und wunderschöne Strände. Eigentlich hätte man einfach alles so lassen können, wie es war, und es wäre perfekt gewesen. Manchen Leuten hat das aber offenbar nicht gereicht, und deshalb hat man oberhalb des Strandes von Jeondongjin das Sun Cruise Resort hingesetzt, einen großen Hotelkomplex, der genauso aussieht wie ein riesiges Kreuzfahrtschiff, nicht zu übersehen, auch aus mehreren Kilometern Entfernung nicht, da oben, das große Kreuzfahrtschiff. Es sieht wirklich ganz genauso aus wie ein großes Kreuzfahrtschiff, nur halt oberhalb der Küste, auf dem Land. Na sowas! Und es ist wirklich nicht zu übersehen. Und es fügt sich dort in die malerische Landschaft wie ein – mir fällt gerade kein besserer Vergleich ein – wie ein riesiges Kreuzfahrtschiff aus Stahl und Beton in einen idyllischen Kiefernwald. 


Scheußlichkeit Nummer zwei. Die Universität, an der ich unterrichte, ist keine schlechte, aber was die architektonische Ästhetik anbelangt, werden wir keine Freunde mehr werden. Das wurde mir spätestens dann klar, als vor wenigen Jahren am U-Bahneingang eine pompöse Halle errichtet, im Stil einer original italienischen Piazza mit Springbrunnen, wuchtigen steinernen Säulen und täuschend echt nachgebauten Häuserfassaden mit gardinenbehangenen und abends heimelig beleuchteten Fenstern, überwölbt von einem strahlend blauen Himmel mit vereinzelten weißen Wölkchen an der Gebäudedecke. Dieses Machwerk, finanziert durch astronomische Studiengebühren, hat den Charme einer Schultheater-Pappkulisse, und erklär mir einer, was diese alberne Stilimitation mit dem von der Universität propagierten Ideal der Kreativität zu tun haben soll. Vielleicht wollte man sich ästhetisch deshalb anschließend auch ein wenig neu orientieren, denn als Kontrast wurde vor kurzem vor dem Hauptgebäude eine riesige ultramoderne Skulptur aus Stahl errichtet, gut 20 Meter hoch, eine monströse Nudel, eine verdrehte Acht, offenbar eine Art Unendlichkeitszeichen, denn der bescheidene Titel dieses Kunstwerks lautet: „Objekt des Unendlichen“. Blicke ich aus dem Fenster meines Büros, versperrt mir nun dieses Ungetüm die Sicht auf die Berge, und die einstmals so schöne Wiese vor dem Gebäude darf man nun auch nicht mehr betreten. Sehr beeindruckend, wirklich. 


Und nun noch Nummer drei, ein weiteres Beispiel für fehlgeschlagene ästhetische Beeindruckungsmanöver. Vor ein paar Jahren war ich hier in Seoul im Daehakno-Viertel einmal auf eine Einladung hin im Theater. Es war eine Aufführung der besonderen Art. Der koreanische Regisseur hatte die brilliante Idee, alle 37 Bühnenwerke William Shakespeares zu einem einzigen Stück zusammenzufügen. Wahnsinn. Aber als wäre das allein nicht schon gigantisch und albern genug gewesen, hatte er sich zu allem Überfluss auch noch vorgenommen, das Ganze im traditionellen koreanischen Stil zu inszenieren, also in mit allerlei Motiven aus alten koreanischen Volkserzählungen vermischt. Was soll ich sagen, nach geschlagenen dreieinhalb Stunden habe ich mich entschlossen, die Aufführung frühzeitig zu verlassen. Aber alle, also die vollständigen, die kompletten Bühnenwerke Shakespeares in einem und das noch auf Korea gemünzt – das ist sicherlich ganz, ganz schwierig hinzukriegen. Hut ab.


Bei all den hier beschriebenen Objekten ging es offenbar auch, wenn nicht in erster Linie, darum, den Betrachter zu beeindrucken oder irgendwem irgendwie irgendwas zu beweisen. Und auf Begeisterung für pure physische oder quantitative Größe, für das Protzige, für das Knallige treffe ich in Korea sehr häufig. Dabei sind diese Dinge – so glaubt es mir doch! – nicht im Mindesten beeindruckend und nicht im Mindesten originell, sondern mickrig und popelig und banal und vor allem unglaublich kindisch. Warum hört mich denn keiner? Warum erinnert sich denn keiner mehr an die wahre Größe der koreanischen Ästhetik? 


Musik: 평시조 청산리 벽계수야


Das Beeindruckendste, was Koreas Kultur ästhetisch zu bieten hat, ist und war für mich immer schon das Schlichte, das Einfache, das Unscheinbare und das Natürliche. Ästhetischer Minimalismus, die Kunst des Weglassens, souveräner Verzicht, Reduktion auf das Wesentliche und Harmonie mit der Umwelt, all dies sind Aspekte, die der traditionellen koreanischen Kunst ihre immense Kraft verleihen.


Das Prinzip der bewussten Beschränkung gilt auch für weite Teile der traditionellen Musik, insbesondere der Kunstmusik. Eine musikalische Gattung wie das Sijo, von dem wir gerade einen kleinen Klangeindruck bekommen haben, ist deshalb so einzigartig und faszinierend, weil sie so minimalistisch daherkommt: Einstimmiger Gesang, lediglich durch die Schläge der Janggu-Trommel begleitet. Der Text besteht nur aus drei kurzen Versen und ist durch das extrem langsame Tempo und die vielen Melismen im Grunde nicht mehr erkennbar. Und die Melodie pendelt im Grunde lediglich zwischen zwei Tönen im Quartabstand hin und her, gelegentlich durch verminderte oder reine Quinte erweitert. Und alle der über tausend bekannten Pyeongsijos haben die gleiche Melodie. Es wird also auf fast alles verzichtet, was Musik aufregend und spannend macht, sollte man meinen. Doch genau dadurch wird diese Musik groß: Die Faszination des Sijos liegt in der Gestaltung des Einzeltons, im Ausdrucksspektrum und im Timbre der menschlichen Stimme selbst, in ihrem Spannungsverlauf und ihren energetischen Verdichtungen, ihren vielfältigen Schwingungen und Schwankungen und ihrer immensen Klangfarbenvielfalt. 


Immer spielt in der traditionellen koreanischen Kunst der offengelassene, freie Raum, für den das Koreanische den Begriff Yeobaek (여백, 餘白) kennt, dabei eine entscheidende Rolle. In der Kalligraphie, wo schwarzen Schriftzeichen und der weißen, offengelassenen Flächen auf dem Papier ausgewogen angeordnet eine Harmonie ergeben. In der Malerei, seien es Blumen- und Vogelmotive (Hwajohwa, 화조화) oder Landschaftsmalerei (Sansuhwa, 산수화), wo es immer freigelassene weiße Stellen auf der Leinwand gibt: Nie ist das gesamte Bild komplett mit Objekten vollgequetscht oder mit Hintergrundfarbe ausgefüllt ist. Immer bleibt Raum zum Atmen. Und diese Bilder wurden im Übrigen auch nicht einfach zur Dekoration an die Wand gehängt, um den Raum irgendwie zu füllen oder aufzuhübschen. Sie wurden nur bei ganz besonderer Gelegenheit hervorgeholt, vorsichtig ausgerollt und vielleicht gemeinsam mit einem werten Gast bei einer Tasse Tee eine Weile betrachtet, dann wieder eingerollt und sorgsam aufbewahrt. 


Und noch ein Beispiel für ästhetische Größe. Dass ich mich besonders für Keramik interessiere, wäre gelogen. Aber wenn ich einmal durchs Museum schlendere und an den Vitrinen mit der traditionellen koreanische Keramikkunst vorbeikomme, bleibe ich doch stehen. Die Tongefäße der Silla-Zeit, die ein wenig den dicken Tontöpfen Jilddukbaegi ähneln, in denen heißbrodelnd der Bohnenmus-Eintopf Doenjangjjigae gekocht wird, vermitteln etwas Rustikales, etwas Erdverbundenes, etwas in sich Ruhendes. Wenn ich das hellgrüne Porzellan der Goryeo-Zeit betrachte, mit dem eingelegten Muster der zum Himmel aufsteigenden Kraniche und der dahinziehenden Wolken auf grau-grünem, glänzend glasiertem Grund, tauche ich ein in diesen rätselhaften und unergründlichen Farbton und schwebe gutgelaunt auf den Schwingen des Kranichs davon. Und nicht zuletzt das weiße Porzellan der Joseon-Zeit, wie die kugelrunden Mondvasen, die ganz unprätentiös auf technische Raffinessen oder aufgemalte Muster verzichten. Ein feine formvollendete Ästhetik von beinahe schon fad anmutender, makellos reiner erhabener Schlichtheit. Anmutig und bezaubernd.


Das ist es: Das Schlichte, das Einfache, das Unscheinbare, im Laufe der Jahrhunderte so verfeinert, so strahlend und leuchtend, von so gewaltiger innerer Kraft, dass es das Pompöse, das Prunkvolle, das Protzige, das sich teils wohl auch aus dem Westen nach Korea verirrt hat, einfach mal eben – pffft – wegpustet.

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